ist eine gar feine Gabe, und man hat es dem Homer zu grossem Lobe angemercket, daß ein berühmter Griechischer Mahler, der eine Minerva zu schildern willens war, zu dem Ende erst in der Jlias die Beschreibung dieser Göttin nach- geschlagen, durchgelesen, und sich dadurch eine lebhaffte Ab- bildung von ihr gemachet. Solche Mahlerey eines Poeten nun, erstrecket sich noch viel weiter, als die gemeine Mahler- Kunst. Diese kan nur vor die Augen mahlen, der Poet her- gegen kan vor alle Sinne Schildereyen machen. Er wircket in die Einbildungs-Krafft; und diese bringt aller empfindli- chen Dinge Begriffe eben so leicht als Figuren und Farben hervor. Ja er kan endlich auch geistliche Dinge, als da sind innerliche Bewegungen des Hertzens und die verborgensten Gedancken beschreiben und abmahlen. Man kan hierbey mit Nutzen nachlesen was Herr Bodmer in seinen vernünft. Ged. und Urtheilen von der Beredsamkeit vor feine Regeln und Anmerckungen gegeben.
Doch diese Art der Poetischen Nachahmung ist bey aller ihrer Fürtrefflichkeit nur die geringste: Weßwegen sie auch Horatz im Anfange seiner Dicht-Kunst vor unzuläng- lich erkläret, einen wahren Poeten zu machen. Wenn ich die besten Bilder von der Welt in meinen Gedichten machen könnte, würde ich doch nur ein mittelmäßiger oder gar nur ein kleiner Poet zu heissen verdienen: wenn ich nichts bessers zu machen wüste. Ja ich könnte wohl gar ein verdrüßlicher Dichter und Scribent werden, wenn ich meine Leser mit un- aufhörlichen Mahlereyen und unendlichen Bildern eckelhafft machte. Boileau hat diesen Fehler am Scuderi schon an- gemerckt und verworfen, wenn er in seiner Dicht-Kunst Ch. I. geschrieben:
Un Auteur quelque fois trop plein de son objet, J'amais sans l'epuiser n'abandonne un sujet. S'il rencontre un palais, il m'en depeint la face, Il me promene apres de terrasse en terrasse; Ici s'offre un perron, la regne un corridor, La ce balcon s'enferme en un balustre d'or. Il conte des plafonds les ronds & les ovales, Ce ne sont que festons, ce ne sont qu'Astragales.
Je
H 4
Von den Poetiſchen Nachahmungen.
iſt eine gar feine Gabe, und man hat es dem Homer zu groſſem Lobe angemercket, daß ein beruͤhmter Griechiſcher Mahler, der eine Minerva zu ſchildern willens war, zu dem Ende erſt in der Jlias die Beſchreibung dieſer Goͤttin nach- geſchlagen, durchgeleſen, und ſich dadurch eine lebhaffte Ab- bildung von ihr gemachet. Solche Mahlerey eines Poeten nun, erſtrecket ſich noch viel weiter, als die gemeine Mahler- Kunſt. Dieſe kan nur vor die Augen mahlen, der Poet her- gegen kan vor alle Sinne Schildereyen machen. Er wircket in die Einbildungs-Krafft; und dieſe bringt aller empfindli- chen Dinge Begriffe eben ſo leicht als Figuren und Farben hervor. Ja er kan endlich auch geiſtliche Dinge, als da ſind innerliche Bewegungen des Hertzens und die verborgenſten Gedancken beſchreiben und abmahlen. Man kan hierbey mit Nutzen nachleſen was Herr Bodmer in ſeinen vernuͤnft. Ged. und Urtheilen von der Beredſamkeit vor feine Regeln und Anmerckungen gegeben.
