Gotthelf, Jeremias: Bilder und Sagen aus der Schweiz. Bdch. 1. Die schwarze Spinne. - Ritter von Brandis - Das gelbe Vögelein und das arme Margrithli. Solothurn, 1842.je lauter es schrie, daß Blätter stoben von ihrem Maien l. 2
je lauter es ſchrie, daß Blätter ſtoben von ihrem Maien l. 2
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0027" n="17"/> je lauter es ſchrie, daß Blätter ſtoben von ihrem Maien<lb/> an der Bruſt. Auf dieſer Bruſt ward es ihr enger und<lb/> ſchwerer, laut hörte man ihr Athemfaſſen. Je höher<lb/> ihre Bruſt ſich hob, um ſo höher flog das Kind in ih¬<lb/> ren Armen, und je höher es flog, um ſo lauter ſchrie<lb/> es, und je lauter es ſchrie, um ſo gewaltiger las der<lb/> Pfarrer die Gebete. Die Stimmen praſſelten ordentlich<lb/> an den Wänden und die Gotte wußte nicht mehr wo<lb/> ſie war; es ſauste und brauste um ſie wie Meeres¬<lb/> wogen und die Kirche tanzte mit ihr in der Luft herum.<lb/> Endlich ſagte der Pfarrer „Amen“, und jetzt war der<lb/> ſchreckliche Augenblick da, jetzt ſollte es ſich entſcheiden,<lb/> ob ſie zum Spott werden ſollte für Kind und Kindes¬<lb/> kinder; jetzt mußte ſie das Tuch abheben, das Kind dem<lb/> Pfarrer geben und den Namen ihm ins rechte Ohr flü¬<lb/> ſtern. Sie deckte ab, aber zitternd und bebend, reichte<lb/> das Kind dar, und der Pfarrer nahm es, ſah ſie nicht<lb/> an, frug ſie nicht mit ſcharfem Auge, tauchte die Hand<lb/> ins Waſſer, netzte des plötzlich ſchweigenden Kindes<lb/> Stirne und taufte kein Mädeli, kein Bäbeli, ſondern<lb/> einen Hans Uli, einen ehrlichen wirklichen Hans Uli.<lb/> Da wars der Gotte als ob nicht nur ſämmtliche Emmen¬<lb/> thaler Berge ihr ab dem Herzen fielen, ſondern Sonne,<lb/> Mond und Sterne, und aus einem feurigen Ofen ſie<lb/> Jemand trage in ein kühles Bad; aber die ganze Pre¬<lb/> digt durch bebten ihr die Glieder und wollten nicht wie¬<lb/> der ſtille werden. Der Pfarrer predigte recht ſchön und<lb/> eindringlich, wie eigentlich das Leben der Menſchen nichts<lb/> anders ſein ſolle als eine Himmelfahrt; aber zu rechter<lb/> Andacht brachte es die Gotte nicht, und als man aus<lb/> der Predigt kam, hatte ſie ſchon den Text vergeſſen.<lb/> Sie mochte gar nicht warten, bis ſie ihre geheime Angſt<lb/> offenbaren konnte und den Grund ihres blaſſen Geſichtes.</p><lb/> <fw place="bottom" type="sig">l. 2<lb/></fw> </div> </body> </text> </TEI> [17/0027]
je lauter es ſchrie, daß Blätter ſtoben von ihrem Maien
an der Bruſt. Auf dieſer Bruſt ward es ihr enger und
ſchwerer, laut hörte man ihr Athemfaſſen. Je höher
ihre Bruſt ſich hob, um ſo höher flog das Kind in ih¬
ren Armen, und je höher es flog, um ſo lauter ſchrie
es, und je lauter es ſchrie, um ſo gewaltiger las der
Pfarrer die Gebete. Die Stimmen praſſelten ordentlich
an den Wänden und die Gotte wußte nicht mehr wo
ſie war; es ſauste und brauste um ſie wie Meeres¬
wogen und die Kirche tanzte mit ihr in der Luft herum.
Endlich ſagte der Pfarrer „Amen“, und jetzt war der
ſchreckliche Augenblick da, jetzt ſollte es ſich entſcheiden,
ob ſie zum Spott werden ſollte für Kind und Kindes¬
kinder; jetzt mußte ſie das Tuch abheben, das Kind dem
Pfarrer geben und den Namen ihm ins rechte Ohr flü¬
ſtern. Sie deckte ab, aber zitternd und bebend, reichte
das Kind dar, und der Pfarrer nahm es, ſah ſie nicht
an, frug ſie nicht mit ſcharfem Auge, tauchte die Hand
ins Waſſer, netzte des plötzlich ſchweigenden Kindes
Stirne und taufte kein Mädeli, kein Bäbeli, ſondern
einen Hans Uli, einen ehrlichen wirklichen Hans Uli.
Da wars der Gotte als ob nicht nur ſämmtliche Emmen¬
thaler Berge ihr ab dem Herzen fielen, ſondern Sonne,
Mond und Sterne, und aus einem feurigen Ofen ſie
Jemand trage in ein kühles Bad; aber die ganze Pre¬
digt durch bebten ihr die Glieder und wollten nicht wie¬
der ſtille werden. Der Pfarrer predigte recht ſchön und
eindringlich, wie eigentlich das Leben der Menſchen nichts
anders ſein ſolle als eine Himmelfahrt; aber zu rechter
Andacht brachte es die Gotte nicht, und als man aus
der Predigt kam, hatte ſie ſchon den Text vergeſſen.
Sie mochte gar nicht warten, bis ſie ihre geheime Angſt
offenbaren konnte und den Grund ihres blaſſen Geſichtes.
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