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Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.

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einem schottischen Ritter aufgefischt und unter dem Namen des Kindes pgo_381.002
der See erzogen!

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den modernen Roman und haben hier dasselbe Recht, wie die mythischen pgo_381.005
Wunder in der Epopöe. Nur darf mit ihnen kein Mißbrauch getrieben pgo_381.006
werden und das Stoffartige, das im Roman überhaupt schon über pgo_381.007
die lockere Kunstform hinauswächst, nicht im Jnteresse einer prickelnden pgo_381.008
Neugierde ganz in den Vordergrund treten. Die Spannung nach der pgo_381.009
Vergangenheit hin, bereits von uns als episches Grundgesetz entwickelt, pgo_381.010
darf im Roman zu vollster Geltung kommen. Die Charaktere des pgo_381.011
Romans dürfen bei ihrem ersten Auftreten etwas Geheimnißvolles haben; pgo_381.012
ihr Totalbild entrollt sich uns erst allmählich, indem aus ihrem vergangenen pgo_381.013
Leben ein immer wachsendes Licht auf ihren Charakter fällt! Es pgo_381.014
gehört zur Technik des Romans, diese Enthüllungen in überraschender pgo_381.015
Weise vor sich gehn zu lassen, ihnen den Reiz des Unverhofften und Wunderbaren pgo_381.016
zu geben. Trotz der Polizeiregister und Kirchenbücher, trotz Aufenthaltskarten pgo_381.017
und Taufscheinen kann die Phantasie auch in die Verhältnisse pgo_381.018
unserer Civilisation des Abenteuerlichen viel hineinzaubern. Ein Hauptmittel pgo_381.019
dieser Zauberei beruht auf jener Lösung der Verwickelungen, die aus pgo_381.020
der alten Tragödie in den hellenischen Roman überging unter dem Namen pgo_381.021
der Anagnorisis, "Wiedererkennung." Seit den Romanen des Heliodoros pgo_381.022
und Longos bis in die neuesten von Eugen Sue, Dickens, pgo_381.023
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spielt diese "Wiedererkennung" eine große Rolle. Sie hat die pgo_381.024
Verwickelungen der Descendenz zur Voraussetzung; geraubte, vertauschte pgo_381.025
Kinder, natürliche Kinder, die spät erst ihren Vater und ihre pgo_381.026
Mutter entdecken, liberi adulterini und die verschiedensten Arten der pgo_381.027
geheimnißvollen Kindschaft. Das Dunkel, das um ihre Wiege schwebt, pgo_381.028
die zufällige Begegnung, das rührende Wiedersehn, die Lösung, die der pgo_381.029
Leser im Voraus zu errathen sucht, da ihn der Romandichter, unähnlich pgo_381.030
dem Dramatiker, nicht zum Vertrauten seiner Geheimnisse macht -- das pgo_381.031
alles sind Momente aus diesem Verwickelungskreise, welche die Spannung pgo_381.032
des Lesers wacherhalten. Hierher gehören auch dunkle Thaten der pgo_381.033
Vergangenheit, welche in das Leben der Helden mit schwarzer Magie pgo_381.034
hineinragen, deren Schleier zu lüften die Neugierde brennt -- man denke pgo_381.035
an Bulwer's "Eugen Aram." Oder ein zufälliges Begegnen gruppirt

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Zitationshilfe: Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858, S. 381. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottschall_poetik_1858/403>, abgerufen am 22.11.2024.