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Gotthelf, Jeremias: Bilder und Sagen aus der Schweiz. Bdch. 1. Die schwarze Spinne. - Ritter von Brandis - Das gelbe Vögelein und das arme Margrithli. Solothurn, 1842.

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der Emme tobende Wuth und wie sie bereits ins Land
gebrochen, durch den Farbschachen niederfluhtete. Da
ließ der Müller ungefragt seinen Schlitten fahren,
stürzte durch Wald und Weid ins Thal hinab, den
nächsten Weg seiner Mühle zu. Aber schon fand er
sie nicht mehr, fand oben an der Halde Weib und
Kinder, aber der Säugling fehlte. Nachbarn hielten
das verzweifelnde Weib, welches in die Fluthen sich
stürzen wollte, dem ertrunkenen Kinde nach. Lautlos,
mit gerungenen Händen stand der Müller über dem
wilden Wasser und der Halde Rand. Da kam auf
fuchsrothem Hengste der Ritter angesprengt, fuhr mit
Toben und Drohen auf den Müller ein, daß er unge¬
fragt und unerlaubt den Schlitten verlassen.

"Der aber hob seine Fäuste geballt zum Ritter auf
und nannte ihn Kindesmörder und des Teufels leib¬
haftiger Sohn. Da schmetterte des Ritters Streitaxt
auf seinen Retter nieder, dem er kein Wort des Dan¬
kes gesagt, und mit geborstenem Schädel stürzte dieser
rücklings die Halde hinab in die wilde Fluth. Als
die Müllerin sah des Ritters That, riß sie sich aus
den haltenden Armen, hob hoch zum Himmel ihre Hände
und verfluchte den Ritter, daß er keine Ruhe im Grabe
haben solle, sondern Emme auf, Emme ab schwellen
müsse in dunkler Nacht, bei drohender Wassergröße,
und stürzte sich Mann und Kinde nach in die Wel¬
len. Lange noch sah die betäubte Menge blutige Kreise
von des Müllers gebrochnem Schädel das Wasser nie¬
derziehen, und neben ihnen hochaufgestreckt die fluchende
Hand der Müllerin. Trotzig sah der Ritter über die
betäubte Menge den verschwindenden Leichen nach;
trotzig, würdig seines trotzigen Geschlechtes, ritt er heim
und trotzig geberdete er sich je einen Tag wie den an¬

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der Emme tobende Wuth und wie ſie bereits ins Land
gebrochen, durch den Farbſchachen niederfluhtete. Da
ließ der Müller ungefragt ſeinen Schlitten fahren,
ſtürzte durch Wald und Weid ins Thal hinab, den
nächſten Weg ſeiner Mühle zu. Aber ſchon fand er
ſie nicht mehr, fand oben an der Halde Weib und
Kinder, aber der Säugling fehlte. Nachbarn hielten
das verzweifelnde Weib, welches in die Fluthen ſich
ſtürzen wollte, dem ertrunkenen Kinde nach. Lautlos,
mit gerungenen Händen ſtand der Müller über dem
wilden Waſſer und der Halde Rand. Da kam auf
fuchsrothem Hengſte der Ritter angeſprengt, fuhr mit
Toben und Drohen auf den Müller ein, daß er unge¬
fragt und unerlaubt den Schlitten verlaſſen.

„Der aber hob ſeine Fäuſte geballt zum Ritter auf
und nannte ihn Kindesmörder und des Teufels leib¬
haftiger Sohn. Da ſchmetterte des Ritters Streitaxt
auf ſeinen Retter nieder, dem er kein Wort des Dan¬
kes geſagt, und mit geborſtenem Schädel ſtürzte dieſer
rücklings die Halde hinab in die wilde Fluth. Als
die Müllerin ſah des Ritters That, riß ſie ſich aus
den haltenden Armen, hob hoch zum Himmel ihre Hände
und verfluchte den Ritter, daß er keine Ruhe im Grabe
haben ſolle, ſondern Emme auf, Emme ab ſchwellen
müſſe in dunkler Nacht, bei drohender Waſſergröße,
und ſtürzte ſich Mann und Kinde nach in die Wel¬
len. Lange noch ſah die betäubte Menge blutige Kreiſe
von des Müllers gebrochnem Schädel das Waſſer nie¬
derziehen, und neben ihnen hochaufgeſtreckt die fluchende
Hand der Müllerin. Trotzig ſah der Ritter über die
betäubte Menge den verſchwindenden Leichen nach;
trotzig, würdig ſeines trotzigen Geſchlechtes, ritt er heim
und trotzig geberdete er ſich je einen Tag wie den an¬

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[129/0139] der Emme tobende Wuth und wie ſie bereits ins Land gebrochen, durch den Farbſchachen niederfluhtete. Da ließ der Müller ungefragt ſeinen Schlitten fahren, ſtürzte durch Wald und Weid ins Thal hinab, den nächſten Weg ſeiner Mühle zu. Aber ſchon fand er ſie nicht mehr, fand oben an der Halde Weib und Kinder, aber der Säugling fehlte. Nachbarn hielten das verzweifelnde Weib, welches in die Fluthen ſich ſtürzen wollte, dem ertrunkenen Kinde nach. Lautlos, mit gerungenen Händen ſtand der Müller über dem wilden Waſſer und der Halde Rand. Da kam auf fuchsrothem Hengſte der Ritter angeſprengt, fuhr mit Toben und Drohen auf den Müller ein, daß er unge¬ fragt und unerlaubt den Schlitten verlaſſen. „Der aber hob ſeine Fäuſte geballt zum Ritter auf und nannte ihn Kindesmörder und des Teufels leib¬ haftiger Sohn. Da ſchmetterte des Ritters Streitaxt auf ſeinen Retter nieder, dem er kein Wort des Dan¬ kes geſagt, und mit geborſtenem Schädel ſtürzte dieſer rücklings die Halde hinab in die wilde Fluth. Als die Müllerin ſah des Ritters That, riß ſie ſich aus den haltenden Armen, hob hoch zum Himmel ihre Hände und verfluchte den Ritter, daß er keine Ruhe im Grabe haben ſolle, ſondern Emme auf, Emme ab ſchwellen müſſe in dunkler Nacht, bei drohender Waſſergröße, und ſtürzte ſich Mann und Kinde nach in die Wel¬ len. Lange noch ſah die betäubte Menge blutige Kreiſe von des Müllers gebrochnem Schädel das Waſſer nie¬ derziehen, und neben ihnen hochaufgeſtreckt die fluchende Hand der Müllerin. Trotzig ſah der Ritter über die betäubte Menge den verſchwindenden Leichen nach; trotzig, würdig ſeines trotzigen Geſchlechtes, ritt er heim und trotzig geberdete er ſich je einen Tag wie den an¬ I. 9

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Zitationshilfe: Gotthelf, Jeremias: Bilder und Sagen aus der Schweiz. Bdch. 1. Die schwarze Spinne. - Ritter von Brandis - Das gelbe Vögelein und das arme Margrithli. Solothurn, 1842, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_sagen_1842/139>, abgerufen am 24.11.2024.