Doch dieſe Art der Poetiſchen Nachahmung iſt bey aller ihrer Fuͤrtrefflichkeit nur die geringſte: Weßwegen ſie auch Horatz im Anfange ſeiner Dicht-Kunſt vor unzulaͤng- lich erklaͤret, einen wahren Poeten zu machen. Wenn ich die beſten Bilder von der Welt in meinen Gedichten machen koͤnnte, wuͤrde ich doch nur ein mittelmaͤßiger oder gar nur ein kleiner Poet zu heiſſen verdienen: wenn ich nichts beſſers zu machen wuͤſte. Ja ich koͤnnte wohl gar ein verdruͤßlicher Dichter und Scribent werden, wenn ich meine Leſer mit un- aufhoͤrlichen Mahlereyen und unendlichen Bildern eckelhafft machte. Boileau hat dieſen Fehler am Scuderi ſchon an- gemerckt und verworfen, wenn er in ſeiner Dicht-Kunſt Ch. I. geſchrieben:
Un Auteur quelque fois trop plein de ſon objet, J’amais ſans l’epuiſer n’abandonne un ſujet. S’il rencontre un palais, il m’en depeint la face, Il me promene aprés de terraſſe en terraſſe; Ici s’offre un perron, là regne un corridor, Là ce balcon s’enferme en un baluſtre d’or. Il conte des plafonds les ronds & les ovales, Ce ne ſont que feſtons, ce ne ſont qu’Aſtragales.
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Von den Poetiſchen Nachahmungen.
iſt eine gar feine Gabe, und man hat es dem Homer zu
groſſem Lobe angemercket, daß ein beruͤhmter Griechiſcher
Mahler, der eine Minerva zu ſchildern willens war, zu dem
Ende erſt in der Jlias die Beſchreibung dieſer Goͤttin nach-
geſchlagen, durchgeleſen, und ſich dadurch eine lebhaffte Ab-
bildung von ihr gemachet. Solche Mahlerey eines Poeten
nun, erſtrecket ſich noch viel weiter, als die gemeine Mahler-
Kunſt. Dieſe kan nur vor die Augen mahlen, der Poet her-
gegen kan vor alle Sinne Schildereyen machen. Er wircket
in die Einbildungs-Krafft; und dieſe bringt aller empfindli-
chen Dinge Begriffe eben ſo leicht als Figuren und Farben
hervor. Ja er kan endlich auch geiſtliche Dinge, als da ſind
innerliche Bewegungen des Hertzens und die verborgenſten
Gedancken beſchreiben und abmahlen. Man kan hierbey
mit Nutzen nachleſen was Herr Bodmer in ſeinen vernuͤnft.
Ged. und Urtheilen von der Beredſamkeit vor feine Regeln
und Anmerckungen gegeben.
Doch dieſe Art der Poetiſchen Nachahmung iſt bey
aller ihrer Fuͤrtrefflichkeit nur die geringſte: Weßwegen ſie
auch Horatz im Anfange ſeiner Dicht-Kunſt vor unzulaͤng-
lich erklaͤret, einen wahren Poeten zu machen. Wenn ich die
beſten Bilder von der Welt in meinen Gedichten machen
koͤnnte, wuͤrde ich doch nur ein mittelmaͤßiger oder gar nur ein
kleiner Poet zu heiſſen verdienen: wenn ich nichts beſſers zu
machen wuͤſte. Ja ich koͤnnte wohl gar ein verdruͤßlicher
Dichter und Scribent werden, wenn ich meine Leſer mit un-
aufhoͤrlichen Mahlereyen und unendlichen Bildern eckelhafft
machte. Boileau hat dieſen Fehler am Scuderi ſchon an-
gemerckt und verworfen, wenn er in ſeiner Dicht-Kunſt
Ch. I. geſchrieben:
Un Auteur quelque fois trop plein de ſon objet,
J’amais ſans l’epuiſer n’abandonne un ſujet.
S’il rencontre un palais, il m’en depeint la face,
Il me promene aprés de terraſſe en terraſſe;
Ici s’offre un perron, là regne un corridor,
Là ce balcon s’enferme en un baluſtre d’or.
Il conte des plafonds les ronds & les ovales,
Ce ne ſont que feſtons, ce ne ſont qu’Aſtragales.
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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/147>, abgerufen am 02.03.2025.
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