pgo_011.001 Gesichtspunkt, den Solger auf der einen, die Romantiker auf pgo_011.002 der andern Seite weiter entwickelten.
pgo_011.003 Jnzwischen war, in Beispiel und Lehre, unsere klassische Poetikpgo_011.004 an's Licht getreten, wie wir wohl die Summe jener ästhetischen Einsichten pgo_011.005 nennen dürfen, die in den Werken eines Lessing, Schiller, Goethe, pgo_011.006 Herder, Jean Paul enthalten sind und den großartigen Aufschwung pgo_011.007 unserer Literatur sowohl bewirkten als begleiteten. Es war eine in allen pgo_011.008 Zeiten seltene Erscheinung, daß unsere großen Dichter auch große Denker pgo_011.009 waren, eine Erscheinung, die für die klassische Blüthenepoche unserer pgo_011.010 Literatur bezeichnend ist. Kunst und Wissenschaft gingen Hand in Hand; pgo_011.011 die Production war von einer nimmer schlummernden Kritik begleitet, und pgo_011.012 die Siege, die der Genius auf dem Gebiete der Poesie erfocht, suchte er pgo_011.013 selbst wissenschaftlich zu verwerthen und für die Aesthetik fruchtbringend pgo_011.014 zu machen. Zu allen Zeiten zwar sind große Dichter auch wahrhaft pgo_011.015 große Geister gewesen, und es würde auf unsere Epoche ein trauriges Licht pgo_011.016 werfen, wenn die Poeten der Miniaturlyrik, die auch geistig das Format pgo_011.017 ihrer Werke nicht überschreiten, ihre Tonangeber werden könnten; aber pgo_011.018 niemals hat sich diese geistige Bedeutung so einstimmig auf das ästhetische pgo_011.019 Gebiet geworfen und die Gesetze der Kunst und des Schönen zu entdecken pgo_011.020 gesucht. Durch diese innige und untrennbare Verbindung der schaffenden pgo_011.021 Kraft und sinnenden Einsicht wird aber andererseits der revolutionairepgo_011.022 Charakter unserer klassischen Epoche angezeigt, welche auf jedem Wege, pgo_011.023 praktisch und theoretisch, die neue Bahn brechen wollte, ein Charakter, der pgo_011.024 deutlich genug verräth, daß sie mehr der Beginn, als der Abschlußpgo_011.025 einer neuen literarischen Aera ist. Diese klassische Poetik nun ist formlos; pgo_011.026 sie ist in Abhandlungen, Briefen, Fragmenten, Maximen, Skizzen enthalten; pgo_011.027 aber dennoch ergänzt sie sich und greift ineinander; denn der pgo_011.028 Genius hat sie geschrieben und zwar der Genius, der sich nicht isolirte pgo_011.029 auf irgend einem schöngeistigen Patmos, um ganz besondern Offenbarungen pgo_011.030 zu lauschen, sondern der im bewußten und gewollten Zusammenhang pgo_011.031 blieb mit seiner Zeit und den gleichstrebenden Geistern. Den kritischenpgo_011.032 Theil dieser Poetik hat der scharfsinnige Lessing geschrieben. Es lag in pgo_011.033 der eigenthümlichen Natur dieses seltenen Mannes, daß er, um zu wirken, pgo_011.034 eines gegebenen Stoffes bedurfte, wie der Chemiker, welcher nur die pgo_011.035 gegebenen Stoffe componiren und decomponiren kann, aber gerade in der
pgo_011.001 Gesichtspunkt, den Solger auf der einen, die Romantiker auf pgo_011.002 der andern Seite weiter entwickelten.
pgo_011.003 Jnzwischen war, in Beispiel und Lehre, unsere klassische Poetikpgo_011.004 an's Licht getreten, wie wir wohl die Summe jener ästhetischen Einsichten pgo_011.005 nennen dürfen, die in den Werken eines Lessing, Schiller, Goethe, pgo_011.006 Herder, Jean Paul enthalten sind und den großartigen Aufschwung pgo_011.007 unserer Literatur sowohl bewirkten als begleiteten. Es war eine in allen pgo_011.008 Zeiten seltene Erscheinung, daß unsere großen Dichter auch große Denker pgo_011.009 waren, eine Erscheinung, die für die klassische Blüthenepoche unserer pgo_011.010 Literatur bezeichnend ist. Kunst und Wissenschaft gingen Hand in Hand; pgo_011.011 die Production war von einer nimmer schlummernden Kritik begleitet, und pgo_011.012 die Siege, die der Genius auf dem Gebiete der Poesie erfocht, suchte er pgo_011.013 selbst wissenschaftlich zu verwerthen und für die Aesthetik fruchtbringend pgo_011.014 zu machen. Zu allen Zeiten zwar sind große Dichter auch wahrhaft pgo_011.015 große Geister gewesen, und es würde auf unsere Epoche ein trauriges Licht pgo_011.016 werfen, wenn die Poeten der Miniaturlyrik, die auch geistig das Format pgo_011.017 ihrer Werke nicht überschreiten, ihre Tonangeber werden könnten; aber pgo_011.018 niemals hat sich diese geistige Bedeutung so einstimmig auf das ästhetische pgo_011.019 Gebiet geworfen und die Gesetze der Kunst und des Schönen zu entdecken pgo_011.020 gesucht. Durch diese innige und untrennbare Verbindung der schaffenden pgo_011.021 Kraft und sinnenden Einsicht wird aber andererseits der revolutionairepgo_011.022 Charakter unserer klassischen Epoche angezeigt, welche auf jedem Wege, pgo_011.023 praktisch und theoretisch, die neue Bahn brechen wollte, ein Charakter, der pgo_011.024 deutlich genug verräth, daß sie mehr der Beginn, als der Abschlußpgo_011.025 einer neuen literarischen Aera ist. Diese klassische Poetik nun ist formlos; pgo_011.026 sie ist in Abhandlungen, Briefen, Fragmenten, Maximen, Skizzen enthalten; pgo_011.027 aber dennoch ergänzt sie sich und greift ineinander; denn der pgo_011.028 Genius hat sie geschrieben und zwar der Genius, der sich nicht isolirte pgo_011.029 auf irgend einem schöngeistigen Patmos, um ganz besondern Offenbarungen pgo_011.030 zu lauschen, sondern der im bewußten und gewollten Zusammenhang pgo_011.031 blieb mit seiner Zeit und den gleichstrebenden Geistern. Den kritischenpgo_011.032 Theil dieser Poetik hat der scharfsinnige Lessing geschrieben. Es lag in pgo_011.033 der eigenthümlichen Natur dieses seltenen Mannes, daß er, um zu wirken, pgo_011.034 eines gegebenen Stoffes bedurfte, wie der Chemiker, welcher nur die pgo_011.035 gegebenen Stoffe componiren und decomponiren kann, aber gerade in der
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Gesichtspunkt, den Solger auf der einen, die Romantiker auf pgo_011.002
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Jnzwischen war, in Beispiel und Lehre, unsere klassische Poetik pgo_011.004
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Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottschall_poetik_1858/33>, abgerufen am 21.11.2024.
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