Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.

Bild:
<< vorherige Seite
Das IV. Capitel
Je ſaute vingt feüillets, pour en trouver la ſin,
Et je me ſauve a peine au travers d’un jardin.
Fuyez de ces Auteurs Pabondance ſterile!
Et ne vous chargez point d’un detail inutile.
Tout ce qu’on dit de trop, eſt fade & rebutant,
L’eſprit raſſaſié le rejette à l’inſtant;
Qui ne ſçait ſe borner ne ſceut jamais ecrire.

So muß man denn auch in dieſem Stuͤcke Maaß zu halten
wiſſen; theils daß man unnoͤthige und uͤberfluͤßige Bilder
ſeinem Leſer nicht aufdringe; theils bey einem an ſich noͤthigen
Abriſſe nicht gar zu ſorgfaͤltig alle Kleinigkeiten auszudruͤcken
bemuͤht ſey. Virgil wird deßwegen gelobt, weil er in Be-
ſchreibungen ſo beſcheiden geweſen. Er hat wohl zehnmahl
Gelegenheit gehabt, den Regenbogen abzumahlen; und was
wuͤrde uns da ein poetiſcher Mahler von Profeſſion nicht mit
ſeinen Farben gequaͤlet haben, aber Virgil ſagt nichts mehr
als: Mille trahens varios aduerſo ſole colores.

Die andre Art der Nachahmung geſchicht, wenn der
Poet ſelbſt die Perſon eines andern ſpielet, oder einem der ſie
ſpielen ſoll, ſolche Worte, Geberden und Handlungen vor-
ſchreibt und an die Hand giebt, die ſich in ſolchen und ſolchen
Umſtaͤnden vor ihn ſchicken. Man macht z. E. ein verliebtes,
trauriges, luſtiges Gedichte im Nahmen eines andern, ob
man gleich ſelbſt weder verliebt noch traurig, noch luſtig iſt.
Aber man ahmet uͤberall die Art eines in ſolchen Leidenſchaff-
ten ſtehenden Gemuͤthes ſo genau nach, und druͤckt ſich mit
ſo natuͤrlichen Redens-Arten aus, als wenn man wircklich den
Affect bey ſich empfaͤnde. Zu dieſer Gattung gehoͤrt ſchon
weit mehr Geſchicklichkeit als zu der erſten. Man muß hier
die innerſten Schlupfwinckel des Hertzens ausſtudirt, und
durch eine genaue Beobachtung der Natur den Unterſcheid
des gekuͤnſtelten, von dem ungezwungenen angemercket haben.
Dieſes aber iſt ſehr ſchwer zu beobachten, wie die Fehler
ſattſam zeigen, ſo von den groͤſten Meiſtern in dieſem Stuͤcke
begangen worden. Daß Virgilius in ſeinen Schaͤferge-
dichten nicht immer gluͤcklich damit geweſen, hat der Jta-
lieniſche Criticus Ludevig Caſtelvetro, deſſen Critiſche Wer-
cke Argelati nur vor zwey Jahren herausgegeben, ſehr

gruͤnd-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/148
Zitationshilfe: Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/148>, abgerufen am 02.03.2025.