pgo_128.005 "Die Wahl treffender und edler Ausdrücke fesselt und bezaubert die pgo_128.006 Hörer und verleiht zugleich Größe, Schönheit, gesundes Aussehen, Gewicht, pgo_128.007 Kraft und Energie." Diese Worte Longin's (Ueber das Erhabene C. 30) pgo_128.008 weisen darauf hin, daß die rednerische, noch mehr aber die dichterische pgo_128.009 Kunst vorzugsweise von der Wahl des Ausdruckes abhängig ist. Der pgo_128.010 Ausdruck aber läßt sich zuerst als einzelner in's Auge fassen, als dichterisches pgo_128.011 Wort, ehe wir ihn im Zusammenhang der Worte, als dichterische pgo_128.012 Wendung betrachten.
pgo_128.013 Vor dem Genius liegt der Sprachschatz offen da -- er kann aus ihm pgo_128.014 wählen, er kann ihn bereichern; denn er hat das Recht, die Sprache fortzubilden, pgo_128.015 weil in ihm die sprachschöpferische Kraft ruht. Wer den Bildungsgang pgo_128.016 der Sprache verfolgt, wird auf eine Menge von Wörtern pgo_128.017 stoßen, bei denen nur das Dichtertalent zu Pathen gestanden. Das Wort: pgo_128.018 "furchtlos" z. B. ist jetzt bei uns so vollkommen eingebürgert, daß wir pgo_128.019 uns wundern, es irgendwo als ein neugeschaffenes bezeichnet zu finden. pgo_128.020 Gottsched aber erwähnt es noch als ein glückliches Wagniß Simon pgo_128.021 Dach's, der es in dem Vers:
pgo_128.022
Und man sollte furchtlos stehn?
pgo_128.023 zuerst in die deutsche Sprache eingeführt.
pgo_128.024 Der Sprachschatz enthält nun eine Menge geprägter Münzen, bei denen pgo_128.025 der Prägstock des Dichters nicht thätig war, und die auch keinen poetischen
pgo_128.001
Drittes Hauptstück.
pgo_128.002
Die Technik der Dichtkunst.
pgo_128.003
Erster Abschnitt.
pgo_128.004 Das dichterische Wort.
pgo_128.005 „Die Wahl treffender und edler Ausdrücke fesselt und bezaubert die pgo_128.006 Hörer und verleiht zugleich Größe, Schönheit, gesundes Aussehen, Gewicht, pgo_128.007 Kraft und Energie.“ Diese Worte Longin's (Ueber das Erhabene C. 30) pgo_128.008 weisen darauf hin, daß die rednerische, noch mehr aber die dichterische pgo_128.009 Kunst vorzugsweise von der Wahl des Ausdruckes abhängig ist. Der pgo_128.010 Ausdruck aber läßt sich zuerst als einzelner in's Auge fassen, als dichterisches pgo_128.011 Wort, ehe wir ihn im Zusammenhang der Worte, als dichterische pgo_128.012 Wendung betrachten.
pgo_128.013 Vor dem Genius liegt der Sprachschatz offen da — er kann aus ihm pgo_128.014 wählen, er kann ihn bereichern; denn er hat das Recht, die Sprache fortzubilden, pgo_128.015 weil in ihm die sprachschöpferische Kraft ruht. Wer den Bildungsgang pgo_128.016 der Sprache verfolgt, wird auf eine Menge von Wörtern pgo_128.017 stoßen, bei denen nur das Dichtertalent zu Pathen gestanden. Das Wort: pgo_128.018 „furchtlos“ z. B. ist jetzt bei uns so vollkommen eingebürgert, daß wir pgo_128.019 uns wundern, es irgendwo als ein neugeschaffenes bezeichnet zu finden. pgo_128.020 Gottsched aber erwähnt es noch als ein glückliches Wagniß Simon pgo_128.021 Dach's, der es in dem Vers:
pgo_128.022
Und man sollte furchtlos stehn?
pgo_128.023 zuerst in die deutsche Sprache eingeführt.
