Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.pgo_319.001 2. Romanische und orientalische Lormen. pgo_319.002 pgo_319.001 2. Romanische und orientalische Lormen. pgo_319.002 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <pb facs="#f0341" n="319"/> </div> <div n="5"> <lb n="pgo_319.001"/> <head> <hi rendition="#c">2. Romanische und orientalische Lormen.</hi> </head> <p><lb n="pgo_319.002"/> Neben dem einfachen Liede schufen die provençalischen Sänger in <lb n="pgo_319.003"/> ihren Sirventes, die anfangs in der vielgestaltigen und vielfach wechselnden <lb n="pgo_319.004"/> Form der <hi rendition="#g">Kanzone</hi> abgefaßt waren, eine Dichtform, in welcher die <lb n="pgo_319.005"/> Reflexion vorwog, und welche der kriegerischen und politischen Elegie der <lb n="pgo_319.006"/> Griechen, wie der erotischen der Römer entsprach. Hier begegnen wir <lb n="pgo_319.007"/> wieder der <hi rendition="#g">politischen Lyrik,</hi> wir sehn die Troubadours unmittelbar <lb n="pgo_319.008"/> aus dem frischen Leben, den Bewegungen und Kämpfen ihrer Zeit heraus <lb n="pgo_319.009"/> dichten, oft in herbem, bitterm, herausforderndem Ton, stets aber mit derselben <lb n="pgo_319.010"/> Hingabe an das naheliegende historische Ereigniß, mit welcher sie <lb n="pgo_319.011"/> die Abenteuer der Liebe feierten. Die Grenze zwischen <hi rendition="#g">Lied</hi> und <hi rendition="#g">Elegie</hi> <lb n="pgo_319.012"/> ist hier nicht leicht zu ziehn; doch gehören wohl alle Gedichte mit kunstvollerer <lb n="pgo_319.013"/> Strophen- und Reimbildung, wo die Reflexion, das politische <lb n="pgo_319.014"/> Pathos oder die Ausmalung der Situation überwiegt, in die letztere <lb n="pgo_319.015"/> Gattung. Hierher müssen wir ohne Frage die <hi rendition="#g">Tenzonen</hi> (Streitgedichte) <lb n="pgo_319.016"/> rechnen, und die <hi rendition="#g">Sirventes</hi> (Dienstgedichte), in denen die <lb n="pgo_319.017"/> Troubadours anfangs die Huld der Damen und Fürsten feierten, welchen <lb n="pgo_319.018"/> sie ihren Dienst gewidmet, bis diese Gedichte im Verlaufe der Zeit das <lb n="pgo_319.019"/> Lob in Tadel verkehrten und einen strafenden, den Verfall der Verhältnisse <lb n="pgo_319.020"/> beklagenden Ton annahmen. Der liebefeindliche <hi rendition="#g">Marcabrun</hi> <lb n="pgo_319.021"/> eröffnet die Reihe der politisch-kriegerischen Elegiker mit einem Aufrufe <lb n="pgo_319.022"/> zum Kampfe gegen die Saracenen in Spanien in schwerfälligen Versen <lb n="pgo_319.023"/> und gesuchten Reimen; <hi rendition="#g">Guiraut von Borneil</hi> beklagt in drei Sirventen <lb n="pgo_319.024"/> den Verfall des geselligen Lebens, die Trägheit und Rohheit des <lb n="pgo_319.025"/> Adels, rühmt die schönere Vergangenheit und verwebt ein Lob des <lb n="pgo_319.026"/> Königs <hi rendition="#g">Richard Löwenherz</hi> in seine wahrhaft elegischen Klänge; der <lb n="pgo_319.027"/> kriegerische, von Dante hochgestellte <hi rendition="#g">Bertrand de Born</hi> feiert mit <lb n="pgo_319.028"/> Behagen die Kampf- und Raublust seiner verwilderten Zeit, in deren <lb n="pgo_319.029"/> Händel er verstrickt war; Trotzlieder gegen die Feinde, Gesänge voll <lb n="pgo_319.030"/> aristokratischen Stolzes, in denen er nach Art des Theognis „die niederträchtigen <lb n="pgo_319.031"/> Reichen, die mit dem Adel zu streiten wagen“ geißelt, finden <lb n="pgo_319.032"/> sich zahlreich unter seinen hinterlassenen Werken; <hi rendition="#g">Pons von Capdueil</hi> <lb n="pgo_319.033"/> dichtet, mit mehr Beruf als neuerdings Redwitz, Kreuzlieder voll edler <lb n="pgo_319.034"/> Beredtsamkeit, am feurigsten aber geißelt <hi rendition="#g">Peire Cardinal</hi> in seinen <lb n="pgo_319.035"/> <hi rendition="#g">Sirventes</hi> den Uebermuth der Großen und der Priester mit rhetorischem </p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [319/0341]
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2. Romanische und orientalische Lormen. pgo_319.002
Neben dem einfachen Liede schufen die provençalischen Sänger in pgo_319.003
ihren Sirventes, die anfangs in der vielgestaltigen und vielfach wechselnden pgo_319.004
Form der Kanzone abgefaßt waren, eine Dichtform, in welcher die pgo_319.005
Reflexion vorwog, und welche der kriegerischen und politischen Elegie der pgo_319.006
Griechen, wie der erotischen der Römer entsprach. Hier begegnen wir pgo_319.007
wieder der politischen Lyrik, wir sehn die Troubadours unmittelbar pgo_319.008
aus dem frischen Leben, den Bewegungen und Kämpfen ihrer Zeit heraus pgo_319.009
dichten, oft in herbem, bitterm, herausforderndem Ton, stets aber mit derselben pgo_319.010
Hingabe an das naheliegende historische Ereigniß, mit welcher sie pgo_319.011
die Abenteuer der Liebe feierten. Die Grenze zwischen Lied und Elegie pgo_319.012
ist hier nicht leicht zu ziehn; doch gehören wohl alle Gedichte mit kunstvollerer pgo_319.013
Strophen- und Reimbildung, wo die Reflexion, das politische pgo_319.014
Pathos oder die Ausmalung der Situation überwiegt, in die letztere pgo_319.015
Gattung. Hierher müssen wir ohne Frage die Tenzonen (Streitgedichte) pgo_319.016
rechnen, und die Sirventes (Dienstgedichte), in denen die pgo_319.017
Troubadours anfangs die Huld der Damen und Fürsten feierten, welchen pgo_319.018
sie ihren Dienst gewidmet, bis diese Gedichte im Verlaufe der Zeit das pgo_319.019
Lob in Tadel verkehrten und einen strafenden, den Verfall der Verhältnisse pgo_319.020
beklagenden Ton annahmen. Der liebefeindliche Marcabrun pgo_319.021
eröffnet die Reihe der politisch-kriegerischen Elegiker mit einem Aufrufe pgo_319.022
zum Kampfe gegen die Saracenen in Spanien in schwerfälligen Versen pgo_319.023
und gesuchten Reimen; Guiraut von Borneil beklagt in drei Sirventen pgo_319.024
den Verfall des geselligen Lebens, die Trägheit und Rohheit des pgo_319.025
Adels, rühmt die schönere Vergangenheit und verwebt ein Lob des pgo_319.026
Königs Richard Löwenherz in seine wahrhaft elegischen Klänge; der pgo_319.027
kriegerische, von Dante hochgestellte Bertrand de Born feiert mit pgo_319.028
Behagen die Kampf- und Raublust seiner verwilderten Zeit, in deren pgo_319.029
Händel er verstrickt war; Trotzlieder gegen die Feinde, Gesänge voll pgo_319.030
aristokratischen Stolzes, in denen er nach Art des Theognis „die niederträchtigen pgo_319.031
Reichen, die mit dem Adel zu streiten wagen“ geißelt, finden pgo_319.032
sich zahlreich unter seinen hinterlassenen Werken; Pons von Capdueil pgo_319.033
dichtet, mit mehr Beruf als neuerdings Redwitz, Kreuzlieder voll edler pgo_319.034
Beredtsamkeit, am feurigsten aber geißelt Peire Cardinal in seinen pgo_319.035
Sirventes den Uebermuth der Großen und der Priester mit rhetorischem
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