Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.pgo_231.001 pgo_231.008 g. Der Pentameter. pgo_231.009_ _- -_- | _ _- -_- | _ || _ _ _ | _ _ _ | _ pgo_231.010 Jm Hexameter steigt des Springquells flüssige Säule, pgo_231.020 Jm Pentameter drauf fällt sie melodisch herab. pgo_231.021 pgo_231.024 pgo_231.001 pgo_231.008 γ. Der Pentameter. pgo_231.009_ ‿─ ─‿─ | _ ‿─ ─‿─ | _ ‖ _ ‿ ‿ | _ ‿ ‿ | _ pgo_231.010 Jm Hexameter steigt des Springquells flüssige Säule, pgo_231.020 Jm Pentameter drauf fällt sie melodisch herab. pgo_231.021 pgo_231.024 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <p><pb facs="#f0253" n="231"/><lb n="pgo_231.001"/> nicht die Bedeutung, die er für die streng quantitirende Sprache der <lb n="pgo_231.002"/> Griechen und Römer hatte, gereimt würde er monoton und klappernd <lb n="pgo_231.003"/> klingen — das moderne Epos aber verlangt die Strophe und den Reim. <lb n="pgo_231.004"/> Die rhythmische Malerei des Hexameters, die vorzugsweise im Wechsel <lb n="pgo_231.005"/> der Spondäen und Daktylen besteht, läßt sich auch in anderen Versmaaßen <lb n="pgo_231.006"/> erreichen. So bleibt sein Wirkungskreis heut zu Tage auf die <lb n="pgo_231.007"/> kürzere <hi rendition="#g">Jdylle</hi> und vorzugsweise auf das <hi rendition="#g">Distichon</hi> beschränkt.</p> </div> <div n="6"> <lb n="pgo_231.008"/> <head> <hi rendition="#c"><foreign xml:lang="grc">γ</foreign>. <hi rendition="#g">Der Pentameter.</hi></hi> </head> <lb n="pgo_231.009"/> <p> <hi rendition="#right">_ ‿<metamark function="metEmph" place="superlinear">─</metamark> <metamark function="metEmph" place="superlinear">─</metamark>‿<metamark function="metEmph" place="superlinear">─</metamark> | _ ‿<metamark function="metEmph" place="superlinear">─</metamark> <metamark function="metEmph" place="superlinear">─</metamark>‿<metamark function="metEmph" place="superlinear">─</metamark> | _ ‖ _ ‿ ‿ | _ ‿ ‿ | _</hi> </p> <p><lb n="pgo_231.010"/> Der Pentameter ist ein um einen Fuß verkürzter Hexameter, der <lb n="pgo_231.011"/> gegenüber dem expansiven Charakter des hinausstrebenden Sechsfüßlers <lb n="pgo_231.012"/> einen mehr koncentrirten Charakter hat. Der Hexameter ist centrifugal, <lb n="pgo_231.013"/> der Pentameter centripetal. Zwei Daktylen prallen gegen eine Länge <lb n="pgo_231.014"/> an und prallen wieder von ihr zurück. Hinter dieser Länge ruht die streng <lb n="pgo_231.015"/> zu beobachtende Cäsur. Da der Pentameter indeß durch die einsame <lb n="pgo_231.016"/> Länge der Cäsur und des Schlusses einen verstümmelten Charakter hat: <lb n="pgo_231.017"/> so wird er nie allein, sondern immer mit dem Hexameter zusammen <lb n="pgo_231.018"/> gebraucht, mit welchem er das <hi rendition="#g">antike Distichon</hi> bildet:</p> <lb n="pgo_231.019"/> <lg> <l>Jm Hexameter steigt des Springquells flüssige Säule,</l> <lb n="pgo_231.020"/> <l>Jm Pentameter drauf fällt sie melodisch herab.</l> </lg> <p><lb n="pgo_231.021"/> Für die beiden ersten Daktylen des Pentameters können Spondäen <lb n="pgo_231.022"/> stehn; für die beiden letzten aber nicht, indem sie an dieser Stelle den <lb n="pgo_231.023"/> melodischen Fall des Verses hemmen würden.