Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.pgo_195.001 pgo_195.003 O edler Mann, Du stehest fest und still, pgo_195.027
Jch schaue nur die sturmbewegte Welle, pgo_195.028 Allein bedenk' und überhebe nicht pgo_195.029 Dich Deiner Kraft! Die mächtige Natur, pgo_195.030 Die diesen Felsen gründete, hat auch pgo_195.031 Der Welle die Beweglichkeit gegeben. pgo_195.032 Sie sendet ihren Sturm, die Welle flieht pgo_195.033 Und schwankt und schwillt und beugt sich schäumend über. pgo_195.034 Jn dieser Woge spiegelte so schön pgo_195.035 Die Sonne sich, es ruhten die Gestirne pgo_195.036 An dieser Brust, die zärtlich sich bewegte, pgo_195.001 pgo_195.003 O edler Mann, Du stehest fest und still, pgo_195.027
Jch schaue nur die sturmbewegte Welle, pgo_195.028 Allein bedenk' und überhebe nicht pgo_195.029 Dich Deiner Kraft! Die mächtige Natur, pgo_195.030 Die diesen Felsen gründete, hat auch pgo_195.031 Der Welle die Beweglichkeit gegeben. pgo_195.032 Sie sendet ihren Sturm, die Welle flieht pgo_195.033 Und schwankt und schwillt und beugt sich schäumend über. pgo_195.034 Jn dieser Woge spiegelte so schön pgo_195.035 Die Sonne sich, es ruhten die Gestirne pgo_195.036 An dieser Brust, die zärtlich sich bewegte, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0217" n="195"/><lb n="pgo_195.001"/> bei deren Gebrauch selbst die Prosa sich fortwährender Katachresen schuldig <lb n="pgo_195.002"/> macht!</p> <p><lb n="pgo_195.003"/> Die Grenzen sind also hier bei weitem enger zu stecken, wenn man <lb n="pgo_195.004"/> sich nicht die müßige Freude bereiten will, Regeln aufzustellen, welche <lb n="pgo_195.005"/> durch alle großen Dichter fortwährend übertreten worden sind. Wir <lb n="pgo_195.006"/> möchten zunächst zwischen <hi rendition="#g">tropischen Wendungen</hi> und <hi rendition="#g">ausgeführten <lb n="pgo_195.007"/> Bildern</hi> unterscheiden, mögen es nun Gleichnisse oder Allegorieen <lb n="pgo_195.008"/> sein. Bei kurz hingeworfenen <hi rendition="#g">tropischen Wendungen</hi> halten wir die <lb n="pgo_195.009"/> Katachresen für erlaubt und den Dissonanzen in der Musik vergleichbar. <lb n="pgo_195.010"/> Es sind Ausweichungen der Phantasie, die aber bald wieder in die richtige <lb n="pgo_195.011"/> Bahn zurücklenkt und durch jene kleinen Ausschreitungen, die ebensoviele <lb n="pgo_195.012"/> Kühnheiten sind, angenehm erregt wird. Zu Hülfe kommt hier <lb n="pgo_195.013"/> jener fortdauernde Verwandlungsproceß der Sprache selbst, welche <lb n="pgo_195.014"/> uneigentliche Ausdrücke in eigentliche umschafft, bei denen die ursprüngliche <lb n="pgo_195.015"/> bildliche Bedeutung verblaßt. Der Sprachgebrauch arbeitet von <lb n="pgo_195.016"/> selbst auf diese Vergeistigung des Ausdruckes hin, und es bedarf oft einer <lb n="pgo_195.017"/> gewaltsamen Besinnung der Phantasie, um auf seine ursprüngliche Bildlichkeit <lb n="pgo_195.018"/> zurückzugehn und vielleicht eine durch dieselbe hervorgerufene <lb n="pgo_195.019"/> Katachrese zu entdecken. Dagegen hat das <hi rendition="#g">weiter ausgeführte Bild</hi> <lb n="pgo_195.020"/> den selbstständigen Reiz eines dichterischen Gemäldes; hier kommt es auf <lb n="pgo_195.021"/> die harmonische Zusammenstimmung der einzelnen Züge an, und hier <lb n="pgo_195.022"/> würde die Katachrese ein entschiedener Fehler sein, indem sie die Phantasie <lb n="pgo_195.023"/> gewaltsam und andauernd aus einem Bilde herausreißt und den <lb n="pgo_195.024"/> Rahmen des Gemäldes sprengt. So halten wir die Schlußverse in <lb n="pgo_195.025"/> Goethe's „Tasso“ für eine fehlerhafte Katachrese:</p> <lb n="pgo_195.026"/> <lg> <l>O edler Mann, Du stehest fest und still,</l> <lb n="pgo_195.027"/> <l>Jch schaue nur die sturmbewegte Welle,</l> <lb n="pgo_195.028"/> <l>Allein bedenk' und überhebe nicht</l> <lb n="pgo_195.029"/> <l>Dich Deiner Kraft! Die mächtige Natur,</l> <lb n="pgo_195.030"/> <l>Die diesen Felsen gründete, hat auch</l> <lb n="pgo_195.031"/> <l>Der Welle die Beweglichkeit gegeben.