Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.

Bild:
<< vorherige Seite

Vom Charactere eines Poeten.
boͤſe ſind. Er muß alſo in ſeinen Schildereyen die guten als
gut; das iſt ſchoͤn, ruͤhmlich und reitzend: Die boͤſen aber als
boͤſe; das iſt heßlich, ſchaͤndlich und abſcheulich abmahlen.
Thaͤte er dieſes nicht, und unterſtuͤnde er ſich die Tugend als
veraͤchtlich, ſchaͤdlich und laͤcherlich, das Laſter hergegen als
angenehm, vortheilhafft und lobwuͤrdig zu bilden; ſo wuͤrde
er die Aehnlichkeit gantz aus den Augen ſetzen, und die Natur
derſelben ſehr uͤbel ausdruͤcken. Jch ſchweige noch, daß ein
ſo ſchaͤdlicher Scribent in einer wohlbeſtellten Republic nicht
zu dulden waͤre: worauf denn Plato geſehen haben mag,
wenn er in der ſeinigen gar keine Dichter hat leiden wollen.
Es hat nehmlich zu allen Zeiten auch ſolche verderbte Vers-
macher gegeben, die, weil ſie ſelbſt uͤbel geſittet geweſen und
gottlos gelebt, auch andere durch ihre Gedichte zu allerhand
Schande und Laſtern gereizet. Sonderlich iſt die Geilheit
unzuͤchtigen Gemuͤthern allezeit ein Stein des Anſtoſſens ge-
worden. Ein Ovidius und Catullus ſind wegen ihrer unzuͤch-
tigen Gedichte, bey allen ihren Schoͤnheiten, ſchaͤdlich zu
leſen. Selbſt Horatz iſt nicht uͤberall ſo keuſch in ſeinen Aus-
druͤckungen als er wohl haͤtte ſeyn koͤnnen, wenn er ſich den
zuͤchtigen Virgil haͤtte zum Muſter nehmen wollen. Gleich-
wohl ruͤhmt er in einem Schreiben an den Kaͤyſer Auguſt,
daß ein wahrer Poet, das Ohr eines Knaben, deſſen Aufer-
ziehung er zu beſorgen hat, von ſchaͤndlichen Zoten abwende:
und ihm vielmehr gute Sitten beyzubringen bemuͤht ſey.

Os tenerum pueri balbumque Poeta figurat,
Torquet ab obſcoenis jam nunc ſermonibus aurem.
Mox etiam pectus praeceptis format amicis.
Aſperitatis & invidiae corrector & irae,
Recte facta refert. L. II. Ep. 1.

Da man ſich nun lieber an Horatii Regel, als an ſein Exem-
pel haͤtte kehren ſollen, ſo hat es doch allezeit ſolche unverſchaͤm-
te Zotenreißer gegeben, die ihren gantzen Witz in aͤrgerlichen
Poſſen geſuchet, und nicht anders ſinnreich oder angenehm
zu dichten gewuſt, als wenn ſie die unzuͤchtigſten Reden in
garſtigen Allegorien, groben Zweydeutigkeiten und heß-
lichen Wortſpielen zu Marckte gebracht. Rachelius

hat

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/121
Zitationshilfe: Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/121>, abgerufen am 02.03.2025.