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Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.

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gehemmt oder tönt durch Trochäen und den Kretikus in leichterem pgo_242.002
Schwung aus. Für eine streng quantitirende Sprache waren diese großen pgo_242.003
Versmaaße der schönste Gipfel rhythmischer Entwickelung, der Triumph pgo_242.004
des Dichters und des Hörers, der diesen verwickelten Sätzen der metrischen pgo_242.005
Komposition mit geübtem Ohr folgte. Jedem Schwung des Gedankens pgo_242.006
konnte sich diese freie Pindarische Rhythmik anschmiegen. Anders verhält pgo_242.007
es sich in unserer Sprache, welche keine so ausgeprägte, schöne Leiblichkeit pgo_242.008
hat, welche durch vier aufeinander folgende Längen bereits einen pgo_242.009
schwerfälligen Anstrich gewinnt und schon bei drei Kürzen auffordert, den pgo_242.010
Ton auf eine derselben zu legen und sie dadurch in eine Länge zu verwandeln. pgo_242.011
Einem verwickelten Schema metrischer Komposition wird das pgo_242.012
Ohr nicht folgen können, ohne zu ermüden und den Faden zu verlieren, pgo_242.013
und so können wir auch die Platen'schen Versuche, trotz aller Kunst und pgo_242.014
Sprachgewandtheit, nicht für gelungen halten, sondern für vergebliche pgo_242.015
Bemühungen, eine todte Form zu galvanisiren. Es sind metrische pgo_242.016
Zuckungen, aber kein metrisches Leben.

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Für die größere strophische Architektonik ist der Reim im Deutschen pgo_242.018
unentbehrlich; er ist der Karyatide unserer deutschen Rhythmik. Oden, pgo_242.019
Hymnen, Dithyramben erfordern einen freien Schwung -- er hat im pgo_242.020
Deutschen am Reime den besten Halt!

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Entweder mögen daher unsere Dichter gereimte Jamben, Trochäen, pgo_242.022
Daktylen von verschiedenen Füßen, in diesen größeren Gedichten abwechseln pgo_242.023
lassen, wodurch sie, bei richtigem Takte und Formensinn, eine stets pgo_242.024
angemessene, malerische Drapirung des Gedankens erzielen;

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Oder sie mögen der chorischen Lyrik der Griechen darin folgen, daß sie pgo_242.026
ein solches Gedicht in Strophe, Antistrophe und Schlußstrophe pgo_242.027
gliedern, indem die Antistrophe das Schema der Strophe auf's Strengste pgo_242.028
wiederholt, die Schlußstrophe aber beide in einer höheren Einheit zusammenfaßt. pgo_242.029
Dabei mögen sie die verwickelteren und für das deutsche Ohr pgo_242.030
immer unverständlichen chorischen Vers- und Strophenbildungen aufgeben pgo_242.031
und was ihnen dadurch entgeht, durch den Reim ersetzen, der die einfachere, pgo_242.032
aber korrekte Rhythmik melodisch gliedern hilft. Schon Carriere pgo_242.033
bemerkt mit Recht, "was Pindar und die Tragiker in dem Gebäude pgo_242.034
von Strophe, Antistrophe und Epode erreichen, die Verbindung zweier pgo_242.035
gleichen und eines dritten, ihnen ungleichen Bestandstückes, das erzielen

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Zuckungen, aber kein metrisches Leben.

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Zitationshilfe: Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858, S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottschall_poetik_1858/264>, abgerufen am 22.11.2024.