Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.pgo_179.001 pgo_179.012 Doch dieser große Menschenkenner sinke pgo_179.016 Vor Scham dahin, daß seine graue Weisheit pgo_179.017 Der Scharfsinn eines Jünglings überlistet. pgo_179.018 Ja, Sire, wir waren Brüder! Brüder durch pgo_179.019 Ein edler Band, als die Natur es schmiedet. pgo_179.020 Sein schöner Lebenslauf war Liebe -- Liebe pgo_179.021 Für mich sein großer schöner Tod. Mein war er, pgo_179.022 Als Sie mit seiner Achtung groß gethan, pgo_179.023 Als seine scherzende Beredtsamkeit pgo_179.024 Mit Jhrem stolzen Riesengeiste spielte. pgo_179.025 Jhn zu beherrschen wähnten Sie -- und waren pgo_179.026 Ein folgsam Werkzeug seiner höhern Pläne u. s. f. pgo_179.027 pgo_179.029 Hermione. pgo_179.035Was will Dein Stolzsein? Was bezweckt das Wortgefecht, pgo_179.036
Als wärst nur du verständig und ich wär' es nicht? pgo_179.001 pgo_179.012 Doch dieser große Menschenkenner sinke pgo_179.016 Vor Scham dahin, daß seine graue Weisheit pgo_179.017 Der Scharfsinn eines Jünglings überlistet. pgo_179.018 Ja, Sire, wir waren Brüder! Brüder durch pgo_179.019 Ein edler Band, als die Natur es schmiedet. pgo_179.020 Sein schöner Lebenslauf war Liebe — Liebe pgo_179.021 Für mich sein großer schöner Tod. Mein war er, pgo_179.022 Als Sie mit seiner Achtung groß gethan, pgo_179.023 Als seine scherzende Beredtsamkeit pgo_179.024 Mit Jhrem stolzen Riesengeiste spielte. pgo_179.025 Jhn zu beherrschen wähnten Sie — und waren pgo_179.026 Ein folgsam Werkzeug seiner höhern Pläne u. s. f. pgo_179.027 pgo_179.029 Hermione. pgo_179.035Was will Dein Stolzsein? Was bezweckt das Wortgefecht, pgo_179.036
Als wärst nur du verständig und ich wär' es nicht? <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0201" n="179"/><lb n="pgo_179.001"/> die lehrreichsten Schlüsse auf den Charakter des Dichters selbst, auf seine <lb n="pgo_179.002"/> ganze geistige Bedeutung machen. Ein Dichter, der in Antithesen dichtet, <lb n="pgo_179.003"/> wird ebenso glänzend, wie scharf, ebenso feurig, wie schlagend erscheinen; <lb n="pgo_179.004"/> aber er wird nicht zur plastischen Harmonie durchdringen; er wird sich <lb n="pgo_179.005"/> nie mit voller Ruhe in die einzelne Erscheinung versenken; er wird immer <lb n="pgo_179.006"/> reflektirend ihre gegenseitigen Beziehungen in's Auge fassen; er wird <lb n="pgo_179.007"/> mehr ein Poet des Gedankens, als ein Poet der Anschauung, mehr ein <lb n="pgo_179.008"/> dramatischer und lyrischer, als <hi rendition="#g">epischer</hi> Dichter, und in der Lyrik selbst <lb n="pgo_179.009"/> wieder mehr Elegiker, als Liederschöpfer sein. So können wir aus der <lb n="pgo_179.010"/> kleinen Antithese heraus uns das ganze, großartige und unruhige Gedankenpathos <lb n="pgo_179.011"/> unseres größten Dramatikers konstruiren.</p> <p><lb n="pgo_179.012"/> Daß aber die thatsächliche Voraussetzung richtig ist, das beweist jeder <lb n="pgo_179.013"/> Blick in Schiller's Dramen und Gedichte. Schlagen wir sie auf, wo <lb n="pgo_179.014"/> wir wollen — wir stoßen überall auf Antithesen z. B.</p> <lb n="pgo_179.015"/> <lg> <l>Doch dieser <hi rendition="#g">große Menschenkenner</hi> sinke</l> <lb n="pgo_179.016"/> <l>Vor Scham dahin, daß seine <hi rendition="#g">graue Weisheit</hi></l> <lb n="pgo_179.017"/> <l>Der <hi rendition="#g">Scharfsinn eines Jünglings</hi> überlistet.</l> <lb n="pgo_179.018"/> <l>Ja, Sire, wir waren Brüder! <hi rendition="#g">Brüder</hi> durch</l> <lb n="pgo_179.019"/> <l>Ein <hi rendition="#g">edler Band,</hi> als die <hi rendition="#g">Natur</hi> es schmiedet.</l> <lb n="pgo_179.020"/> <l>Sein <hi rendition="#g">schöner Lebenslauf</hi> war <hi rendition="#g">Liebe</hi> — Liebe</l> <lb n="pgo_179.021"/> <l>Für mich sein großer <hi rendition="#g">schöner Tod. Mein</hi> war er,</l> <lb n="pgo_179.022"/> <l>Als <hi rendition="#g">Sie</hi> mit seiner Achtung groß gethan,</l> <lb n="pgo_179.023"/> <l>Als seine <hi rendition="#g">scherzende Beredtsamkeit</hi></l> <lb n="pgo_179.024"/> <l>Mit Jhrem <hi rendition="#g">stolzen Riesengeiste</hi> spielte.