</l> <lb n="pgo_195.032"/> <l>Sie sendet ihren Sturm, die Welle flieht</l> <lb n="pgo_195.033"/> <l>Und schwankt und schwillt und beugt sich schäumend über.</l> <lb n="pgo_195.034"/> <l>Jn dieser Woge spiegelte so schön</l> <lb n="pgo_195.035"/> <l>Die Sonne sich, es ruhten die Gestirne</l> <lb n="pgo_195.036"/> <l>An dieser Brust, die zärtlich sich bewegte,</l> </lg> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [195/0217]
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bei deren Gebrauch selbst die Prosa sich fortwährender Katachresen schuldig pgo_195.002
macht!
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Die Grenzen sind also hier bei weitem enger zu stecken, wenn man pgo_195.004
sich nicht die müßige Freude bereiten will, Regeln aufzustellen, welche pgo_195.005
durch alle großen Dichter fortwährend übertreten worden sind. Wir pgo_195.006
möchten zunächst zwischen tropischen Wendungen und ausgeführten pgo_195.007
Bildern unterscheiden, mögen es nun Gleichnisse oder Allegorieen pgo_195.008
sein. Bei kurz hingeworfenen tropischen Wendungen halten wir die pgo_195.009
Katachresen für erlaubt und den Dissonanzen in der Musik vergleichbar. pgo_195.010
Es sind Ausweichungen der Phantasie, die aber bald wieder in die richtige pgo_195.011
Bahn zurücklenkt und durch jene kleinen Ausschreitungen, die ebensoviele pgo_195.012
Kühnheiten sind, angenehm erregt wird. Zu Hülfe kommt hier pgo_195.013
jener fortdauernde Verwandlungsproceß der Sprache selbst, welche pgo_195.014
uneigentliche Ausdrücke in eigentliche umschafft, bei denen die ursprüngliche pgo_195.015
bildliche Bedeutung verblaßt. Der Sprachgebrauch arbeitet von pgo_195.016
selbst auf diese Vergeistigung des Ausdruckes hin, und es bedarf oft einer pgo_195.017
gewaltsamen Besinnung der Phantasie, um auf seine ursprüngliche Bildlichkeit pgo_195.018
zurückzugehn und vielleicht eine durch dieselbe hervorgerufene pgo_195.019
Katachrese zu entdecken. Dagegen hat das weiter ausgeführte Bild pgo_195.020
den selbstständigen Reiz eines dichterischen Gemäldes; hier kommt es auf pgo_195.021
die harmonische Zusammenstimmung der einzelnen Züge an, und hier pgo_195.022
würde die Katachrese ein entschiedener Fehler sein, indem sie die Phantasie pgo_195.023
gewaltsam und andauernd aus einem Bilde herausreißt und den pgo_195.024
Rahmen des Gemäldes sprengt. So halten wir die Schlußverse in pgo_195.025
Goethe's „Tasso“ für eine fehlerhafte Katachrese:
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O edler Mann, Du stehest fest und still, pgo_195.027
Jch schaue nur die sturmbewegte Welle, pgo_195.028
Allein bedenk' und überhebe nicht pgo_195.029
Dich Deiner Kraft! Die mächtige Natur, pgo_195.030
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Jn dieser Woge spiegelte so schön pgo_195.035
Die Sonne sich, es ruhten die Gestirne pgo_195.036
An dieser Brust, die zärtlich sich bewegte,
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