pgo_185.001 anhängen oder sich den Leib mit bunten Farben tätowiren. Ein phantasiearmer pgo_185.002 Dichter oder Kritiker, dem nur selten die Gunst der Musen ein pgo_185.003 Bildchen schenkt, mag sich besinnen, an welcher Stelle er es wohl am vortheilhaftesten pgo_185.004 anbringt; aber große Dichter, die gewohnt sind in Bildernpgo_185.005 zu denken, wobei der dichterische Gedanke keineswegs an Schärfe pgo_185.006 und Klarheit verliert, können nicht als Zierrath und Schmuck vertheilen, pgo_185.007 was aus dem unerschöpften Born ihres Genius mit innerer Nothwendigkeit pgo_185.008 hervorquillt. Deshalb wird auch der strenge Maaßstab nüchterner pgo_185.009 Korrektheit sich nicht mit Erfolg an eine Ausdrucksweise anlegen lassen, pgo_185.010 dessen eingeborene Bildlichkeit allen Bewegungen und Flügen der dichterischen pgo_185.011 Gestaltungskraft folgen muß! Oder sollte man ein Recht haben, pgo_185.012 es an Shakespeare zu tadeln, wenn in der Sprache der Leidenschaft seine pgo_185.013 Bilder oft in sonst unerlaubten Katachresen zusammenschmelzen, wenn eine pgo_185.014 düst're Rembrandt'sche Beleuchtung den Bildern zwar die plastische Klarheit pgo_185.015 und Bestimmtheit nimmt, aber sie wunderbar in das Stimmungselement pgo_185.016 des Charakters und der Situation versetzt? Sollte man es pgo_185.017 tadeln, wenn er, nach objektiver Wahrheit strebend, albernen Charakteren pgo_185.018 alberne, bombastischen, wie z. B. dem Laertes im Hamlet, bombastische in pgo_185.019 den Mund legt? Man wird für den Geschmack der Gegenwart allerdings pgo_185.020 die Grenzen schärfer ziehen müssen, als sie Shakespeare gezogen; man pgo_185.021 wird hier nicht nur die einzelnen Dichtgattungen, sondern selbst den pgo_185.022 Unterschied des realistischen und idealistischen Styles berücksichtigen müssen; pgo_185.023 aber man wird bei der Beurtheilung jenes großen Genius nicht seine pgo_185.024 einzelnen Bilder nach Art der engherzigen englischen Kritiker, besonders pgo_185.025 eines Home, zerfasern dürfen, ohne gegen höhere Gesichtspunkte ungerecht pgo_185.026 zu werden. Noch weniger darf man freilich vergessen, daß die Bildlichkeit pgo_185.027 des Styles nicht blos dem Genius Shakespeare's, sondern auch pgo_185.028 seiner ganzen Zeit angehörte, daß seine Zeitgenossen Beaumont und pgo_185.029 Fletcher, Massinger u. A. sich derselben bildlichen Ausdrucksweise, wenn pgo_185.030 auch minder großartig und charakteristisch, bedienten, daß ebenso Calderonpgo_185.031 sich in jenen mehr blendenden, als schlagenden Metaphern bewegte, pgo_185.032 welche die ganze spanische Poesie vom Orient geerbt, und die ein geistiger pgo_185.033 Niederschlag der maurischen Eroberung blieben. Und wie weit die orientalische pgo_185.034 Bildlichkeit selbst davon entfernt ist, äußerlicher Zierrath der Dichtung pgo_185.035 zu sein; wie sie im Gegentheil die organische Blüthe der religiösen
pgo_185.001 anhängen oder sich den Leib mit bunten Farben tätowiren. Ein phantasiearmer pgo_185.002 Dichter oder Kritiker, dem nur selten die Gunst der Musen ein pgo_185.003 Bildchen schenkt, mag sich besinnen, an welcher Stelle er es wohl am vortheilhaftesten pgo_185.004 anbringt; aber große Dichter, die gewohnt sind in Bildernpgo_185.005 zu denken, wobei der dichterische Gedanke keineswegs an Schärfe pgo_185.006 und Klarheit verliert, können nicht als Zierrath und Schmuck vertheilen, pgo_185.007 was aus dem unerschöpften Born ihres Genius mit innerer Nothwendigkeit pgo_185.008 hervorquillt. Deshalb wird auch der strenge Maaßstab nüchterner pgo_185.009 Korrektheit sich nicht mit Erfolg an eine Ausdrucksweise anlegen lassen, pgo_185.010 dessen eingeborene Bildlichkeit allen Bewegungen und Flügen der dichterischen pgo_185.011 Gestaltungskraft folgen muß! Oder sollte man ein Recht haben, pgo_185.012 es an Shakespeare zu tadeln, wenn in der Sprache der Leidenschaft seine pgo_185.013 Bilder oft in sonst unerlaubten Katachresen zusammenschmelzen, wenn eine pgo_185.014 düst're Rembrandt'sche Beleuchtung den Bildern zwar die plastische Klarheit pgo_185.015 und Bestimmtheit nimmt, aber sie wunderbar in das Stimmungselement pgo_185.016 des Charakters und der Situation versetzt? Sollte man es pgo_185.017 tadeln, wenn er, nach objektiver Wahrheit strebend, albernen Charakteren pgo_185.018 alberne, bombastischen, wie z. B. dem Laertes im Hamlet, bombastische in pgo_185.019 den Mund legt? Man wird für den Geschmack der Gegenwart allerdings pgo_185.020 die Grenzen schärfer ziehen müssen, als sie Shakespeare gezogen; man pgo_185.021 wird hier nicht nur die einzelnen Dichtgattungen, sondern selbst den pgo_185.022 Unterschied des realistischen und idealistischen Styles berücksichtigen müssen; pgo_185.023 aber man wird bei der Beurtheilung jenes großen Genius nicht seine pgo_185.024 einzelnen Bilder nach Art der engherzigen englischen Kritiker, besonders pgo_185.025 eines Home, zerfasern dürfen, ohne gegen höhere Gesichtspunkte ungerecht pgo_185.026 zu werden. Noch weniger darf man freilich vergessen, daß die Bildlichkeit pgo_185.027 des Styles nicht blos dem Genius Shakespeare's, sondern auch pgo_185.028 seiner ganzen Zeit angehörte, daß seine Zeitgenossen Beaumont und pgo_185.029 Fletcher, Massinger u. A. sich derselben bildlichen Ausdrucksweise, wenn pgo_185.030 auch minder großartig und charakteristisch, bedienten, daß ebenso Calderonpgo_185.031 sich in jenen mehr blendenden, als schlagenden Metaphern bewegte, pgo_185.032 welche die ganze spanische Poesie vom Orient geerbt, und die ein geistiger pgo_185.033 Niederschlag der maurischen Eroberung blieben. Und wie weit die orientalische pgo_185.034 Bildlichkeit selbst davon entfernt ist, äußerlicher Zierrath der Dichtung pgo_185.035 zu sein; wie sie im Gegentheil die organische Blüthe der religiösen
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anhängen oder sich den Leib mit bunten Farben tätowiren. Ein phantasiearmer pgo_185.002
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Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottschall_poetik_1858/207>, abgerufen am 24.11.2024.
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