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Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Der Notar in der Falle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–43. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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andere denken mußte, die würde er bloß von den Engeln im Himmel erlernt haben, ja gar Angst und Zweifel kriegte, er könnte plötzlich Flügel bekommen und ihr davon fliegen sammt dem Regenschirm, als ein wirklicher Engel. Zwischen der Kirche und dem Essen ist für Viele eine langweilige Zeit, man weiß gar oft nicht, was mit einander machen, besonders wenn man früh aufgestanden und der unterdrückte Schlaf seine Rechte geltend macht, wie ein ungestümer Unterthan. Ach, und es schien keine heiße Sonne, in welcher man spazieren, in welcher, was hölzern war, Feuer fangen konnte. Aber man weiß sich zu helfen, man spielte, da die Geiger noch nicht da waren, Blindemaus im Saale und Versteckens im ganzen Hause, man amüsirte sich herrlich; absonderlich Luise, welche der Notar immer sorglichst geleitete, sie schützte, die besten Verstecke zu finden wußte, und Alles so zart, so zart, daß Luise immerfort denken mußte: Ach, das ist Einer, das ist Einer!

Ach und das: Ach, das ist Einer, das ist Einer! mußte Luise selben Tages sich noch viel hundertmal wiederholen. So artig und so zart war noch nie Einer neben ihr gesessen, als der Notar, und noch nie hatte Einer so artig und so zart für alle ihre Bedürfnisse gesorgt. Luise konnte ihm gar nichts abschlagen, aß noch einmal so viel, als sie sonst pflegte, und trank mehr als ein Schlücklein über das gewohnte Maß. Dieß hatte den glücklichen Erfolg, daß Luisens Stimme sich kräftigte, so daß der Notar sie wirklich, ohne die Hände hinter den Ohren zu halten, verstand. Nun erst ging die Seligkeit an, d. h. Gespräche, sinnig, tief und hehr, wo der Notar Grundsätze zeigte, ach ganz herrliche! wie Luise nie gesehen. Seine Seele war ganz feurig und zwar freisinnig-feurig, und so freisinnig-feurig, wie er war, wollte er die ganze Welt machen, dann erst sei man glücklich und frei und habe die rechte Religion. Die Religion sei das Höchste, aber ganz freisinnig müsse sie sein; wenn sie nicht freisinnig sei, so sei sie das Unglück der Welt und beraube die Menschen der höchsten Güter. Das habe man erfahren, und jetzt

andere denken mußte, die würde er bloß von den Engeln im Himmel erlernt haben, ja gar Angst und Zweifel kriegte, er könnte plötzlich Flügel bekommen und ihr davon fliegen sammt dem Regenschirm, als ein wirklicher Engel. Zwischen der Kirche und dem Essen ist für Viele eine langweilige Zeit, man weiß gar oft nicht, was mit einander machen, besonders wenn man früh aufgestanden und der unterdrückte Schlaf seine Rechte geltend macht, wie ein ungestümer Unterthan. Ach, und es schien keine heiße Sonne, in welcher man spazieren, in welcher, was hölzern war, Feuer fangen konnte. Aber man weiß sich zu helfen, man spielte, da die Geiger noch nicht da waren, Blindemaus im Saale und Versteckens im ganzen Hause, man amüsirte sich herrlich; absonderlich Luise, welche der Notar immer sorglichst geleitete, sie schützte, die besten Verstecke zu finden wußte, und Alles so zart, so zart, daß Luise immerfort denken mußte: Ach, das ist Einer, das ist Einer!

Ach und das: Ach, das ist Einer, das ist Einer! mußte Luise selben Tages sich noch viel hundertmal wiederholen. So artig und so zart war noch nie Einer neben ihr gesessen, als der Notar, und noch nie hatte Einer so artig und so zart für alle ihre Bedürfnisse gesorgt. Luise konnte ihm gar nichts abschlagen, aß noch einmal so viel, als sie sonst pflegte, und trank mehr als ein Schlücklein über das gewohnte Maß. Dieß hatte den glücklichen Erfolg, daß Luisens Stimme sich kräftigte, so daß der Notar sie wirklich, ohne die Hände hinter den Ohren zu halten, verstand. Nun erst ging die Seligkeit an, d. h. Gespräche, sinnig, tief und hehr, wo der Notar Grundsätze zeigte, ach ganz herrliche! wie Luise nie gesehen. Seine Seele war ganz feurig und zwar freisinnig-feurig, und so freisinnig-feurig, wie er war, wollte er die ganze Welt machen, dann erst sei man glücklich und frei und habe die rechte Religion. Die Religion sei das Höchste, aber ganz freisinnig müsse sie sein; wenn sie nicht freisinnig sei, so sei sie das Unglück der Welt und beraube die Menschen der höchsten Güter. Das habe man erfahren, und jetzt

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T09:45:11Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T09:45:11Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: nein; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Der Notar in der Falle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–43. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_notar_1910/23>, abgerufen am 19.04.2024.