</p> <p><lb n="pgo_231.024"/> Das <hi rendition="#g">Distichon,</hi> das <hi rendition="#g">elegische</hi> Versmaaß der Griechen, bildete sich <lb n="pgo_231.025"/> aus dem Hexameter und bezeichnete den Uebergang der Epik in eine <lb n="pgo_231.026"/> Lyrik, welche noch epische Elemente in sich enthält. Aus der Breite der <lb n="pgo_231.027"/> äußern Welt kehrte das sinnige Gemüth in sich selbst zurück. Wegen <lb n="pgo_231.028"/> dieser künstlerischen Bedeutung verdient das Distichon, in welchem <lb n="pgo_231.029"/> <hi rendition="#g">Mimnermos, Tyrtäos, Theognis, Ovid, Tibull, Properz, <lb n="pgo_231.030"/> Goethe</hi> die römischen Elegieen, <hi rendition="#g">Schiller</hi> den Spaziergang, beide <lb n="pgo_231.031"/> zusammen die Xenien gedichtet, für das größere und kleinere <hi rendition="#g">Sinngedicht,</hi> <lb n="pgo_231.032"/> die Elegie und das <hi rendition="#g">Epigramm,</hi> beibehalten zu werden. Es <lb n="pgo_231.033"/> eignet sich vortrefflich für die epigrammatische Antithese. Jn neuer Zeit hat <lb n="pgo_231.034"/> besonders <hi rendition="#g">Hebbel</hi> scharfe und schlagende Xenien in dieser Form gedichtet.</p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [231/0253]
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nicht die Bedeutung, die er für die streng quantitirende Sprache der pgo_231.002
Griechen und Römer hatte, gereimt würde er monoton und klappernd pgo_231.003
klingen — das moderne Epos aber verlangt die Strophe und den Reim. pgo_231.004
Die rhythmische Malerei des Hexameters, die vorzugsweise im Wechsel pgo_231.005
der Spondäen und Daktylen besteht, läßt sich auch in anderen Versmaaßen pgo_231.006
erreichen. So bleibt sein Wirkungskreis heut zu Tage auf die pgo_231.007
kürzere Jdylle und vorzugsweise auf das Distichon beschränkt.
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γ. Der Pentameter. pgo_231.009
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Der Pentameter ist ein um einen Fuß verkürzter Hexameter, der pgo_231.011
gegenüber dem expansiven Charakter des hinausstrebenden Sechsfüßlers pgo_231.012
einen mehr koncentrirten Charakter hat. Der Hexameter ist centrifugal, pgo_231.013
der Pentameter centripetal. Zwei Daktylen prallen gegen eine Länge pgo_231.014
an und prallen wieder von ihr zurück. Hinter dieser Länge ruht die streng pgo_231.015
zu beobachtende Cäsur. Da der Pentameter indeß durch die einsame pgo_231.016
Länge der Cäsur und des Schlusses einen verstümmelten Charakter hat: pgo_231.017
so wird er nie allein, sondern immer mit dem Hexameter zusammen pgo_231.018
gebraucht, mit welchem er das antike Distichon bildet:
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Jm Hexameter steigt des Springquells flüssige Säule, pgo_231.020
Jm Pentameter drauf fällt sie melodisch herab.
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Für die beiden ersten Daktylen des Pentameters können Spondäen pgo_231.022
stehn; für die beiden letzten aber nicht, indem sie an dieser Stelle den pgo_231.023
melodischen Fall des Verses hemmen würden.
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Das Distichon, das elegische Versmaaß der Griechen, bildete sich pgo_231.025
aus dem Hexameter und bezeichnete den Uebergang der Epik in eine pgo_231.026
Lyrik, welche noch epische Elemente in sich enthält. Aus der Breite der pgo_231.027
äußern Welt kehrte das sinnige Gemüth in sich selbst zurück. Wegen pgo_231.028
dieser künstlerischen Bedeutung verdient das Distichon, in welchem pgo_231.029
Mimnermos, Tyrtäos, Theognis, Ovid, Tibull, Properz, pgo_231.030
Goethe die römischen Elegieen, Schiller den Spaziergang, beide pgo_231.031
zusammen die Xenien gedichtet, für das größere und kleinere Sinngedicht, pgo_231.032
die Elegie und das Epigramm, beibehalten zu werden. Es pgo_231.033
eignet sich vortrefflich für die epigrammatische Antithese. Jn neuer Zeit hat pgo_231.034
besonders Hebbel scharfe und schlagende Xenien in dieser Form gedichtet.
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