Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.pgo_181.001 Leicester. pgo_181.002Wenn wir verderben, reißen wir sie nach. pgo_181.003Mortimer. pgo_181.004Wenn wir uns schonen, wird sie nicht gerettet. pgo_181.005Schiller, Maria Stuart. pgo_181.006 pgo_181.011 Du übersinnlich sinnlicher Freier. pgo_181.013Goethe, Faust. pgo_181.014Regular confusion. pgo_181.015Addison, Cato. pgo_181.016 Mond meiner Tage, meiner Nächte Sonne, pgo_181.018 pgo_181.019Hoch über mir geh' Deinen Strahlenlauf. Dingelstedt. pgo_181.020 pgo_181.025 *) pgo_181.036
Ironia est alia dicentis et alia significantis dissimulatio. Cic. de Orat. 3. pgo_181.001 Leicester. pgo_181.002Wenn wir verderben, reißen wir sie nach. pgo_181.003Mortimer. pgo_181.004Wenn wir uns schonen, wird sie nicht gerettet. pgo_181.005Schiller, Maria Stuart. pgo_181.006 pgo_181.011 Du übersinnlich sinnlicher Freier. pgo_181.013Goethe, Faust. pgo_181.014Regular confusion. pgo_181.015Addison, Cato. pgo_181.016 Mond meiner Tage, meiner Nächte Sonne, pgo_181.018 pgo_181.019Hoch über mir geh' Deinen Strahlenlauf. Dingelstedt. pgo_181.020 pgo_181.025 *) pgo_181.036
Ironia est alia dicentis et alia significantis dissimulatio. Cic. de Orat. 3. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <pb facs="#f0203" n="181"/> <lb n="pgo_181.001"/> <p> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Leicester</hi>.</hi> </p> <lb n="pgo_181.002"/> <lg> <l>Wenn <hi rendition="#g">wir</hi> verderben, reißen wir sie nach.</l> </lg> <lb n="pgo_181.003"/> <p> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Mortimer</hi>.</hi> </p> <lb n="pgo_181.004"/> <lg> <l>Wenn wir uns schonen, wird sie nicht gerettet.</l> </lg> <lb n="pgo_181.005"/> <p> <hi rendition="#right"><hi rendition="#g">Schiller,</hi> Maria Stuart.</hi> </p> <p><lb n="pgo_181.006"/> 7) Das <hi rendition="#g">Paradoxon,</hi> eine Redefigur, die scheinbar Unverträgliches <lb n="pgo_181.007"/> durch eine tiefere Einheit des Gedankens zusammenkettet. Der Reiz dieser <lb n="pgo_181.008"/> Figur liegt in der Kühnheit, mit welcher der Widerspruch hingestellt <lb n="pgo_181.009"/> wird, und der stillen Freude, daß man den Schlüssel zu seiner Lösung <lb n="pgo_181.010"/> in Händen hat.</p> <p><lb n="pgo_181.011"/> Das Paradoxon ist entweder blos <hi rendition="#g">logisch</hi> z. B.</p> <lb n="pgo_181.012"/> <lg> <l>Du übersinnlich sinnlicher Freier.</l> </lg> <lb n="pgo_181.013"/> <p> <hi rendition="#right"><hi rendition="#g">Goethe,</hi> Faust.</hi> </p> <lb n="pgo_181.014"/> <lg> <l><hi rendition="#aq">Regular confusion</hi>.</l> </lg> <lb n="pgo_181.015"/> <p> <hi rendition="#right"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">Addison,</hi> Cato</hi>.</hi> </p> <p><lb n="pgo_181.016"/> oder es ist <hi rendition="#g">metaphorisch</hi> z. B.</p> <lb n="pgo_181.017"/> <lg> <l><hi rendition="#g">Mond meiner Tage,</hi> meiner <hi rendition="#g">Nächte Sonne,</hi></l> <lb n="pgo_181.018"/> <l>Hoch über mir geh' Deinen Strahlenlauf.</l> </lg> <lb n="pgo_181.019"/> <p> <hi rendition="#right"><hi rendition="#g">Dingelstedt</hi>.</hi> </p> <p><lb n="pgo_181.020"/> Die Vorliebe für das Zusammenfassen unverträglicher Bestimmungen, <lb n="pgo_181.021"/> deren tiefere Einheit oft nur eine scheinbare ist, schafft den <hi rendition="#g">paradoxen <lb n="pgo_181.022"/> Styl,</hi> der sich auch auf die Komposition größerer Kunstwerke bezieht. <lb n="pgo_181.023"/> So ist <hi rendition="#g">Hebbel</hi> paradox im Entwurf seiner Dramen und in ihrer Charakteristik, <lb n="pgo_181.024"/> während <hi rendition="#g">Arthur Schopenhauer</hi> ein paradoxer Denker ist.</p> <p><lb n="pgo_181.025"/> 6) Die <hi rendition="#g">Jronie</hi> ist diejenige Redefigur, welche das Gegentheil von <lb n="pgo_181.026"/> dem sagt, was sie meint<note xml:id="PGO_181_1" place="foot" n="*)"><lb n="pgo_181.036"/> Ironia est alia dicentis et alia significantis dissimulatio. Cic. de Orat. 3.