pgo_128.024 Der Sprachschatz enthält nun eine Menge geprägter Münzen, bei denen pgo_128.025 der Prägstock des Dichters nicht thätig war, und die auch keinen poetischen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0150"n="E128"/><lbn="pgo_128.001"/><head><hirendition="#c">Drittes Hauptstück.</hi></head><lbn="pgo_128.002"/><head><hirendition="#c">Die Technik der Dichtkunst. </hi></head><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="4"><lbn="pgo_128.003"/><head><hirendition="#c">Erster Abschnitt.</hi></head><lbn="pgo_128.004"/><head><hirendition="#c">Das dichterische Wort.</hi></head><p><lbn="pgo_128.005"/>„Die Wahl treffender und edler Ausdrücke fesselt und bezaubert die <lbn="pgo_128.006"/>
Hörer und verleiht zugleich Größe, Schönheit, gesundes Aussehen, Gewicht, <lbn="pgo_128.007"/>
Kraft und Energie.“ Diese Worte Longin's (Ueber das Erhabene C. 30) <lbn="pgo_128.008"/>
weisen darauf hin, daß die rednerische, noch mehr aber die dichterische <lbn="pgo_128.009"/>
Kunst vorzugsweise von der Wahl des Ausdruckes abhängig ist. Der <lbn="pgo_128.010"/>
Ausdruck aber läßt sich zuerst als einzelner in's Auge fassen, als dichterisches <lbn="pgo_128.011"/><hirendition="#g">Wort,</hi> ehe wir ihn im Zusammenhang der Worte, als dichterische <lbn="pgo_128.012"/><hirendition="#g">Wendung</hi> betrachten.</p><p><lbn="pgo_128.013"/>
Vor dem Genius liegt der Sprachschatz offen da — er kann aus ihm <lbn="pgo_128.014"/>
wählen, er kann ihn bereichern; denn er hat das Recht, die Sprache fortzubilden, <lbn="pgo_128.015"/>
weil in ihm die sprachschöpferische Kraft ruht. Wer den Bildungsgang <lbn="pgo_128.016"/>
der Sprache verfolgt, wird auf eine Menge von Wörtern <lbn="pgo_128.017"/>
stoßen, bei denen nur das Dichtertalent zu Pathen gestanden. Das Wort: <lbn="pgo_128.018"/>„<hirendition="#g">furchtlos</hi>“ z. B. ist jetzt bei uns so vollkommen eingebürgert, daß wir <lbn="pgo_128.019"/>
uns wundern, es irgendwo als ein neugeschaffenes bezeichnet zu finden. <lbn="pgo_128.020"/><hirendition="#g">Gottsched</hi> aber erwähnt es noch als ein glückliches Wagniß <hirendition="#g">Simon <lbn="pgo_128.021"/>
Dach's,</hi> der es in dem Vers:</p><lbn="pgo_128.022"/><lg><l>Und man sollte <hirendition="#g">furchtlos</hi> stehn?</l></lg><p><lbn="pgo_128.023"/>
zuerst in die deutsche Sprache eingeführt.</p><p><lbn="pgo_128.024"/>
Der Sprachschatz enthält nun eine Menge geprägter Münzen, bei denen <lbn="pgo_128.025"/>
der Prägstock des Dichters nicht thätig war, und die auch keinen poetischen
</p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[E128/0150]
pgo_128.001
Drittes Hauptstück. pgo_128.002
Die Technik der Dichtkunst.
pgo_128.003
Erster Abschnitt. pgo_128.004
Das dichterische Wort. pgo_128.005
„Die Wahl treffender und edler Ausdrücke fesselt und bezaubert die pgo_128.006
Hörer und verleiht zugleich Größe, Schönheit, gesundes Aussehen, Gewicht, pgo_128.007
Kraft und Energie.“ Diese Worte Longin's (Ueber das Erhabene C. 30) pgo_128.008
weisen darauf hin, daß die rednerische, noch mehr aber die dichterische pgo_128.009
Kunst vorzugsweise von der Wahl des Ausdruckes abhängig ist. Der pgo_128.010
Ausdruck aber läßt sich zuerst als einzelner in's Auge fassen, als dichterisches pgo_128.011
Wort, ehe wir ihn im Zusammenhang der Worte, als dichterische pgo_128.012
Wendung betrachten.
pgo_128.013
Vor dem Genius liegt der Sprachschatz offen da — er kann aus ihm pgo_128.014
wählen, er kann ihn bereichern; denn er hat das Recht, die Sprache fortzubilden, pgo_128.015
weil in ihm die sprachschöpferische Kraft ruht. Wer den Bildungsgang pgo_128.016
der Sprache verfolgt, wird auf eine Menge von Wörtern pgo_128.017
stoßen, bei denen nur das Dichtertalent zu Pathen gestanden. Das Wort: pgo_128.018
„furchtlos“ z. B. ist jetzt bei uns so vollkommen eingebürgert, daß wir pgo_128.019
uns wundern, es irgendwo als ein neugeschaffenes bezeichnet zu finden. pgo_128.020
Gottsched aber erwähnt es noch als ein glückliches Wagniß Simon pgo_128.021
Dach's, der es in dem Vers:
pgo_128.022
Und man sollte furchtlos stehn?
pgo_128.023
zuerst in die deutsche Sprache eingeführt.
pgo_128.024
Der Sprachschatz enthält nun eine Menge geprägter Münzen, bei denen pgo_128.025
der Prägstock des Dichters nicht thätig war, und die auch keinen poetischen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Sandra Richter: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:
Bogensignaturen: keine Angabe;
Druckfehler: keine Angabe;
fremdsprachliches Material: gekennzeichnet;
Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;
Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage;
i/j in Fraktur: wie Vorlage;
I/J in Fraktur: wie Vorlage;
Kolumnentitel: nicht übernommen;
Kustoden: nicht übernommen;
langes s (ſ): wie Vorlage;
Normalisierungen: keine;
rundes r (ꝛ): wie Vorlage;
Seitenumbrüche markiert: ja;
Silbentrennung: nicht übernommen;
u/v bzw. U/V: wie Vorlage;
Vokale mit übergest. e: wie Vorlage;
Vollständigkeit: vollständig erfasst;
Zeichensetzung: wie Vorlage;
Zeilenumbrüche markiert: ja;
Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858, S. E128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottschall_poetik_1858/150>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.