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Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.

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Das Schöne besteht nach ihm darin, daß die Vollkommenheit einer pgo_010.002
Sache in ihrer Erscheinung wahrgenommen wird. Doch gehört nach pgo_010.003
der Wolf'schen Lehre die Wahrnehmung den niedern Seelenkräften pgo_010.004
an, so daß das Schöne, das Genie in der Baumgarten'schen pgo_010.005
Auffassung in eine allzuniedrige Sphäre herabgedrückt wird. Die pgo_010.006
Nachfolger Baumgarten's, besonders Sulzer, suchten den Begriff des pgo_010.007
Vollkommenen näher zu erörtern, doch kamen sie über die Platonische pgo_010.008
Vermischung des Guten und Schönen nicht hinaus. Auch Johann pgo_010.009
August Eberhard
(geb. 1739), welcher die Wirkung des Schönen pgo_010.010
im leichten und gefälligen Spiele der Seelenkräfte suchte, vermochte nicht pgo_010.011
der Aesthetik eine tiefere Grundlage zu geben; wohl aber hat er sie zuerst pgo_010.012
in einer leichten, klaren, faßlichen Weise durchgearbeitet, alle Zweige der pgo_010.013
Kunst im Einzelnen nicht ohne Sachkenntniß und in gefälliger Darstellung pgo_010.014
behandelt und auch der "Poetik" im vierten Bande seines pgo_010.015
"Handbuches der Aesthetik" (1803-5) eine eingehende Besprechung pgo_010.016
gewidmet. Dies nicht ohne französische Grazie geschriebene Werk enthält pgo_010.017
treffende Einzelnheiten, welche auch für die Gegenwart nicht veraltet zu pgo_010.018
nennen sind. Freilich darf man nicht vergessen, daß der Hallenser Aesthetiker pgo_010.019
bereits unsere klassischen Meisterwerke als Musterbilder in's Auge pgo_010.020
fassen konnte.

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Die Gedankenwelten, welche Kant und Fichte geschaffen, mußten pgo_010.022
auch für das Schöne eine Stätte bereiten. Kant nahm die Lehre vom pgo_010.023
Schönen in seine "Kritik der Urtheilskraft" auf: doch konnte er, pgo_010.024
seinem ganzen Standpunkte nach, die schönen Gegenstände der Natur pgo_010.025
und Kunst nur von Seiten des sie beurtheilenden Geistes auffassen und so pgo_010.026
das selbstständige Wesen des Schönen nicht ergründen. Doch hat er das pgo_010.027
ästhetische Urtheil selbst so scharf bestimmt, daß er durch diese Bestimmung pgo_010.028
einen Fortschritt der Aesthetik möglich machte. Er leitete dies Urtheil pgo_010.029
aus dem freien Spiele des Verstandes und der Einbildungskraft her. pgo_010.030
Es ist interesselos, ohne Beziehung auf die Zwecke unseres Willens, pgo_010.031
erkennt nur die innere Zweckmäßigkeit des Gegenstandes an; es ist von pgo_010.032
allgemeiner Gültigkeit und innerer Nothwendigkeit. Der große sittliche pgo_010.033
Revolutionair Fichte, dem die Welt nur eine Schranke für den rastlos pgo_010.034
strebenden Geist war, der sie ewig zu überwinden und aus sich zu erzeugen pgo_010.035
suchte, hatte dennoch einen für eine geniale ästhetische Auffassung fruchtbaren

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Das Schöne besteht nach ihm darin, daß die Vollkommenheit einer pgo_010.002
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Vollkommenen näher zu erörtern, doch kamen sie über die Platonische pgo_010.008
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Die Gedankenwelten, welche Kant und Fichte geschaffen, mußten pgo_010.022
auch für das Schöne eine Stätte bereiten. Kant nahm die Lehre vom pgo_010.023
Schönen in seine „Kritik der Urtheilskraft“ auf: doch konnte er, pgo_010.024
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Es ist interesselos, ohne Beziehung auf die Zwecke unseres Willens, pgo_010.031
erkennt nur die innere Zweckmäßigkeit des Gegenstandes an; es ist von pgo_010.032
allgemeiner Gültigkeit und innerer Nothwendigkeit. Der große sittliche pgo_010.033
Revolutionair Fichte, dem die Welt nur eine Schranke für den rastlos pgo_010.034
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Zitationshilfe: Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottschall_poetik_1858/32>, abgerufen am 21.11.2024.