Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.pgo_171.001 pgo_171.006 Die Windsbraut hat pgo_171.010 pgo_171.011Den Ocean entwurzelt. Herzog von Gothland. pgo_171.012 "Er machte schon Komplimente mit der Brust pgo_171.032 seiner Mutter, eh' er sog." Hamlet. pgo_171.033 pgo_171.001 pgo_171.006 Die Windsbraut hat pgo_171.010 pgo_171.011Den Ocean entwurzelt. Herzog von Gothland. pgo_171.012 „Er machte schon Komplimente mit der Brust pgo_171.032 seiner Mutter, eh' er sog.“ Hamlet. pgo_171.033 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <pb facs="#f0193" n="171"/> <p><lb n="pgo_171.001"/> Aus allen diesen Beispielen ersehen wir sowohl, daß die Reflexions- <lb n="pgo_171.002"/> Hyperbel ungezwungen aus dem Pathos der Leidenschaft, der Liebe, des <lb n="pgo_171.003"/> Schmerzes, des Zornes hervorgeht, als auch, daß sie stets ein stilles <lb n="pgo_171.004"/> Bewußtsein der Uebertreibung beibehält, indem sie dieselbe in die Form <lb n="pgo_171.005"/> einer unmöglichen Bedingung, eines unmöglichen Wunsches kleidet.</p> <p><lb n="pgo_171.006"/> Naive Hyperbeln sind bei den neuen Dichtern seltener; doch kommen <lb n="pgo_171.007"/> sie u. a. bei <hi rendition="#g">Grabbe</hi> vor, welcher oft in ein einziges Wort eine grandiose <lb n="pgo_171.008"/> Hyperbel legt, z. B.:</p> <lb n="pgo_171.009"/> <lg> <l> Die Windsbraut hat</l> <lb n="pgo_171.010"/> <l>Den Ocean <hi rendition="#g">entwurzelt</hi>.</l> </lg> <lb n="pgo_171.011"/> <p> <hi rendition="#right"><hi rendition="#g">Herzog von Gothland</hi>.</hi> </p> <p><lb n="pgo_171.012"/> Der pathetische Styl ist an Hyperbeln reicher, als der plastische, die <lb n="pgo_171.013"/> Ode reicher, als das Lied, die Tragödie reicher, als das Epos! Am <lb n="pgo_171.014"/> häufigsten finden wir sie bei allen orientalischen Poeten, bei den begeisterten <lb n="pgo_171.015"/> Sängern der Bibel, bei Calderon, Shakespeare, Schiller, Victor <lb n="pgo_171.016"/> Hugo, den neueren Vertretern der originellen Kraftdramatik, besonders <lb n="pgo_171.017"/> Grabbe und Hebbel. Goethe ist arm daran, da der plastische Styl der <lb n="pgo_171.018"/> Schönheit diese gewaltsame Expansion des Bildes nicht verträgt. Darum <lb n="pgo_171.019"/> sind auch die antiken Schriftsteller und Dichter mit Hyperbeln sparsam, <lb n="pgo_171.020"/> und der römische Dichter, bei welchem sie sich am häufigsten finden, <lb n="pgo_171.021"/> <hi rendition="#g">Lucan,</hi> gehört nicht zu den glänzendsten Vertretern seiner Literatur. <lb n="pgo_171.022"/> Ebenso wie dem <hi rendition="#g">Erhabenen</hi> wird die Hyperbel auch dem <hi rendition="#g">Komischen</hi> <lb n="pgo_171.023"/> unentbehrlich sein, ja auch die Hyperbel der Erhabenheit schlägt in's <lb n="pgo_171.024"/> Komische um, wenn das vergrößerte sinnliche Bild die Jdee nicht mit <lb n="pgo_171.025"/> vergrößert. Eine Schreibart, in welcher das Hyperbolische überwiegt <lb n="pgo_171.026"/> und unglückliche Hyperbeln sich mit glücklichen vermischen, wird daher <lb n="pgo_171.027"/> schwülstig erscheinen müssen. Doch gerade jeder mißlungene Sprung des <lb n="pgo_171.028"/> Erhabenen wird das Komische mit einem Beispiele und mit einer Lehre <lb n="pgo_171.029"/> bereichern. Shakespeare und Jean Paul geben zahlreiche Beispiele <lb n="pgo_171.030"/> komischer Hyperbeln:</p> <lb n="pgo_171.031"/> <lg> <l>„Er machte schon Komplimente mit der Brust</l> <lb n="pgo_171.032"/> <l>seiner Mutter, eh' er sog.