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Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.

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seculare" als Hymnendichter erscheinen, dagegen hat die neulateinische pgo_298.002
Poesie in ihren Hymnen z. B. auf die Jungfrau Maria, die mittelhochdeutsche pgo_298.003
Dichtkunst in den Hymnen Gottfried's von Straßburg einen pgo_298.004
innigen, von Andacht trunkenen Aufschwung genommen. Die Hymnendichter pgo_298.005
der letzten Jahrhunderte, der italienische Bernardo Tasso, der pgo_298.006
die Einheit des Kolorits durch mythologische Anspielungen unterbricht, die pgo_298.007
Franzosen Jean Baptiste Rousseau, Louis Racine, le Franc, pgo_298.008
die Engländer Cowley, Prior, Thomson (in der Schlußhymne pgo_298.009
seiner Jahreszeiten), Gray, Watts und selbst Wieland in seinen pgo_298.010
Jugendgedichten, von Kleist, Cramer, Herder (in dem Geist der pgo_298.011
Hebräischen Poesie) und Klopstock haben eigentlich nur Nachahmungen pgo_298.012
und Nachdichtungen der biblischen Hymnensänger geschrieben. Dagegen pgo_298.013
sind Hölderlin's "Hymne an den Aether," die Goethe'schen Hymnen pgo_298.014
"Prometheus," "Gesang Mahomets," und einzelne schwunghafte Gedichte, pgo_298.015
Mörike's "An die Nacht," "mein Fluß," in echt modernem pgo_298.016
Sinn ewigen Mächten der Natur und des Geistes gewidmet. Auch in pgo_298.017
Shelley's "Queen Mab," in Byron's "Manfred" und "Himmel und pgo_298.018
Erde" sind titanische Hymnen des ringenden Menschengeistes zerstreut. pgo_298.019
Jch selbst habe in meiner "Hymne an den Tod" in den "Neuen Gedichten" pgo_298.020
schwunghaft wechselnde, gereimte Rhythmen für diese erhabene Dichtform pgo_298.021
gewählt.

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2. Die eigentliche Ode.

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Die Ode feiert in kunstvolleren Rhythmen und erregterem Gang, als pgo_298.024
das Lied, hervorragende Helden, Staatsmänner, Dichter oder allgemeingültige pgo_298.025
Empfindungen des menschlichen Herzens. Das Gefühl der pgo_298.026
Liebe, der Freundschaft, Sehnsucht, Wehmuth, läßt sich in die "Form der pgo_298.027
Ode" bringen, wenn ihm der Dichter einen tieferen, ewigen Gehalt zu pgo_298.028
verleihn vermag oder die Gluth der Leidenschaft eine den Rahmen des pgo_298.029
Liedes sprengende Gewalt erreicht. Darum darf man jene Oden der pgo_298.030
lesbischen Sängerin, in denen die Allgewalt der Liebe bis zu todesartigen pgo_298.031
Schauern geschildert wird, wohl nicht zu den Liedern rechnen. Der pgo_298.032
Kreis, den die Horazische Ode umschrieben, bestimmt noch heute die pgo_298.033
Grenzen ihres Gebietes. Man hat zwischen heroischen, didaktischen oder pgo_298.034
philosophischen Oden u. s. f. unterschieden, aber diese Unterscheidung ist pgo_298.035
weder nothwendig noch erschöpfend.

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Zitationshilfe: Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858, S. 298. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottschall_poetik_1858/320>, abgerufen am 24.11.2024.