Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Kurt von Koppigen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 12. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–194. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

wachen. Zudem hatte er Furcht vor seiner Mutter, eigentlich hatte er sich nie von Ferne gegen sie aufgelehnt, geschweige daß er ans Emancipiren gedacht hätte. Es ist übrigens sehr merkwürdig, wie so oft ein altes Weib, dessen Glieder nur noch zusammengeleimt scheinen, eine unumschränkte Gewalt über baumstarke Söhne übt, und wie die Söhne sich derselben nicht entziehen dürfen, wie gerne sie sich auch entziehen möchten. War Kurt einmal zur Seltenheit zu Hause, wenn eine Hündin Junge werfen wollte, oder ein Pferd lahm geworden, und kam Agnes zu einem vertrauten Worte mit ihm, so klagte, weinte sie jämmerlich, machte alle Manövers, welche eine Frau unter solchen Umständen macht, redete von Fortlaufen, wenn er seiner Mutter nicht den Marsch mache, oder schmollte, redete nicht nur nichts mit ihm, sondern ließ sich höchstens von hinten sehen. Das brachte Kurt in Verlegenheit und that im weh, denn er war von Natur gutmüthig; er suchte seine Frau zu trösten, aber seine Beredsamkeit in diesem Fache war wirklich nicht groß. Er wußte ihr wenig Anderes zu sagen, als er begreife nicht, was sie eigentlich immer zu klagen hatte, es hätte ihr doch noch Niemand was gethan, und was sie wolle, habe sie oder könne es nehmen. Es sei freilich wahr, seine Mutter rede viel, besonders in den langen Tagen; aber sie müsse es machen wie er, er lasse den Waldi, der Niemanden beiße, auch bellen so lange und so viel er wolle; er wußte nicht, warum seine Mutter nicht

wachen. Zudem hatte er Furcht vor seiner Mutter, eigentlich hatte er sich nie von Ferne gegen sie aufgelehnt, geschweige daß er ans Emancipiren gedacht hätte. Es ist übrigens sehr merkwürdig, wie so oft ein altes Weib, dessen Glieder nur noch zusammengeleimt scheinen, eine unumschränkte Gewalt über baumstarke Söhne übt, und wie die Söhne sich derselben nicht entziehen dürfen, wie gerne sie sich auch entziehen möchten. War Kurt einmal zur Seltenheit zu Hause, wenn eine Hündin Junge werfen wollte, oder ein Pferd lahm geworden, und kam Agnes zu einem vertrauten Worte mit ihm, so klagte, weinte sie jämmerlich, machte alle Manövers, welche eine Frau unter solchen Umständen macht, redete von Fortlaufen, wenn er seiner Mutter nicht den Marsch mache, oder schmollte, redete nicht nur nichts mit ihm, sondern ließ sich höchstens von hinten sehen. Das brachte Kurt in Verlegenheit und that im weh, denn er war von Natur gutmüthig; er suchte seine Frau zu trösten, aber seine Beredsamkeit in diesem Fache war wirklich nicht groß. Er wußte ihr wenig Anderes zu sagen, als er begreife nicht, was sie eigentlich immer zu klagen hatte, es hätte ihr doch noch Niemand was gethan, und was sie wolle, habe sie oder könne es nehmen. Es sei freilich wahr, seine Mutter rede viel, besonders in den langen Tagen; aber sie müsse es machen wie er, er lasse den Waldi, der Niemanden beiße, auch bellen so lange und so viel er wolle; er wußte nicht, warum seine Mutter nicht

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="0">
        <p><pb facs="#f0116"/>
wachen. Zudem hatte er Furcht vor seiner Mutter, eigentlich                     hatte er sich nie von Ferne gegen sie aufgelehnt, geschweige daß er ans                     Emancipiren gedacht hätte. Es ist übrigens sehr merkwürdig, wie so oft ein altes                     Weib, dessen Glieder nur noch zusammengeleimt scheinen, eine unumschränkte                     Gewalt über baumstarke Söhne übt, und wie die Söhne sich derselben nicht                     entziehen dürfen, wie gerne sie sich auch entziehen möchten. War Kurt einmal zur                     Seltenheit zu Hause, wenn eine Hündin Junge werfen wollte, oder ein Pferd lahm                     geworden, und kam Agnes zu einem vertrauten Worte mit ihm, so klagte, weinte sie                     jämmerlich, machte alle Manövers, welche eine Frau unter solchen Umständen                     macht, redete von Fortlaufen, wenn er seiner Mutter nicht den Marsch mache, oder                     schmollte, redete nicht nur nichts mit ihm, sondern ließ sich höchstens von                     hinten sehen. Das brachte Kurt in Verlegenheit und that im weh, denn er war von                     Natur gutmüthig; er suchte seine Frau zu trösten, aber seine Beredsamkeit in                     diesem Fache war wirklich nicht groß. Er wußte ihr wenig Anderes zu sagen, als                     er begreife nicht, was sie eigentlich immer zu klagen hatte, es hätte ihr doch                     noch Niemand was gethan, und was sie wolle, habe sie oder könne es nehmen. Es                     sei freilich wahr, seine Mutter rede viel, besonders in den langen Tagen; aber                     sie müsse es machen wie er, er lasse den Waldi, der Niemanden beiße, auch bellen                     so lange und so viel er wolle; er wußte nicht, warum seine Mutter nicht<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0116] wachen. Zudem hatte er Furcht vor seiner Mutter, eigentlich hatte er sich nie von Ferne gegen sie aufgelehnt, geschweige daß er ans Emancipiren gedacht hätte. Es ist übrigens sehr merkwürdig, wie so oft ein altes Weib, dessen Glieder nur noch zusammengeleimt scheinen, eine unumschränkte Gewalt über baumstarke Söhne übt, und wie die Söhne sich derselben nicht entziehen dürfen, wie gerne sie sich auch entziehen möchten. War Kurt einmal zur Seltenheit zu Hause, wenn eine Hündin Junge werfen wollte, oder ein Pferd lahm geworden, und kam Agnes zu einem vertrauten Worte mit ihm, so klagte, weinte sie jämmerlich, machte alle Manövers, welche eine Frau unter solchen Umständen macht, redete von Fortlaufen, wenn er seiner Mutter nicht den Marsch mache, oder schmollte, redete nicht nur nichts mit ihm, sondern ließ sich höchstens von hinten sehen. Das brachte Kurt in Verlegenheit und that im weh, denn er war von Natur gutmüthig; er suchte seine Frau zu trösten, aber seine Beredsamkeit in diesem Fache war wirklich nicht groß. Er wußte ihr wenig Anderes zu sagen, als er begreife nicht, was sie eigentlich immer zu klagen hatte, es hätte ihr doch noch Niemand was gethan, und was sie wolle, habe sie oder könne es nehmen. Es sei freilich wahr, seine Mutter rede viel, besonders in den langen Tagen; aber sie müsse es machen wie er, er lasse den Waldi, der Niemanden beiße, auch bellen so lange und so viel er wolle; er wußte nicht, warum seine Mutter nicht

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T09:57:28Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T09:57:28Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_koppingen_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_koppingen_1910/116
Zitationshilfe: Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Kurt von Koppigen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 12. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–194. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_koppingen_1910/116>, abgerufen am 21.11.2024.