</note>. Der Widerspruch besteht hier nicht zwischen <lb n="pgo_181.027"/> den einzelnen, nebeneinander gestellten Gedankenbestimmungen, wie im <lb n="pgo_181.028"/> <hi rendition="#g">Paradoxon,</hi> sondern zwischen dem <hi rendition="#g">Gedanken</hi> und seinem <hi rendition="#g">Ausdruck</hi> <lb n="pgo_181.029"/> durch die Rede. Die Jronie ist die Heuchelei des Geistes, der das Nichtige <lb n="pgo_181.030"/> vernichtet, indem er's preist, und das Hohe erhebt, indem er es <lb n="pgo_181.031"/> herabsetzt. Jhre Stimmung beruht, wie der Reiz des Paradoxon, auf <lb n="pgo_181.032"/> einem Widerspruche, dessen unmittelbare Lösung die Phantasie erfreut. <lb n="pgo_181.033"/> Jn dieser einfachen Form war die Jronie schon den alten Klassikern <lb n="pgo_181.034"/> geläufig! So verhöhnt Patroklos bei Homer den Kebriones, der, von <lb n="pgo_181.035"/> seinem Stein getroffen, vom Wagensitz herabschießt:</p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [181/0203]
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Leicester.
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Wenn wir verderben, reißen wir sie nach.
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Mortimer.
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Wenn wir uns schonen, wird sie nicht gerettet.
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Schiller, Maria Stuart.
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7) Das Paradoxon, eine Redefigur, die scheinbar Unverträgliches pgo_181.007
durch eine tiefere Einheit des Gedankens zusammenkettet. Der Reiz dieser pgo_181.008
Figur liegt in der Kühnheit, mit welcher der Widerspruch hingestellt pgo_181.009
wird, und der stillen Freude, daß man den Schlüssel zu seiner Lösung pgo_181.010
in Händen hat.
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Das Paradoxon ist entweder blos logisch z. B.
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Du übersinnlich sinnlicher Freier.
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Goethe, Faust.
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Regular confusion.
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Addison, Cato.
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oder es ist metaphorisch z. B.
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Mond meiner Tage, meiner Nächte Sonne, pgo_181.018
Hoch über mir geh' Deinen Strahlenlauf.
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Dingelstedt.
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Die Vorliebe für das Zusammenfassen unverträglicher Bestimmungen, pgo_181.021
deren tiefere Einheit oft nur eine scheinbare ist, schafft den paradoxen pgo_181.022
Styl, der sich auch auf die Komposition größerer Kunstwerke bezieht. pgo_181.023
So ist Hebbel paradox im Entwurf seiner Dramen und in ihrer Charakteristik, pgo_181.024
während Arthur Schopenhauer ein paradoxer Denker ist.
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6) Die Jronie ist diejenige Redefigur, welche das Gegentheil von pgo_181.026
dem sagt, was sie meint *). Der Widerspruch besteht hier nicht zwischen pgo_181.027
den einzelnen, nebeneinander gestellten Gedankenbestimmungen, wie im pgo_181.028
Paradoxon, sondern zwischen dem Gedanken und seinem Ausdruck pgo_181.029
durch die Rede. Die Jronie ist die Heuchelei des Geistes, der das Nichtige pgo_181.030
vernichtet, indem er's preist, und das Hohe erhebt, indem er es pgo_181.031
herabsetzt. Jhre Stimmung beruht, wie der Reiz des Paradoxon, auf pgo_181.032
einem Widerspruche, dessen unmittelbare Lösung die Phantasie erfreut. pgo_181.033
Jn dieser einfachen Form war die Jronie schon den alten Klassikern pgo_181.034
geläufig! So verhöhnt Patroklos bei Homer den Kebriones, der, von pgo_181.035
seinem Stein getroffen, vom Wagensitz herabschießt:
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