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Gotthelf, Jeremias: Bilder und Sagen aus der Schweiz. Bdch. 1. Die schwarze Spinne. - Ritter von Brandis - Das gelbe Vögelein und das arme Margrithli. Solothurn, 1842.

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berichteten später, in Deutschland und besonders in dessen
Norden, wo die pfiffigen Preußen wohnen, die witzi¬
gen Berliner, die Morgens und Abends unsern Herr¬
gott bedauern, weil er nicht Witze macht wie sie, sei
die Atmosphäre nie so lauter und durchsichtig gewesen,
wie in jenen Tagen des Augusts, wo am Morgen
Nebelmassen, am Abend Wolkenmassen schwarz und
schwer den Schweizern über die Köpfe hingen. Später
vernahm man, daß das seltsame Wetter mit einem
Sturme auf den westindischen Inseln, welcher den 2ten
August mit seltener Heftigkeit wüthete, seinen Anfang
genommen. Diese Massen waren nicht arglose Wölk¬
chen, die auf sanfter Winde leisen Fittigen reisen von
Land zu Land und rosenroth in der Abendröthe Schein
lächeln übers Land herein; die Massen bargen Verder¬
ben in ihrem Schooße, trugen es unter Blitz und Don¬
ner über das ganze Land.

Sie begannen die Ergüsse ihrer Wuth am blauen
Berge, jagten die Kühe in die Sennhütten, schwemm¬
ten den Längnauern ihre Schweine durchs Dorf, er¬
schreckten mehr als sie schadeten. Dann zogen sie vom
Jura weg das Land hinauf, der Hauptstadt zu, trüb
und feucht; und über der Hauptstadt wetterten sie zwei
Tage lang. Bäume brachen, Häuser krachten, Thürme
wankten, bleich verstummte der Mensch, barg sein sün¬
dig Haupt in des Hauses sichersten Winkel.

Von da wälzten sie sich, jeden Tag von neuen
Dünsten schwerer, durch neue Nebelmassen gewaltiger,
das Land hinauf den Bergen zu. Aber zu reich gesät¬
tiget, vermochten sie sich nicht zu schwingen über der
hohen Berge hohe Firnen dem trockenen Italien, dem
weiten Meere zu. Schon an den Voralpen blieben sie
hängen, tobend und wild, sprühten um sich mit ge¬

berichteten ſpäter, in Deutſchland und beſonders in deſſen
Norden, wo die pfiffigen Preußen wohnen, die witzi¬
gen Berliner, die Morgens und Abends unſern Herr¬
gott bedauern, weil er nicht Witze macht wie ſie, ſei
die Atmoſphäre nie ſo lauter und durchſichtig geweſen,
wie in jenen Tagen des Auguſts, wo am Morgen
Nebelmaſſen, am Abend Wolkenmaſſen ſchwarz und
ſchwer den Schweizern über die Köpfe hingen. Später
vernahm man, daß das ſeltſame Wetter mit einem
Sturme auf den weſtindiſchen Inſeln, welcher den 2ten
Auguſt mit ſeltener Heftigkeit wüthete, ſeinen Anfang
genommen. Dieſe Maſſen waren nicht argloſe Wölk¬
chen, die auf ſanfter Winde leiſen Fittigen reiſen von
Land zu Land und roſenroth in der Abendröthe Schein
lächeln übers Land herein; die Maſſen bargen Verder¬
ben in ihrem Schooße, trugen es unter Blitz und Don¬
ner über das ganze Land.

Sie begannen die Ergüſſe ihrer Wuth am blauen
Berge, jagten die Kühe in die Sennhütten, ſchwemm¬
ten den Längnauern ihre Schweine durchs Dorf, er¬
ſchreckten mehr als ſie ſchadeten. Dann zogen ſie vom
Jura weg das Land hinauf, der Hauptſtadt zu, trüb
und feucht; und über der Hauptſtadt wetterten ſie zwei
Tage lang. Bäume brachen, Häuſer krachten, Thürme
wankten, bleich verſtummte der Menſch, barg ſein ſün¬
dig Haupt in des Hauſes ſicherſten Winkel.

Von da wälzten ſie ſich, jeden Tag von neuen
Dünſten ſchwerer, durch neue Nebelmaſſen gewaltiger,
das Land hinauf den Bergen zu. Aber zu reich geſät¬
tiget, vermochten ſie ſich nicht zu ſchwingen über der
hohen Berge hohe Firnen dem trockenen Italien, dem
weiten Meere zu. Schon an den Voralpen blieben ſie
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[116/0126] berichteten ſpäter, in Deutſchland und beſonders in deſſen Norden, wo die pfiffigen Preußen wohnen, die witzi¬ gen Berliner, die Morgens und Abends unſern Herr¬ gott bedauern, weil er nicht Witze macht wie ſie, ſei die Atmoſphäre nie ſo lauter und durchſichtig geweſen, wie in jenen Tagen des Auguſts, wo am Morgen Nebelmaſſen, am Abend Wolkenmaſſen ſchwarz und ſchwer den Schweizern über die Köpfe hingen. Später vernahm man, daß das ſeltſame Wetter mit einem Sturme auf den weſtindiſchen Inſeln, welcher den 2ten Auguſt mit ſeltener Heftigkeit wüthete, ſeinen Anfang genommen. Dieſe Maſſen waren nicht argloſe Wölk¬ chen, die auf ſanfter Winde leiſen Fittigen reiſen von Land zu Land und roſenroth in der Abendröthe Schein lächeln übers Land herein; die Maſſen bargen Verder¬ ben in ihrem Schooße, trugen es unter Blitz und Don¬ ner über das ganze Land. Sie begannen die Ergüſſe ihrer Wuth am blauen Berge, jagten die Kühe in die Sennhütten, ſchwemm¬ ten den Längnauern ihre Schweine durchs Dorf, er¬ ſchreckten mehr als ſie ſchadeten. Dann zogen ſie vom Jura weg das Land hinauf, der Hauptſtadt zu, trüb und feucht; und über der Hauptſtadt wetterten ſie zwei Tage lang. Bäume brachen, Häuſer krachten, Thürme wankten, bleich verſtummte der Menſch, barg ſein ſün¬ dig Haupt in des Hauſes ſicherſten Winkel. Von da wälzten ſie ſich, jeden Tag von neuen Dünſten ſchwerer, durch neue Nebelmaſſen gewaltiger, das Land hinauf den Bergen zu. Aber zu reich geſät¬ tiget, vermochten ſie ſich nicht zu ſchwingen über der hohen Berge hohe Firnen dem trockenen Italien, dem weiten Meere zu. Schon an den Voralpen blieben ſie hängen, tobend und wild, ſprühten um ſich mit ge¬

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Zitationshilfe: Gotthelf, Jeremias: Bilder und Sagen aus der Schweiz. Bdch. 1. Die schwarze Spinne. - Ritter von Brandis - Das gelbe Vögelein und das arme Margrithli. Solothurn, 1842, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_sagen_1842/126>, abgerufen am 19.05.2024.