pgo_121.001 eine krankhafte zersetzt. Doch als modisch beliebte Manier hat diese pgo_121.002 Ueberreizung mit lyrischen Kontrasten vielen Schaden gethan -- man pgo_121.003 kann sie bei Dichtern, wie Beck, Lenau u. A. verfolgen, die den Einfluß pgo_121.004 Heine's nicht ganz verleugnen.
pgo_121.005 Der Kontrast bedarf vor Allem der Motivirung. Die Motivirung pgo_121.006 ist der innere Kausalnexus des Kunstwerkes. Das Kunstwerk als Ganzespgo_121.007 tritt aus dem verstandesmäßigen Zusammenhange der Erscheinungen pgo_121.008 heraus -- seine Wirkung beruht gerade darauf, daß es wie ein Blitz der pgo_121.009 Jdee unser Auge trifft, daß wir nach seiner weiteren Legitimation nicht pgo_121.010 fragen, weil uns das All in ihm erschöpft scheint. Doch innerhalb seines pgo_121.011 Organismus selbst waltet der Verstand in der Verkettung des Gewebes, pgo_121.012 freilich so, daß wir ihn selbst über seiner Schöpfung vergessen. Die Motivirung pgo_121.013 ist der immanente Verstand der Dichtung. Jn der äußern Welt pgo_121.014 ist die Kette der Ursachen und Wirkungen eine unendliche. Sie geht pgo_121.015 endlos zurück in der Zeit, verliert sich endlos in die Breite des Raumes. pgo_121.016 Jede Erscheinung ist nur der Knotenpunkt vieler weit in die Vergangenheit pgo_121.017 zurücklaufender Fäden und wächst dabei mit tausend Fasern aus pgo_121.018 einer gleichzeitigen Welt hervor. Das erste Erforderniß künstlerischer pgo_121.019 Motivirung ist daher die Beschränkung, das Abstecken der Grenze in pgo_121.020 Zeit und Raum. Wieweit soll der Dichter in seiner Motivirung pgo_121.021 zurückgreifen, und wieviel soll er aus der Breite der umgebenden Welt pgo_121.022 mit aufnehmen? Das Drama z. B. bietet eine abgeschlossene Handlung pgo_121.023 dar; aber diese Handlung selbst geht aus einer Vergangenheit pgo_121.024 hervor, welche hinter dem Vorhang liegt. Der Anfang des Dramas pgo_121.025 soll uns nun gleich die rückwärts reichenden Fäden der Handlung in pgo_121.026 die Hand geben, zugleich mit der Grundlage, aus welcher das pgo_121.027 ganze Stück hervorgeht. Diese Motivirung heißt im Drama Exposition,pgo_121.028 und wir verlangen von ihr, daß sie in dramatischer Weise pgo_121.029 durch Handlung, und nicht in epischer durch Erzählung vor sich gehe. pgo_121.030 Verkehrt dagegen ist die beliebte Manier der sogenannten Bühneneffectschriftsteller, pgo_121.031 uns von Hause aus in ein unentwirrtes Netz von Verhältnissen pgo_121.032 einzuspinnen, das Vergangene als ein unerschlossenes Geheimniß pgo_121.033 mit räthselhaft drohender Haltung durchzuführen und erst am pgo_121.034 Schlusse mit dem Knoten des Stückes selbst auch diese dunklen Antecedentien pgo_121.035 zu lösen. Die Spannung des Dramas geht nach der Zukunft
pgo_121.001 eine krankhafte zersetzt. Doch als modisch beliebte Manier hat diese pgo_121.002 Ueberreizung mit lyrischen Kontrasten vielen Schaden gethan — man pgo_121.003 kann sie bei Dichtern, wie Beck, Lenau u. A. verfolgen, die den Einfluß pgo_121.004 Heine's nicht ganz verleugnen.
pgo_121.005 Der Kontrast bedarf vor Allem der Motivirung. Die Motivirung pgo_121.006 ist der innere Kausalnexus des Kunstwerkes. Das Kunstwerk als Ganzespgo_121.007 tritt aus dem verstandesmäßigen Zusammenhange der Erscheinungen pgo_121.008 heraus — seine Wirkung beruht gerade darauf, daß es wie ein Blitz der pgo_121.009 Jdee unser Auge trifft, daß wir nach seiner weiteren Legitimation nicht pgo_121.010 fragen, weil uns das All in ihm erschöpft scheint. Doch innerhalb seines pgo_121.011 Organismus selbst waltet der Verstand in der Verkettung des Gewebes, pgo_121.012 freilich so, daß wir ihn selbst über seiner Schöpfung vergessen. Die Motivirung pgo_121.013 ist der immanente Verstand der Dichtung. Jn der äußern Welt pgo_121.014 ist die Kette der Ursachen und Wirkungen eine unendliche. Sie geht pgo_121.015 endlos zurück in der Zeit, verliert sich endlos in die Breite des Raumes. pgo_121.016 Jede Erscheinung ist nur der Knotenpunkt vieler weit in die Vergangenheit pgo_121.017 zurücklaufender Fäden und wächst dabei mit tausend Fasern aus pgo_121.018 einer gleichzeitigen Welt hervor. Das erste Erforderniß künstlerischer pgo_121.019 Motivirung ist daher die Beschränkung, das Abstecken der Grenze in pgo_121.020 Zeit und Raum. Wieweit soll der Dichter in seiner Motivirung pgo_121.021 zurückgreifen, und wieviel soll er aus der Breite der umgebenden Welt pgo_121.022 mit aufnehmen? Das Drama z. B. bietet eine abgeschlossene Handlung pgo_121.023 dar; aber diese Handlung selbst geht aus einer Vergangenheit pgo_121.024 hervor, welche hinter dem Vorhang liegt. Der Anfang des Dramas pgo_121.025 soll uns nun gleich die rückwärts reichenden Fäden der Handlung in pgo_121.026 die Hand geben, zugleich mit der Grundlage, aus welcher das pgo_121.027 ganze Stück hervorgeht. Diese Motivirung heißt im Drama Exposition,pgo_121.028 und wir verlangen von ihr, daß sie in dramatischer Weise pgo_121.029 durch Handlung, und nicht in epischer durch Erzählung vor sich gehe. pgo_121.030 Verkehrt dagegen ist die beliebte Manier der sogenannten Bühneneffectschriftsteller, pgo_121.031 uns von Hause aus in ein unentwirrtes Netz von Verhältnissen pgo_121.032 einzuspinnen, das Vergangene als ein unerschlossenes Geheimniß pgo_121.033 mit räthselhaft drohender Haltung durchzuführen und erst am pgo_121.034 Schlusse mit dem Knoten des Stückes selbst auch diese dunklen Antecedentien pgo_121.035 zu lösen. Die Spannung des Dramas geht nach der Zukunft
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Zeit und Raum. Wieweit soll der Dichter in seiner Motivirung pgo_121.021
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uns von Hause aus in ein unentwirrtes Netz von Verhältnissen pgo_121.032
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Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottschall_poetik_1858/143>, abgerufen am 21.11.2024.
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