Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.pgo_029.001 pgo_029.023 Zweiter Abschnitt. pgo_029.024Die Dichtkunst. pgo_029.025 pgo_029.001 pgo_029.023 Zweiter Abschnitt. pgo_029.024Die Dichtkunst. pgo_029.025 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0051" n="29"/><lb n="pgo_029.001"/> im Schaffen findet, ist die <hi rendition="#g">Phantasie.</hi> Jn der productiven Phantasie <lb n="pgo_029.002"/> lebt die Jdee in ihrer Reinheit, und durch sie wird das stoffartig Schöne <lb n="pgo_029.003"/> zum <hi rendition="#g">Jdeal</hi> geläutert. Doch dies Bild der reinen Schönheit ist nur <lb n="pgo_029.004"/> ein innerliches. Die Phantasie hat das Naturschöne zerstört, aber nur, <lb n="pgo_029.005"/> um es schöner wieder aufzubauen. Das innere Bild bedarf derselben <lb n="pgo_029.006"/> äußeren Wirklichkeit, wie das Naturschöne. Dazu aber gehört der sinnliche <lb n="pgo_029.007"/> Stoff, in den es die Phantasie hineinarbeitet. Diese Einheit des <lb n="pgo_029.008"/> Naturschönen und der Phantasie ist <hi rendition="#g">die Kunst;</hi> sie ist die Thätigkeit, <lb n="pgo_029.009"/> die sie im <hi rendition="#g">einzelnen Gebilde</hi> lebendig hinstellt für die Anschauung <lb n="pgo_029.010"/> aller. Die Thätigkeit des Künstlers ist theoretisch und praktisch zugleich. <lb n="pgo_029.011"/> Die Jdee lebt und entfaltet sich zuerst im Gemüthe des Künstlers, und <lb n="pgo_029.012"/> dann schließt sie sich wieder im Kunstwerke zusammen. Der Genius ist <lb n="pgo_029.013"/> die <hi rendition="#g">innere,</hi> das Kunstwerk die <hi rendition="#g">äußere</hi> Offenbarung der Jdee; das <lb n="pgo_029.014"/> künstlerische Schaffen, welches höchste Begeisterung und Besonnenheit in <lb n="pgo_029.015"/> sich vereinigt, die Verwandlung der <hi rendition="#g">inneren</hi> Offenbarung in die <hi rendition="#g">äußere.</hi> <lb n="pgo_029.016"/> Diese Verwandlung ist ihrem Wesen nach eine nicht analysirbare Transsubstantiation; <lb n="pgo_029.017"/> ihre äußere Form ist die künstlerische <hi rendition="#g">Technik.</hi> Die <lb n="pgo_029.018"/> Kunst gliedert sich nun in Künste, die Alles beherrschende Seele des ganzen <lb n="pgo_029.019"/> Kreises bleibt die Poesie, die ebenso gegenwärtig ist in jeder einzelnen <lb n="pgo_029.020"/> Kunst, wie sie dieselben in ihrem eigenen Reiche wiederholt. Um so mehr <lb n="pgo_029.021"/> bedarf es scharfer Grenzbestimmungen dieses Reiches, damit die Poesie <lb n="pgo_029.022"/> nicht in ihrer scheinbaren Allgegenwart ihr eigenstes Wesen verflüchtige. </p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div> <div n="4"> <lb n="pgo_029.023"/> <head> <hi rendition="#c">Zweiter Abschnitt.</hi> </head> <lb n="pgo_029.024"/> <head> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Die Dichtkunst</hi>.</hi> </head> <p><lb n="pgo_029.025"/> Wir haben gesehen, daß die Kunst dem inneren Jdeal eine <hi rendition="#g">sinnliche <lb n="pgo_029.026"/> Gegenwart</hi> schaffen, das Kunstwerk sich als Einzelnes in einem <lb n="pgo_029.027"/> bestimmten Stoffe darstellen muß. Jn der That bezwingt die Architektur <lb n="pgo_029.028"/> den todten Stein zu harmonischer Gestalt; die Plastik arbeitet aus Marmor <lb n="pgo_029.029"/> und Erz die schönen Formen des Göttlichen heraus; die Malerei <lb n="pgo_029.030"/> zaubert auf die Wand oder die Leinwand mittelst der Farbe Gestalt und <lb n="pgo_029.031"/> Leben und überwindet die Fläche, indem sie <hi rendition="#g">den Schein</hi> aller Dimensionen <lb n="pgo_029.032"/> über sie hinhaucht. Wo aber ist der Stoff, das Material der </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [29/0051]
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im Schaffen findet, ist die Phantasie. Jn der productiven Phantasie pgo_029.002
lebt die Jdee in ihrer Reinheit, und durch sie wird das stoffartig Schöne pgo_029.003
zum Jdeal geläutert. Doch dies Bild der reinen Schönheit ist nur pgo_029.004
ein innerliches. Die Phantasie hat das Naturschöne zerstört, aber nur, pgo_029.005
um es schöner wieder aufzubauen. Das innere Bild bedarf derselben pgo_029.006
äußeren Wirklichkeit, wie das Naturschöne. Dazu aber gehört der sinnliche pgo_029.007
Stoff, in den es die Phantasie hineinarbeitet. Diese Einheit des pgo_029.008
Naturschönen und der Phantasie ist die Kunst; sie ist die Thätigkeit, pgo_029.009
die sie im einzelnen Gebilde lebendig hinstellt für die Anschauung pgo_029.010
aller. Die Thätigkeit des Künstlers ist theoretisch und praktisch zugleich. pgo_029.011
Die Jdee lebt und entfaltet sich zuerst im Gemüthe des Künstlers, und pgo_029.012
dann schließt sie sich wieder im Kunstwerke zusammen. Der Genius ist pgo_029.013
die innere, das Kunstwerk die äußere Offenbarung der Jdee; das pgo_029.014
künstlerische Schaffen, welches höchste Begeisterung und Besonnenheit in pgo_029.015
sich vereinigt, die Verwandlung der inneren Offenbarung in die äußere. pgo_029.016
Diese Verwandlung ist ihrem Wesen nach eine nicht analysirbare Transsubstantiation; pgo_029.017
ihre äußere Form ist die künstlerische Technik. Die pgo_029.018
Kunst gliedert sich nun in Künste, die Alles beherrschende Seele des ganzen pgo_029.019
Kreises bleibt die Poesie, die ebenso gegenwärtig ist in jeder einzelnen pgo_029.020
Kunst, wie sie dieselben in ihrem eigenen Reiche wiederholt. Um so mehr pgo_029.021
bedarf es scharfer Grenzbestimmungen dieses Reiches, damit die Poesie pgo_029.022
nicht in ihrer scheinbaren Allgegenwart ihr eigenstes Wesen verflüchtige.
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Zweiter Abschnitt. pgo_029.024
Die Dichtkunst. pgo_029.025
Wir haben gesehen, daß die Kunst dem inneren Jdeal eine sinnliche pgo_029.026
Gegenwart schaffen, das Kunstwerk sich als Einzelnes in einem pgo_029.027
bestimmten Stoffe darstellen muß. Jn der That bezwingt die Architektur pgo_029.028
den todten Stein zu harmonischer Gestalt; die Plastik arbeitet aus Marmor pgo_029.029
und Erz die schönen Formen des Göttlichen heraus; die Malerei pgo_029.030
zaubert auf die Wand oder die Leinwand mittelst der Farbe Gestalt und pgo_029.031
Leben und überwindet die Fläche, indem sie den Schein aller Dimensionen pgo_029.032
über sie hinhaucht. Wo aber ist der Stoff, das Material der
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