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Gotthelf, Jeremias: Bilder und Sagen aus der Schweiz. Bdch. 1. Die schwarze Spinne. - Ritter von Brandis - Das gelbe Vögelein und das arme Margrithli. Solothurn, 1842.

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dern. Aber eine unsichtbare Gewalt schien den mäch¬
tigen Leib zu verzehren; er fiel Tag um Tag sichtbarlich
zusammen, und ehe das Jahr um war und der Flüh¬
luft wieder kam von den Bergen her, ward der tro¬
tzige Freiherr von Brandis begraben zu Lützelflüh. Dort
liegt er tief in der Kirche Chor, sein Grabmal sieht
man nicht.

"Aber wenn der Flühluft über die Berge weht, der
Styggrad den schwarzen Streifen zeigt, heiße Dünste
wettern wollen in den Bergen, so regt es sich und
stöhnt in des Ritters Grabe. Er muß auf, muß die
schwere Streitaxt fassen mit knöcherner Hand, muß in
eisernem Gewande die Emme auf und ab, die rothen
Augenbraunen flatternd im Nachtwinde. Wo er lockere
Pfähle in den Schwellen sieht, da muß er sie festschla¬
gen mit seiner Streitaxt, muß neue einschlagen, wo
es Noth thut und der Mensch es nicht gewahrt; muß
durch sein Klopfen und Schlagen, das in dunkler
Nacht so schauerlich von Felsen zu Felsen hallt, die
Anwohner warnen, zu wehren und zu wahren zu rech¬
ter Zeit der Emme Schwellen und ihr Eigenthum;
und muß dann stehen, da wo er den Müller erschlagen,
bis er wittert Morgenluft, bis seine Augenbraunen
flattern im Morgenwinde, bis von der Mühle herauf
der Hahn kräht, dann darf er wieder in seines Gra¬
bes Moder. Dieser Bann drückte gewaltig die stolze
Familie. Um schwer Geld sollte ein kundig Mönchlein
ihn lösen; denn der Glaube, daß Geld und Gewalt
Alles möglich sei, hatte sie so trotzig gemacht. Das
Mönchlein aber sprach nach langem Forschen: Diesen
Bann kann ich nicht lösen, der Fluch wird den Ritter
wecken im Grabe, rufen an der Emme Schwellen und
Wehren, bis die Emme zahm wird, bis sie keine

dern. Aber eine unſichtbare Gewalt ſchien den mäch¬
tigen Leib zu verzehren; er fiel Tag um Tag ſichtbarlich
zuſammen, und ehe das Jahr um war und der Flüh¬
luft wieder kam von den Bergen her, ward der tro¬
tzige Freiherr von Brandis begraben zu Lützelflüh. Dort
liegt er tief in der Kirche Chor, ſein Grabmal ſieht
man nicht.

„Aber wenn der Flühluft über die Berge weht, der
Styggrad den ſchwarzen Streifen zeigt, heiße Dünſte
wettern wollen in den Bergen, ſo regt es ſich und
ſtöhnt in des Ritters Grabe. Er muß auf, muß die
ſchwere Streitaxt faſſen mit knöcherner Hand, muß in
eiſernem Gewande die Emme auf und ab, die rothen
Augenbraunen flatternd im Nachtwinde. Wo er lockere
Pfähle in den Schwellen ſieht, da muß er ſie feſtſchla¬
gen mit ſeiner Streitaxt, muß neue einſchlagen, wo
es Noth thut und der Menſch es nicht gewahrt; muß
durch ſein Klopfen und Schlagen, das in dunkler
Nacht ſo ſchauerlich von Felſen zu Felſen hallt, die
Anwohner warnen, zu wehren und zu wahren zu rech¬
ter Zeit der Emme Schwellen und ihr Eigenthum;
und muß dann ſtehen, da wo er den Müller erſchlagen,
bis er wittert Morgenluft, bis ſeine Augenbraunen
flattern im Morgenwinde, bis von der Mühle herauf
der Hahn kräht, dann darf er wieder in ſeines Gra¬
bes Moder. Dieſer Bann drückte gewaltig die ſtolze
Familie. Um ſchwer Geld ſollte ein kundig Mönchlein
ihn löſen; denn der Glaube, daß Geld und Gewalt
Alles möglich ſei, hatte ſie ſo trotzig gemacht. Das
Mönchlein aber ſprach nach langem Forſchen: Dieſen
Bann kann ich nicht löſen, der Fluch wird den Ritter
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Wehren, bis die Emme zahm wird, bis ſie keine

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[130/0140] dern. Aber eine unſichtbare Gewalt ſchien den mäch¬ tigen Leib zu verzehren; er fiel Tag um Tag ſichtbarlich zuſammen, und ehe das Jahr um war und der Flüh¬ luft wieder kam von den Bergen her, ward der tro¬ tzige Freiherr von Brandis begraben zu Lützelflüh. Dort liegt er tief in der Kirche Chor, ſein Grabmal ſieht man nicht. „Aber wenn der Flühluft über die Berge weht, der Styggrad den ſchwarzen Streifen zeigt, heiße Dünſte wettern wollen in den Bergen, ſo regt es ſich und ſtöhnt in des Ritters Grabe. Er muß auf, muß die ſchwere Streitaxt faſſen mit knöcherner Hand, muß in eiſernem Gewande die Emme auf und ab, die rothen Augenbraunen flatternd im Nachtwinde. Wo er lockere Pfähle in den Schwellen ſieht, da muß er ſie feſtſchla¬ gen mit ſeiner Streitaxt, muß neue einſchlagen, wo es Noth thut und der Menſch es nicht gewahrt; muß durch ſein Klopfen und Schlagen, das in dunkler Nacht ſo ſchauerlich von Felſen zu Felſen hallt, die Anwohner warnen, zu wehren und zu wahren zu rech¬ ter Zeit der Emme Schwellen und ihr Eigenthum; und muß dann ſtehen, da wo er den Müller erſchlagen, bis er wittert Morgenluft, bis ſeine Augenbraunen flattern im Morgenwinde, bis von der Mühle herauf der Hahn kräht, dann darf er wieder in ſeines Gra¬ bes Moder. Dieſer Bann drückte gewaltig die ſtolze Familie. Um ſchwer Geld ſollte ein kundig Mönchlein ihn löſen; denn der Glaube, daß Geld und Gewalt Alles möglich ſei, hatte ſie ſo trotzig gemacht. Das Mönchlein aber ſprach nach langem Forſchen: Dieſen Bann kann ich nicht löſen, der Fluch wird den Ritter wecken im Grabe, rufen an der Emme Schwellen und Wehren, bis die Emme zahm wird, bis ſie keine

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Zitationshilfe: Gotthelf, Jeremias: Bilder und Sagen aus der Schweiz. Bdch. 1. Die schwarze Spinne. - Ritter von Brandis - Das gelbe Vögelein und das arme Margrithli. Solothurn, 1842, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_sagen_1842/140>, abgerufen am 21.11.2024.