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Gotthelf, Jeremias: Bilder und Sagen aus der Schweiz. Bdch. 1. Die schwarze Spinne. - Ritter von Brandis - Das gelbe Vögelein und das arme Margrithli. Solothurn, 1842.

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nicht; der Eine hatte Werkleute, der Andere Leute be¬
stellt und der Dritte mußte noch wohin, -- aber warten
solle man nicht auf sie, sondern nur fürfahren in der
Sache. Räthig war man bald, dieser Mahnung zu fol¬
gen, denn wenn man allen warten müßte, sagte man,
so könne das gehen bis der Mond käme; nebenbei frei¬
lich brummte die Hebamme: es sei doch nichts dümme¬
res als ein solches Wartenlassen, im Herzen wäre doch
jeder gerne da und zwar je eher je lieber, aber es solle
es Niemand merken. So müsse man die Mühe haben
alles wieder an die Wärme zu stellen, wisse nie, ob
man genug habe, und werde nie fertig. War aber schon
der Rath wegen den Abwesenden schnell gefaßt, so war
man doch mit den Anwesenden noch nicht fertig, hatte
bedenkliche Mühe sie in die Stube, sie zum Sitzen zu
bringen, denn Keiner wollte der Erste sein, bei diesem
nicht, bei jenem nicht. Als endlich alle saßen, kam die
Suppe auf den Tisch, eine schöne Fleischsuppe mit Sa¬
fran gefärbt und gewürzt und mit dem schönen weißen
Brod, das die Großmutter eingeschnitten, so dick gesät¬
tigt, daß von der Brühe wenig sichtbar war. Nun ent¬
blößten sich alle Häupter, die Hände falteten sich und
lange und feierlich betete jedes für sich zu dem Geber
jeder guten Gabe. Dann erst griff man langsam zum
blechernen Löffel, wischte denselben am schönen weißen
Tischtuch aus und ließ sich an die Suppe, und man¬
cher Wunsch wurde laut, wenn man alle Tage eine
Solche hätte, so begehrte man nichts anders. Als man
mit der Suppe fertig war, wischte man die Löffel am
Tischtuch wieder aus, die Züpfe wurden herumgeboten,
jeder schnitt sich sein Stück ab, und sah zu wie die
Voressen an Safranbrühe aufgetragen wurden, Voressen
von Hirn, von Schaffleisch, saure Leber. Als die erledigt

nicht; der Eine hatte Werkleute, der Andere Leute be¬
ſtellt und der Dritte mußte noch wohin, — aber warten
ſolle man nicht auf ſie, ſondern nur fürfahren in der
Sache. Räthig war man bald, dieſer Mahnung zu fol¬
gen, denn wenn man allen warten müßte, ſagte man,
ſo könne das gehen bis der Mond käme; nebenbei frei¬
lich brummte die Hebamme: es ſei doch nichts dümme¬
res als ein ſolches Wartenlaſſen, im Herzen wäre doch
jeder gerne da und zwar je eher je lieber, aber es ſolle
es Niemand merken. So müſſe man die Mühe haben
alles wieder an die Wärme zu ſtellen, wiſſe nie, ob
man genug habe, und werde nie fertig. War aber ſchon
der Rath wegen den Abweſenden ſchnell gefaßt, ſo war
man doch mit den Anweſenden noch nicht fertig, hatte
bedenkliche Mühe ſie in die Stube, ſie zum Sitzen zu
bringen, denn Keiner wollte der Erſte ſein, bei dieſem
nicht, bei jenem nicht. Als endlich alle ſaßen, kam die
Suppe auf den Tiſch, eine ſchöne Fleiſchſuppe mit Sa¬
fran gefärbt und gewürzt und mit dem ſchönen weißen
Brod, das die Großmutter eingeſchnitten, ſo dick geſät¬
tigt, daß von der Brühe wenig ſichtbar war. Nun ent¬
blößten ſich alle Häupter, die Hände falteten ſich und
lange und feierlich betete jedes für ſich zu dem Geber
jeder guten Gabe. Dann erſt griff man langſam zum
blechernen Löffel, wiſchte denſelben am ſchönen weißen
Tiſchtuch aus und ließ ſich an die Suppe, und man¬
cher Wunſch wurde laut, wenn man alle Tage eine
Solche hätte, ſo begehrte man nichts anders. Als man
mit der Suppe fertig war, wiſchte man die Löffel am
Tiſchtuch wieder aus, die Züpfe wurden herumgeboten,
jeder ſchnitt ſich ſein Stück ab, und ſah zu wie die
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[19/0029] nicht; der Eine hatte Werkleute, der Andere Leute be¬ ſtellt und der Dritte mußte noch wohin, — aber warten ſolle man nicht auf ſie, ſondern nur fürfahren in der Sache. Räthig war man bald, dieſer Mahnung zu fol¬ gen, denn wenn man allen warten müßte, ſagte man, ſo könne das gehen bis der Mond käme; nebenbei frei¬ lich brummte die Hebamme: es ſei doch nichts dümme¬ res als ein ſolches Wartenlaſſen, im Herzen wäre doch jeder gerne da und zwar je eher je lieber, aber es ſolle es Niemand merken. So müſſe man die Mühe haben alles wieder an die Wärme zu ſtellen, wiſſe nie, ob man genug habe, und werde nie fertig. War aber ſchon der Rath wegen den Abweſenden ſchnell gefaßt, ſo war man doch mit den Anweſenden noch nicht fertig, hatte bedenkliche Mühe ſie in die Stube, ſie zum Sitzen zu bringen, denn Keiner wollte der Erſte ſein, bei dieſem nicht, bei jenem nicht. Als endlich alle ſaßen, kam die Suppe auf den Tiſch, eine ſchöne Fleiſchſuppe mit Sa¬ fran gefärbt und gewürzt und mit dem ſchönen weißen Brod, das die Großmutter eingeſchnitten, ſo dick geſät¬ tigt, daß von der Brühe wenig ſichtbar war. Nun ent¬ blößten ſich alle Häupter, die Hände falteten ſich und lange und feierlich betete jedes für ſich zu dem Geber jeder guten Gabe. Dann erſt griff man langſam zum blechernen Löffel, wiſchte denſelben am ſchönen weißen Tiſchtuch aus und ließ ſich an die Suppe, und man¬ cher Wunſch wurde laut, wenn man alle Tage eine Solche hätte, ſo begehrte man nichts anders. Als man mit der Suppe fertig war, wiſchte man die Löffel am Tiſchtuch wieder aus, die Züpfe wurden herumgeboten, jeder ſchnitt ſich ſein Stück ab, und ſah zu wie die Voreſſen an Safranbrühe aufgetragen wurden, Voreſſen von Hirn, von Schaffleiſch, ſaure Leber. Als die erledigt

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Zitationshilfe: Gotthelf, Jeremias: Bilder und Sagen aus der Schweiz. Bdch. 1. Die schwarze Spinne. - Ritter von Brandis - Das gelbe Vögelein und das arme Margrithli. Solothurn, 1842, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_sagen_1842/29>, abgerufen am 21.11.2024.