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Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.

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kleinliche Bestimmungen und Beschränkungen würden hier von einer pgo_441.002
Einseitigkeit zeigen, welche eine persönliche Vorliebe zu einem allgemein pgo_441.003
gültigen Gesetze zu erheben sucht. Ohne Frage lassen sich die höchsten pgo_441.004
Zwecke der Tragödie ebensogut in Shakespeare's bilderreicher Diktion, pgo_441.005
wie in der antithesenreichen Schiller's, in Goethe's plastisch klarer, wie pgo_441.006
in Lessing's verstandesscharfer Sprache, in Hebbel's paradox kühner, pgo_441.007
Gutzkow's sinnvoll verschlungener, Laube's sinnlich frischer Redeweise pgo_441.008
erreichen, wenn nur die Begeisterung des Dichters die Diktion mit immer pgo_441.009
schöpferischer Nothwendigkeit hervorbringt! Dagegen ist die Gewalt des pgo_441.010
tragischen Pathos, das sich in mächtigen Feuerströmen ergießt, allen großen pgo_441.011
Dramatikern, Aeschylos und Sophokles, Calderon und Shakespeare, pgo_441.012
Corneille und Schiller, eigenthümlich -- eine unerläßliche Bedingung der pgo_441.013
tragischen Wirkung. Nicht Goethe's sinnige Grazie, nicht Lessing's geistvolle pgo_441.014
Schärfe können den Mangel an dieser hinreißenden Energie des pgo_441.015
Ausdruckes ersetzen, ohne welche der Dramatiker die großartige Majestät pgo_441.016
der Leidenschaft und den Enthusiasmus, aus dem die weltgeschichtliche pgo_441.017
That hervorgeht, nur mit Aquarellfarben darzustellen vermag.

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Ausgeführte epische Vergleichungen sind im Drama, wie in der Lyrik pgo_441.019
ungehörig. Jn Goethe's "Tasso" und "Jphigenie" finden sich Beispiele pgo_441.020
einer im Drama fehlerhaften, schleppenden Bildlichkeit des Ausdrucks. pgo_441.021
Dagegen ist die schlagende Metapher, welche den Gedanken energisch pgo_441.022
zusammenfaßt, das echt dramatische Bild, um so mehr, als sich schon pgo_441.023
die undichterische Leidenschaft derselben zu bedienen pflegt. Calderon's pgo_441.024
Metaphern sind zu weit ausgeführt. Shakespeare und seine Zeitgenossen, pgo_441.025
Schiller, Victor Hugo, Grabbe, Hebbel, Gutzkow u. A. sind Meister eines pgo_441.026
schlagkräftigen metaphorischen Ausdruckes, der nicht zu den unwesentlichsten pgo_441.027
Mitgaben des dramatischen Talentes gehört. Daß diese Metaphern pgo_441.028
nicht ein abgeblaßter und abgetragener Schmuck, nicht welke Blumen pgo_441.029
aus den Guirlanden der Lyrik sein dürfen, versteht sich von selbst pgo_441.030
Die dramatische Metapher ist energischer, realistischer, als die lyrische; sie pgo_441.031
ist nicht blos eine Blüthe der Empfindung, sie muß dem Charakter und pgo_441.032
der Situation angemessen sein. Ein Styl, der an Metaphern arm ist, pgo_441.033
verführt, wie wir es an den großen französischen Tragikern sehn, leicht zu pgo_441.034
einem Uebermaaß abstrakt nüchterner Wendungen und blos rhetorischer pgo_441.035
Figuren. Eine sehr verschiedenartige Auffassung hat die Bedeutung der

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ungehörig. Jn Goethe's „Tasso“ und „Jphigenie“ finden sich Beispiele pgo_441.020
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Zitationshilfe: Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858, S. 441. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottschall_poetik_1858/463>, abgerufen am 22.11.2024.