</l> <lb n="pgo_179.025"/> <l>Jhn <hi rendition="#g">zu beherrschen</hi> wähnten Sie — und waren</l> <lb n="pgo_179.026"/> <l>Ein folgsam <hi rendition="#g">Werkzeug</hi> seiner <hi rendition="#g">höhern Pläne</hi> u. s. f.</l> </lg> <p><lb n="pgo_179.027"/> Der ganze dramatische Styl Schiller's ist mit <hi rendition="#g">Antithesen,</hi> die bald <lb n="pgo_179.028"/> leiser angedeutet, bald kräftiger ausgeführt sind, getränkt.</p> <p><lb n="pgo_179.029"/> Der antithetische Gang liegt auch jener Figur des dramatischen Dialogs, <lb n="pgo_179.030"/> der sogenannten „<hi rendition="#g">Stichiometrie</hi>“ zu Grunde, der schlagenden <lb n="pgo_179.031"/> Rede und Gegenrede in aufeinanderfolgenden Verszeilen. Sie findet <lb n="pgo_179.032"/> sich bei den antiken Tragikern und ist von Schiller mit Vorliebe adoptirt <lb n="pgo_179.033"/> worden z. B.</p> <lb n="pgo_179.034"/> <p> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Hermione</hi>.</hi> </p> <lb n="pgo_179.035"/> <lg> <l>Was will Dein Stolzsein? Was bezweckt das Wortgefecht,</l> <lb n="pgo_179.036"/> <l>Als wärst nur du verständig und <hi rendition="#g">ich</hi> wär' es nicht?</l> </lg> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [179/0201]
pgo_179.001
die lehrreichsten Schlüsse auf den Charakter des Dichters selbst, auf seine pgo_179.002
ganze geistige Bedeutung machen. Ein Dichter, der in Antithesen dichtet, pgo_179.003
wird ebenso glänzend, wie scharf, ebenso feurig, wie schlagend erscheinen; pgo_179.004
aber er wird nicht zur plastischen Harmonie durchdringen; er wird sich pgo_179.005
nie mit voller Ruhe in die einzelne Erscheinung versenken; er wird immer pgo_179.006
reflektirend ihre gegenseitigen Beziehungen in's Auge fassen; er wird pgo_179.007
mehr ein Poet des Gedankens, als ein Poet der Anschauung, mehr ein pgo_179.008
dramatischer und lyrischer, als epischer Dichter, und in der Lyrik selbst pgo_179.009
wieder mehr Elegiker, als Liederschöpfer sein. So können wir aus der pgo_179.010
kleinen Antithese heraus uns das ganze, großartige und unruhige Gedankenpathos pgo_179.011
unseres größten Dramatikers konstruiren.
pgo_179.012
Daß aber die thatsächliche Voraussetzung richtig ist, das beweist jeder pgo_179.013
Blick in Schiller's Dramen und Gedichte. Schlagen wir sie auf, wo pgo_179.014
wir wollen — wir stoßen überall auf Antithesen z. B.
pgo_179.015
Doch dieser große Menschenkenner sinke pgo_179.016
Vor Scham dahin, daß seine graue Weisheit pgo_179.017
Der Scharfsinn eines Jünglings überlistet. pgo_179.018
Ja, Sire, wir waren Brüder! Brüder durch pgo_179.019
Ein edler Band, als die Natur es schmiedet. pgo_179.020
Sein schöner Lebenslauf war Liebe — Liebe pgo_179.021
Für mich sein großer schöner Tod. Mein war er, pgo_179.022
Als Sie mit seiner Achtung groß gethan, pgo_179.023
Als seine scherzende Beredtsamkeit pgo_179.024
Mit Jhrem stolzen Riesengeiste spielte. pgo_179.025
Jhn zu beherrschen wähnten Sie — und waren pgo_179.026
Ein folgsam Werkzeug seiner höhern Pläne u. s. f.
pgo_179.027
Der ganze dramatische Styl Schiller's ist mit Antithesen, die bald pgo_179.028
leiser angedeutet, bald kräftiger ausgeführt sind, getränkt.
pgo_179.029
Der antithetische Gang liegt auch jener Figur des dramatischen Dialogs, pgo_179.030
der sogenannten „Stichiometrie“ zu Grunde, der schlagenden pgo_179.031
Rede und Gegenrede in aufeinanderfolgenden Verszeilen. Sie findet pgo_179.032
sich bei den antiken Tragikern und ist von Schiller mit Vorliebe adoptirt pgo_179.033
worden z. B.
pgo_179.034
Hermione.
pgo_179.035
Was will Dein Stolzsein? Was bezweckt das Wortgefecht, pgo_179.036
Als wärst nur du verständig und ich wär' es nicht?
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Sandra Richter: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |