Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.pgo_366.001 pgo_366.004 pgo_366.001 pgo_366.004 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0388" n="366"/><lb n="pgo_366.001"/> und ihm heiligen Empfindungen! So ist das „tolle Zeug“ des Meisters <lb n="pgo_366.002"/> <hi rendition="#g">Ludovico,</hi> dies phantastische Schellengeläute der Phantasie, zugleich <lb n="pgo_366.003"/> ein Grabgeläute des Ritterthums.</p> <p><lb n="pgo_366.004"/> Ernster gemeint ist die Romantik im höfisch ritterlichen Epos der <lb n="pgo_366.005"/> Deutschen, als dessen Höhepunkte <hi rendition="#g">Wolfram von Eschenbach's</hi> <lb n="pgo_366.006"/> „<hi rendition="#g">Parcival</hi>“ und <hi rendition="#g">Gottfried von Straßburg's</hi> „<hi rendition="#g">Tristan und <lb n="pgo_366.007"/> Jsolde</hi>“ zu bezeichnen sind. Das mystische Element, das dem Sagenkreise <lb n="pgo_366.008"/> des heiligen Graals angehört, vermag indeß dem „<hi rendition="#g">Parcival</hi>“ <lb n="pgo_366.009"/> keine höhere, über das Abenteuerliche und rein Jndividuelle hinausgehende <lb n="pgo_366.010"/> Bedeutung zu geben! Und die sündig-sinnliche Liebesgluth in <lb n="pgo_366.011"/> „Tristan und Jsolde“ ist in ihrer reflektirenden Leichtfertigkeit von den <lb n="pgo_366.012"/> üppigen Phantasiespielen des Ariosto zu ihrem Nachtheile verschieden. <lb n="pgo_366.013"/> Neben glänzenden Höhepunkten der Darstellung findet sich in diesen Dichtungen <lb n="pgo_366.014"/> viel Einzelnes von ermüdender Breite, Schilderungen ohne Kraft <lb n="pgo_366.015"/> und Poesie, äußerliche Malereien, und die einförmigen Verse mit den <lb n="pgo_366.016"/> monoton wiederkehrenden Reimen machen einen ermüdenden Eindruck. <lb n="pgo_366.017"/> Jn England verdienen <hi rendition="#g">Chaucer's</hi> romantische Nachdichtungen und <lb n="pgo_366.018"/> <hi rendition="#g">Spencer's</hi> allegorisches Epos: <hi rendition="#g">Fairyqueen,</hi> dessen Nachwirkungen <lb n="pgo_366.019"/> noch bei <hi rendition="#g">Byron</hi> und <hi rendition="#g">Shelley</hi> nachzuweisen, unter den romantischen <lb n="pgo_366.020"/> Epen aufgeführt zu werden. Jn neuer Zeit haben die Ritterepen von <lb n="pgo_366.021"/> <hi rendition="#g">Alxinger</hi> und vor allen <hi rendition="#g">Wieland's</hi> „Oberon“ das romantische <lb n="pgo_366.022"/> Epos wieder aufzuwecken versucht, und <hi rendition="#g">Wieland's</hi> behaglich sinnige <lb n="pgo_366.023"/> Phantasie hat darin den Preis davongetragen. Die romantischen Dichtungen <lb n="pgo_366.024"/> <hi rendition="#g">Tieck's</hi> sind in dramatischer Form geschrieben — <hi rendition="#g">Brentano's</hi> <lb n="pgo_366.025"/> „Romanzen vom Rosenkranz,“ reich an diabolischer Genialität und an <lb n="pgo_366.026"/> den lieblichsten Stellen, zeigen bereits eine polemische Wendung gegen die <lb n="pgo_366.027"/> Zeit! Hiermit war die Harmlosigkeit des romantischen Epos aufgehoben, <lb n="pgo_366.028"/> und wenn auch <hi rendition="#g">Ernst Schulze</hi> in seiner „<hi rendition="#g">Cäcilie</hi>“ noch einmal seine <lb n="pgo_366.029"/> umfangreiche Verjüngung versuchte, in der „<hi rendition="#g">bezauberten Rose</hi>“ eine <lb n="pgo_366.030"/> letzte duftige Blüthe auf sein Grab legte, beides Dichtungen von harmloser <lb n="pgo_366.031"/> Phantastik, so war doch sowohl der „<hi rendition="#g">Amaranth</hi>“ von Oscar <lb n="pgo_366.032"/> von <hi rendition="#g">Redwitz,</hi> als auch <hi rendition="#g">Eichendorff's</hi> „<hi rendition="#g">Julian,</hi>“ „<hi rendition="#g">Robert und <lb n="pgo_366.033"/> Guiscard</hi>“ u. a. bereits mit einer so feindseligen Reaktionspolemik <lb n="pgo_366.034"/> gegen den Geist der Gegenwart zersetzt, daß die echt romantische Heiterkeit <lb n="pgo_366.035"/> und Unbefangenheit gänzlich verloren gegangen ist. Jn der That </p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [366/0388]
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und ihm heiligen Empfindungen! So ist das „tolle Zeug“ des Meisters pgo_366.002
Ludovico, dies phantastische Schellengeläute der Phantasie, zugleich pgo_366.003
ein Grabgeläute des Ritterthums.
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Ernster gemeint ist die Romantik im höfisch ritterlichen Epos der pgo_366.005
Deutschen, als dessen Höhepunkte Wolfram von Eschenbach's pgo_366.006
„Parcival“ und Gottfried von Straßburg's „Tristan und pgo_366.007
Jsolde“ zu bezeichnen sind. Das mystische Element, das dem Sagenkreise pgo_366.008
des heiligen Graals angehört, vermag indeß dem „Parcival“ pgo_366.009
keine höhere, über das Abenteuerliche und rein Jndividuelle hinausgehende pgo_366.010
Bedeutung zu geben! Und die sündig-sinnliche Liebesgluth in pgo_366.011
„Tristan und Jsolde“ ist in ihrer reflektirenden Leichtfertigkeit von den pgo_366.012
üppigen Phantasiespielen des Ariosto zu ihrem Nachtheile verschieden. pgo_366.013
Neben glänzenden Höhepunkten der Darstellung findet sich in diesen Dichtungen pgo_366.014
viel Einzelnes von ermüdender Breite, Schilderungen ohne Kraft pgo_366.015
und Poesie, äußerliche Malereien, und die einförmigen Verse mit den pgo_366.016
monoton wiederkehrenden Reimen machen einen ermüdenden Eindruck. pgo_366.017
Jn England verdienen Chaucer's romantische Nachdichtungen und pgo_366.018
Spencer's allegorisches Epos: Fairyqueen, dessen Nachwirkungen pgo_366.019
noch bei Byron und Shelley nachzuweisen, unter den romantischen pgo_366.020
Epen aufgeführt zu werden. Jn neuer Zeit haben die Ritterepen von pgo_366.021
Alxinger und vor allen Wieland's „Oberon“ das romantische pgo_366.022
Epos wieder aufzuwecken versucht, und Wieland's behaglich sinnige pgo_366.023
Phantasie hat darin den Preis davongetragen. Die romantischen Dichtungen pgo_366.024
Tieck's sind in dramatischer Form geschrieben — Brentano's pgo_366.025
„Romanzen vom Rosenkranz,“ reich an diabolischer Genialität und an pgo_366.026
den lieblichsten Stellen, zeigen bereits eine polemische Wendung gegen die pgo_366.027
Zeit! Hiermit war die Harmlosigkeit des romantischen Epos aufgehoben, pgo_366.028
und wenn auch Ernst Schulze in seiner „Cäcilie“ noch einmal seine pgo_366.029
umfangreiche Verjüngung versuchte, in der „bezauberten Rose“ eine pgo_366.030
letzte duftige Blüthe auf sein Grab legte, beides Dichtungen von harmloser pgo_366.031
Phantastik, so war doch sowohl der „Amaranth“ von Oscar pgo_366.032
von Redwitz, als auch Eichendorff's „Julian,“ „Robert und pgo_366.033
Guiscard“ u. a. bereits mit einer so feindseligen Reaktionspolemik pgo_366.034
gegen den Geist der Gegenwart zersetzt, daß die echt romantische Heiterkeit pgo_366.035
und Unbefangenheit gänzlich verloren gegangen ist. Jn der That
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