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Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.

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vornehme Gaunerthum, die Schmuggler u. dgl. setzt. Vortheilhaft für pgo_383.002
die Romantik des Romans sind alle größeren Krisen der Gesellschaft, pgo_383.003
Revolutionen, Kriege, in denen die stagnirende Fluth stereotyper Zustände pgo_383.004
aus ihrer trüben Ruhe emporgerüttelt wird. Hierher gehört seit der pgo_383.005
Odyssee der Zauber der Ferne, der Reiz des Unbekannten, Unentdeckten, pgo_383.006
der fernen Länder und Meere und ihrer Abenteuer, ein Zauber, den sich pgo_383.007
der See- und exotische Roman, ein Marryat und Sealsfield, zu Nutze pgo_383.008
machen. Doch auch der Prosa unserer Kultur wird ein begabtes Talent pgo_383.009
ihre Poesie abgewinnen -- wir erinnern nur an Dickens, Hackländer u. A.

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Die Komposition des Romans muß, um diese Romantik unserer pgo_383.011
Zustände auszubeuten und die epische Spannung unserer Zustände durchzuführen, pgo_383.012
bestimmte Gesetze der Technik beobachten. Der Anfang des pgo_383.013
Romans führt uns gleich in das bewegte Leben; wir orientiren uns in pgo_383.014
unbekannten Physiognomieen und Verhältnissen, bis unser Jnteresse an pgo_383.015
ihnen lebendig, diese Lebendigkeit durch die Verschleierung einzelner Zustände pgo_383.016
und Charaktere gesteigert wird. Lange Beschreibungen von Gegenden, pgo_383.017
Verhältnissen, Charakteren sind besonders am Anfange des Romans pgo_383.018
von ertödtender Wirkung; der Faden einer fortgehenden Begebenheit muß pgo_383.019
uns diese Entwickelungen bieten. Die allmählich wachsende Klarheit soll pgo_383.020
mehr durch die Handlung, durch Gespräch und Brief, durch eine selbstständige pgo_383.021
Entwickelung der Helden von innen heraus hervorgerufen werden, pgo_383.022
als durch die Beschreibung des Dichters. Der Anfang des Romans ist pgo_383.023
gewiß am glücklichsten entworfen, wo wir gleich in irgend eine fesselnde pgo_383.024
Situation, einen Knotenpunkt der Handlung versetzt werden, dessen Fäden pgo_383.025
zugleich nach rückwärts und vorwärts weisen.

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Die Mitte des Romans führt nun diese Fäden weiter zu immer pgo_383.027
neuen Knotenpunkten der Entwickelung. Das Drama hat nur eine pgo_383.028
Kollision; der Roman verträgt deren mehrere neben- und nacheinander. pgo_383.029
Hier wird die eine gelöst, dort eine andere neuangeknüpft. Doch das pgo_383.030
vollkommene Austönen derselben in der Mitte muß von dem Romandichter pgo_383.031
vermieden werden. Ganz neue Anfänge sind hier gefährlich! pgo_383.032
Es muß alles ineinandergreifen, mindestens an einem Punkte der pgo_383.033
Bewegung. Wir haben schon früher gesehn, daß der Epiker spannt, pgo_383.034
indem er an einer fesselnden Stelle der Handlung abbricht und den Leser pgo_383.035
mit einer künstlich erzeugten Unbefriedigung entläßt. Dies Geheimniß

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Zustände auszubeuten und die epische Spannung unserer Zustände durchzuführen, pgo_383.012
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Zitationshilfe: Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858, S. 383. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottschall_poetik_1858/405>, abgerufen am 22.11.2024.