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Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Kurt von Koppigen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 12. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–194. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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das gleiche Recht haben sollte, ihre Stimme zu gebrauchen. Ein andermal sagte er: Mußt dich dulden, mußt warten lernen; sieh, wir Jäger müssen auch lauern, oft ganze Nächte umsonst, dir aber wird's nicht fehlen. Die Mutter ist alt und stirbt gewiß, und ist sie einmal todt, vergeht ihr Reden und Regieren von selbst, dann bist du Meister, kannst schalten und walten, wie es dir gefällt. -- Solcher Trost schlägt bei einem klagenden, erzürnten Weibe nie gut an, sondern gießt Oel ins Feuer; zornige Weiber sind durchweg radicale Neu-Hegelianer, wollen keine Anweisung auf die Zukunft, sondern ein Handeln in der Gegenwart. Zudem schien im letzteren Troste Spott zu liegen, denn was er in Aussicht stellte, hatte einstweilen keine Wahrscheinlichkeit. Frau Grimhilde nahm sichtbarlich zu, zwar nicht an Gnade und Weisheit bei Gott und bei den Menschen, sondern am Fleische, verjüngte sich; seit sie wieder mit Jemanden Tage lang schelten und keifen konnte, stärkte sie sich an Lunge, Leber, Herz, schien ein Fisch zu sein, der vom Trocknen wieder ins Wasser gekommen. Freilich mochte Speise und Trank, das behagliche Sein überhaupt auch etwas an ihrer Zunahme beitragen, was sie indessen nie eingestanden hatte, denn sie schimpfte von der Morgen- bis zur Abenddämmerung an einem Faden über das jetzige Leben, welches sie keinem Hunde gönnen möchte, und rühmte, wie froh und glücklich sie früher gelebt. Wenn dann zu solchen Reden die beiden Hunde bedenklich

das gleiche Recht haben sollte, ihre Stimme zu gebrauchen. Ein andermal sagte er: Mußt dich dulden, mußt warten lernen; sieh, wir Jäger müssen auch lauern, oft ganze Nächte umsonst, dir aber wird's nicht fehlen. Die Mutter ist alt und stirbt gewiß, und ist sie einmal todt, vergeht ihr Reden und Regieren von selbst, dann bist du Meister, kannst schalten und walten, wie es dir gefällt. — Solcher Trost schlägt bei einem klagenden, erzürnten Weibe nie gut an, sondern gießt Oel ins Feuer; zornige Weiber sind durchweg radicale Neu-Hegelianer, wollen keine Anweisung auf die Zukunft, sondern ein Handeln in der Gegenwart. Zudem schien im letzteren Troste Spott zu liegen, denn was er in Aussicht stellte, hatte einstweilen keine Wahrscheinlichkeit. Frau Grimhilde nahm sichtbarlich zu, zwar nicht an Gnade und Weisheit bei Gott und bei den Menschen, sondern am Fleische, verjüngte sich; seit sie wieder mit Jemanden Tage lang schelten und keifen konnte, stärkte sie sich an Lunge, Leber, Herz, schien ein Fisch zu sein, der vom Trocknen wieder ins Wasser gekommen. Freilich mochte Speise und Trank, das behagliche Sein überhaupt auch etwas an ihrer Zunahme beitragen, was sie indessen nie eingestanden hatte, denn sie schimpfte von der Morgen- bis zur Abenddämmerung an einem Faden über das jetzige Leben, welches sie keinem Hunde gönnen möchte, und rühmte, wie froh und glücklich sie früher gelebt. Wenn dann zu solchen Reden die beiden Hunde bedenklich

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[0117] das gleiche Recht haben sollte, ihre Stimme zu gebrauchen. Ein andermal sagte er: Mußt dich dulden, mußt warten lernen; sieh, wir Jäger müssen auch lauern, oft ganze Nächte umsonst, dir aber wird's nicht fehlen. Die Mutter ist alt und stirbt gewiß, und ist sie einmal todt, vergeht ihr Reden und Regieren von selbst, dann bist du Meister, kannst schalten und walten, wie es dir gefällt. — Solcher Trost schlägt bei einem klagenden, erzürnten Weibe nie gut an, sondern gießt Oel ins Feuer; zornige Weiber sind durchweg radicale Neu-Hegelianer, wollen keine Anweisung auf die Zukunft, sondern ein Handeln in der Gegenwart. Zudem schien im letzteren Troste Spott zu liegen, denn was er in Aussicht stellte, hatte einstweilen keine Wahrscheinlichkeit. Frau Grimhilde nahm sichtbarlich zu, zwar nicht an Gnade und Weisheit bei Gott und bei den Menschen, sondern am Fleische, verjüngte sich; seit sie wieder mit Jemanden Tage lang schelten und keifen konnte, stärkte sie sich an Lunge, Leber, Herz, schien ein Fisch zu sein, der vom Trocknen wieder ins Wasser gekommen. Freilich mochte Speise und Trank, das behagliche Sein überhaupt auch etwas an ihrer Zunahme beitragen, was sie indessen nie eingestanden hatte, denn sie schimpfte von der Morgen- bis zur Abenddämmerung an einem Faden über das jetzige Leben, welches sie keinem Hunde gönnen möchte, und rühmte, wie froh und glücklich sie früher gelebt. Wenn dann zu solchen Reden die beiden Hunde bedenklich

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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T09:57:28Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T09:57:28Z)

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Zitationshilfe: Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Kurt von Koppigen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 12. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–194. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_koppingen_1910/117>, abgerufen am 15.05.2024.