“</l> </lg> <p> <hi rendition="#right"><hi rendition="#g">Hamlet</hi>.</hi> </p> <p><lb n="pgo_171.033"/> Jch will das Zauberwort einer günstigen Recension einem knirschenden Wehrwolfe <lb n="pgo_171.034"/> vorhalten: — sofort steht er als ein leckendes Lamm mit quirlendem Schwänzchen vor <lb n="pgo_171.035"/> mir.<hi rendition="#right"><hi rendition="#g">Titan</hi>.</hi></p> </div> <div n="6"> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [171/0193]
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Aus allen diesen Beispielen ersehen wir sowohl, daß die Reflexions- pgo_171.002
Hyperbel ungezwungen aus dem Pathos der Leidenschaft, der Liebe, des pgo_171.003
Schmerzes, des Zornes hervorgeht, als auch, daß sie stets ein stilles pgo_171.004
Bewußtsein der Uebertreibung beibehält, indem sie dieselbe in die Form pgo_171.005
einer unmöglichen Bedingung, eines unmöglichen Wunsches kleidet.
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Naive Hyperbeln sind bei den neuen Dichtern seltener; doch kommen pgo_171.007
sie u. a. bei Grabbe vor, welcher oft in ein einziges Wort eine grandiose pgo_171.008
Hyperbel legt, z. B.:
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Die Windsbraut hat pgo_171.010
Den Ocean entwurzelt.
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Herzog von Gothland.
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Der pathetische Styl ist an Hyperbeln reicher, als der plastische, die pgo_171.013
Ode reicher, als das Lied, die Tragödie reicher, als das Epos! Am pgo_171.014
häufigsten finden wir sie bei allen orientalischen Poeten, bei den begeisterten pgo_171.015
Sängern der Bibel, bei Calderon, Shakespeare, Schiller, Victor pgo_171.016
Hugo, den neueren Vertretern der originellen Kraftdramatik, besonders pgo_171.017
Grabbe und Hebbel. Goethe ist arm daran, da der plastische Styl der pgo_171.018
Schönheit diese gewaltsame Expansion des Bildes nicht verträgt. Darum pgo_171.019
sind auch die antiken Schriftsteller und Dichter mit Hyperbeln sparsam, pgo_171.020
und der römische Dichter, bei welchem sie sich am häufigsten finden, pgo_171.021
Lucan, gehört nicht zu den glänzendsten Vertretern seiner Literatur. pgo_171.022
Ebenso wie dem Erhabenen wird die Hyperbel auch dem Komischen pgo_171.023
unentbehrlich sein, ja auch die Hyperbel der Erhabenheit schlägt in's pgo_171.024
Komische um, wenn das vergrößerte sinnliche Bild die Jdee nicht mit pgo_171.025
vergrößert. Eine Schreibart, in welcher das Hyperbolische überwiegt pgo_171.026
und unglückliche Hyperbeln sich mit glücklichen vermischen, wird daher pgo_171.027
schwülstig erscheinen müssen. Doch gerade jeder mißlungene Sprung des pgo_171.028
Erhabenen wird das Komische mit einem Beispiele und mit einer Lehre pgo_171.029
bereichern. Shakespeare und Jean Paul geben zahlreiche Beispiele pgo_171.030
komischer Hyperbeln:
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„Er machte schon Komplimente mit der Brust pgo_171.032
seiner Mutter, eh' er sog.“
Hamlet.
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Jch will das Zauberwort einer günstigen Recension einem knirschenden Wehrwolfe pgo_171.034
vorhalten: — sofort steht er als ein leckendes Lamm mit quirlendem Schwänzchen vor pgo_171.035
mir.Titan.
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