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Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Der Notar in der Falle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–43. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Hause allerlei, sein Subject wußte nicht was, schüttelte den Kopf, lächelte, kurz, er machte eine Menge Manövers, welche man an ihm zu sehen sonst nicht gewohnt war. Er mochte den Tag gar nicht erwarten, an welchem die Tante bei der Seckelmeisterin war und er Luise besuchen konnte. Er fand sie viel besser, als das letzte Mal. Sie kam ihm entgegen, redete lauter, schien überhaupt an Kräften zugenommen zu haben. Das erfreute sichtlich Herrn Stößli, gut wußte er seine Freude auszudrücken, eine innige Theilnahme an den Tag zu legen, schob selbst das Berathen des Entwurfes für heute auf und füllte die Zeit so interessant aus, daß sie unbemerkt vorüber rauschte wie im Himmel. Das nächste Mal, als Herr Stößli wieder kam, war man schon ganz heimelig, aber Luise hustete mehrere Male. Der Teufel, dachte Herr Stößli, die Sache könnte doch fehlen. Er wurde noch viel liebenswürdiger, und in Luisen gingen Adern auf, welche bisher ganz verpicht waren. Sie sprach gut, machte selbst Witz, und zu seinem Erstaunen fand Herr Stößli sie tief gebildet, nicht bloß so oberflächlich. Sie sprach von Grundsätzen und Bildung, hatte die besten Bücher gelesen, sogar vom ewigen Juden von Sue gehört, redete von Lebenszwecken und vom Vorabend einer neuen Zeit, daß Herrn Stößli fast Hören und Sehen verging. Eine solche Bildung, eine so innige Harmonie mit den Grundgedanken seiner Seele war ihm noch nie vorgekommen. Es war an Herrn Stößli, verlegen zu werden, gegenüber einem Mädchen von solchem Vermögen, solcher Bildung, solcher Bescheidenheit obendrein, als er auch einen Lebenszweck erreichen wollte, als er Luisens Hand ergriff, als er sich zärtlichst vor ihr beugte, als er sagte: Ach, Jungfer Luise, ich wage es nicht. Schon lange suche ich umsonst eine Gefährtin nach meinem Sinn, mit der ich glücklich zu werden hoffen darf, mit Bildung und Grundsätzen, mit einer Seele, welche mich und die Zeit versteht. Jetzt, wo ich eine solche finde, jetzt darf ich mich nicht aussprechen, darf nicht hoffen, daß sie mein bescheiden Loos

Hause allerlei, sein Subject wußte nicht was, schüttelte den Kopf, lächelte, kurz, er machte eine Menge Manövers, welche man an ihm zu sehen sonst nicht gewohnt war. Er mochte den Tag gar nicht erwarten, an welchem die Tante bei der Seckelmeisterin war und er Luise besuchen konnte. Er fand sie viel besser, als das letzte Mal. Sie kam ihm entgegen, redete lauter, schien überhaupt an Kräften zugenommen zu haben. Das erfreute sichtlich Herrn Stößli, gut wußte er seine Freude auszudrücken, eine innige Theilnahme an den Tag zu legen, schob selbst das Berathen des Entwurfes für heute auf und füllte die Zeit so interessant aus, daß sie unbemerkt vorüber rauschte wie im Himmel. Das nächste Mal, als Herr Stößli wieder kam, war man schon ganz heimelig, aber Luise hustete mehrere Male. Der Teufel, dachte Herr Stößli, die Sache könnte doch fehlen. Er wurde noch viel liebenswürdiger, und in Luisen gingen Adern auf, welche bisher ganz verpicht waren. Sie sprach gut, machte selbst Witz, und zu seinem Erstaunen fand Herr Stößli sie tief gebildet, nicht bloß so oberflächlich. Sie sprach von Grundsätzen und Bildung, hatte die besten Bücher gelesen, sogar vom ewigen Juden von Sue gehört, redete von Lebenszwecken und vom Vorabend einer neuen Zeit, daß Herrn Stößli fast Hören und Sehen verging. Eine solche Bildung, eine so innige Harmonie mit den Grundgedanken seiner Seele war ihm noch nie vorgekommen. Es war an Herrn Stößli, verlegen zu werden, gegenüber einem Mädchen von solchem Vermögen, solcher Bildung, solcher Bescheidenheit obendrein, als er auch einen Lebenszweck erreichen wollte, als er Luisens Hand ergriff, als er sich zärtlichst vor ihr beugte, als er sagte: Ach, Jungfer Luise, ich wage es nicht. Schon lange suche ich umsonst eine Gefährtin nach meinem Sinn, mit der ich glücklich zu werden hoffen darf, mit Bildung und Grundsätzen, mit einer Seele, welche mich und die Zeit versteht. Jetzt, wo ich eine solche finde, jetzt darf ich mich nicht aussprechen, darf nicht hoffen, daß sie mein bescheiden Loos

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[0035] Hause allerlei, sein Subject wußte nicht was, schüttelte den Kopf, lächelte, kurz, er machte eine Menge Manövers, welche man an ihm zu sehen sonst nicht gewohnt war. Er mochte den Tag gar nicht erwarten, an welchem die Tante bei der Seckelmeisterin war und er Luise besuchen konnte. Er fand sie viel besser, als das letzte Mal. Sie kam ihm entgegen, redete lauter, schien überhaupt an Kräften zugenommen zu haben. Das erfreute sichtlich Herrn Stößli, gut wußte er seine Freude auszudrücken, eine innige Theilnahme an den Tag zu legen, schob selbst das Berathen des Entwurfes für heute auf und füllte die Zeit so interessant aus, daß sie unbemerkt vorüber rauschte wie im Himmel. Das nächste Mal, als Herr Stößli wieder kam, war man schon ganz heimelig, aber Luise hustete mehrere Male. Der Teufel, dachte Herr Stößli, die Sache könnte doch fehlen. Er wurde noch viel liebenswürdiger, und in Luisen gingen Adern auf, welche bisher ganz verpicht waren. Sie sprach gut, machte selbst Witz, und zu seinem Erstaunen fand Herr Stößli sie tief gebildet, nicht bloß so oberflächlich. Sie sprach von Grundsätzen und Bildung, hatte die besten Bücher gelesen, sogar vom ewigen Juden von Sue gehört, redete von Lebenszwecken und vom Vorabend einer neuen Zeit, daß Herrn Stößli fast Hören und Sehen verging. Eine solche Bildung, eine so innige Harmonie mit den Grundgedanken seiner Seele war ihm noch nie vorgekommen. Es war an Herrn Stößli, verlegen zu werden, gegenüber einem Mädchen von solchem Vermögen, solcher Bildung, solcher Bescheidenheit obendrein, als er auch einen Lebenszweck erreichen wollte, als er Luisens Hand ergriff, als er sich zärtlichst vor ihr beugte, als er sagte: Ach, Jungfer Luise, ich wage es nicht. Schon lange suche ich umsonst eine Gefährtin nach meinem Sinn, mit der ich glücklich zu werden hoffen darf, mit Bildung und Grundsätzen, mit einer Seele, welche mich und die Zeit versteht. Jetzt, wo ich eine solche finde, jetzt darf ich mich nicht aussprechen, darf nicht hoffen, daß sie mein bescheiden Loos

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T09:45:11Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T09:45:11Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: nein; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Der Notar in der Falle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–43. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_notar_1910/35>, abgerufen am 18.04.2024.