Gotthelf, Jeremias: Bilder und Sagen aus der Schweiz. Bdch. 1. Die schwarze Spinne. - Ritter von Brandis - Das gelbe Vögelein und das arme Margrithli. Solothurn, 1842.geheißen und zum Tisch gezogen, und ein großer Teller geheißen und zum Tiſch gezogen, und ein großer Teller <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0022" n="12"/> geheißen und zum Tiſch gezogen, und ein großer Teller<lb/> voll Weinwarm vor ſie geſtellt und den ſollte ſie eſſen,<lb/> ſie hätte wohl noch Zeit, während man das Kind zu¬<lb/> recht mache. Die arme Gotte wehrte ſich mit Händen<lb/> und Füßen, behauptete, ſie hätte gegeſſen für manchen<lb/> Tag, und könne nicht mehr ſchnaufen. Aber da half<lb/> alles nichts. Alt und Jung war mit Spott und Ernſt<lb/> hinter ihr, bis ſie zum Löffel griff, und ſeltſam, ein<lb/> Löffel nach dem andern fand noch ſein Plätzchen. Doch<lb/> da kam ſchon wieder die Hebamme mit dem ſchön ein¬<lb/> gewickelten Kinde, zog ihm das geſtickte Käppchen an<lb/> mit dem roſenrothen Seidenbande, legte daſſelbe in das<lb/> ſchöne Deckbettlein, ſteckte ihm das ſüße Lulli ins Mäul¬<lb/> chen und ſagte: Sie begehre Niemand zu verſäumen<lb/> und hätte gedacht, ſie wolle Alles zurecht machen, man<lb/> könne dann immer gehen, wann man wolle. Man um¬<lb/> ſtand das Kind und rühmte es wie billig, und es war<lb/> auch ein wunderappetitlich Bübchen. Die Mutter freute<lb/> ſich des Lobes und ſagte: „Ich wäre auch ſo gerne mit<lb/> zur Kirche gekommen und hätte es Gott empfehlen hel¬<lb/> fen, und wenn man ſelbſt dabei iſt, wenn das Kind<lb/> getauft wird, ſo ſinnet man um ſo beſſer daran, was<lb/> man verſprochen hat. Zudem iſt es mir ſo unbequem,<lb/> wenn ich noch eine ganze Woche lang nicht vor das<lb/> Dachtraufe darf, jetzt wo man alle Hände voll zu thun<lb/> hat mit dem Anpflanzen.“ Aber die Großmutter ſagte:<lb/> So weit ſei es doch noch nicht, daß ihre Sohnsfrau<lb/> wie eine arme Frau in den erſten acht Tagen ihren<lb/> Kirchgang thun müſſe, und die Hebamme ſetzte hinzu,<lb/> ſie hätte es gar nicht gerne, wenn junge Weiber mit<lb/> den Kindern zur Kirche gingen. Sie hätten immer<lb/> Angſt, es gehe daheim etwas Krummes, hätten doch<lb/> nicht die <hi rendition="#g">rechte Andacht</hi> in der Kirche und auf dem<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [12/0022]
geheißen und zum Tiſch gezogen, und ein großer Teller
voll Weinwarm vor ſie geſtellt und den ſollte ſie eſſen,
ſie hätte wohl noch Zeit, während man das Kind zu¬
recht mache. Die arme Gotte wehrte ſich mit Händen
und Füßen, behauptete, ſie hätte gegeſſen für manchen
Tag, und könne nicht mehr ſchnaufen. Aber da half
alles nichts. Alt und Jung war mit Spott und Ernſt
hinter ihr, bis ſie zum Löffel griff, und ſeltſam, ein
Löffel nach dem andern fand noch ſein Plätzchen. Doch
da kam ſchon wieder die Hebamme mit dem ſchön ein¬
gewickelten Kinde, zog ihm das geſtickte Käppchen an
mit dem roſenrothen Seidenbande, legte daſſelbe in das
ſchöne Deckbettlein, ſteckte ihm das ſüße Lulli ins Mäul¬
chen und ſagte: Sie begehre Niemand zu verſäumen
und hätte gedacht, ſie wolle Alles zurecht machen, man
könne dann immer gehen, wann man wolle. Man um¬
ſtand das Kind und rühmte es wie billig, und es war
auch ein wunderappetitlich Bübchen. Die Mutter freute
ſich des Lobes und ſagte: „Ich wäre auch ſo gerne mit
zur Kirche gekommen und hätte es Gott empfehlen hel¬
fen, und wenn man ſelbſt dabei iſt, wenn das Kind
getauft wird, ſo ſinnet man um ſo beſſer daran, was
man verſprochen hat. Zudem iſt es mir ſo unbequem,
wenn ich noch eine ganze Woche lang nicht vor das
Dachtraufe darf, jetzt wo man alle Hände voll zu thun
hat mit dem Anpflanzen.“ Aber die Großmutter ſagte:
So weit ſei es doch noch nicht, daß ihre Sohnsfrau
wie eine arme Frau in den erſten acht Tagen ihren
Kirchgang thun müſſe, und die Hebamme ſetzte hinzu,
ſie hätte es gar nicht gerne, wenn junge Weiber mit
den Kindern zur Kirche gingen. Sie hätten immer
Angſt, es gehe daheim etwas Krummes, hätten doch
nicht die rechte Andacht in der Kirche und auf dem
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