DJeses Buch würde keiner Vorrede bedörfen, wenn ich es nicht vor nöthig hielte, den Titel desselben, wieder die Einwürfe derjenigen zu vertheidigen, denen derselbe gleich bey dem er- sten Anblicke anstößig scheinen dörfte. Jch besorge, daß solches auf zweyerley Art geschehen werde; darum will ich mich über beydes ausführlich erklären.
Zuerst wird es vielen nicht gefallen, daß ich meine Dicht-Kunst eine Critische Dicht-Kunst nenne: theils weil sie an allem was critisch ist, einen Mißfallen haben; theils, weil sie mirs nicht zutrauen werden, daß ich mich mit sattsamer Fähigkeit dergleichen Werck auszuführen unterstanden. Wenn es Feinde der Critick unter uns giebt, so haben sie entweder keinen rechten Begriff von der- selben; oder sie verstehen gar wohl was critisiren heißt, hassen es aber deswegen, weil sie ein böses Gewissen ha- ben, und ihre Schrifften nicht gern in Gefahr setzen wol- len, als schlecht erfunden zu werden. Denen ersten kan man leicht begegnen, wenn man ihnen nur zeigt, daß die wahre Critick keine schulfüchsische Buchstäblerey, kein unendlicher Kram von zusammengeschriebenen Druck- und Schreibefehlern, die in den alten Scribenten began-
gen
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An den Leſer.
DJeſes Buch wuͤrde keiner Vorrede bedoͤrfen, wenn ich es nicht vor noͤthig hielte, den Titel deſſelben, wieder die Einwuͤrfe derjenigen zu vertheidigen, denen derſelbe gleich bey dem er- ſten Anblicke anſtoͤßig ſcheinen doͤrfte. Jch beſorge, daß ſolches auf zweyerley Art geſchehen werde; darum will ich mich uͤber beydes ausfuͤhrlich erklaͤren.
Zuerſt wird es vielen nicht gefallen, daß ich meine Dicht-Kunſt eine Critiſche Dicht-Kunſt nenne: theils weil ſie an allem was critiſch iſt, einen Mißfallen haben; theils, weil ſie mirs nicht zutrauen werden, daß ich mich mit ſattſamer Faͤhigkeit dergleichen Werck auszufuͤhren unterſtanden. Wenn es Feinde der Critick unter uns giebt, ſo haben ſie entweder keinen rechten Begriff von der- ſelben; oder ſie verſtehen gar wohl was critiſiren heißt, haſſen es aber deswegen, weil ſie ein boͤſes Gewiſſen ha- ben, und ihre Schrifften nicht gern in Gefahr ſetzen wol- len, als ſchlecht erfunden zu werden. Denen erſten kan man leicht begegnen, wenn man ihnen nur zeigt, daß die wahre Critick keine ſchulfuͤchſiſche Buchſtaͤblerey, kein unendlicher Kram von zuſammengeſchriebenen Druck- und Schreibefehlern, die in den alten Scribenten began-
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[0015]
An den Leſer.
DJeſes Buch wuͤrde keiner Vorrede bedoͤrfen,
wenn ich es nicht vor noͤthig hielte, den Titel
deſſelben, wieder die Einwuͤrfe derjenigen zu
vertheidigen, denen derſelbe gleich bey dem er-
ſten Anblicke anſtoͤßig ſcheinen doͤrfte. Jch beſorge, daß
ſolches auf zweyerley Art geſchehen werde; darum will
ich mich uͤber beydes ausfuͤhrlich erklaͤren.
Zuerſt wird es vielen nicht gefallen, daß ich meine
Dicht-Kunſt eine Critiſche Dicht-Kunſt nenne: theils
weil ſie an allem was critiſch iſt, einen Mißfallen haben;
theils, weil ſie mirs nicht zutrauen werden, daß ich mich
mit ſattſamer Faͤhigkeit dergleichen Werck auszufuͤhren
unterſtanden. Wenn es Feinde der Critick unter uns
giebt, ſo haben ſie entweder keinen rechten Begriff von der-
ſelben; oder ſie verſtehen gar wohl was critiſiren heißt,
haſſen es aber deswegen, weil ſie ein boͤſes Gewiſſen ha-
ben, und ihre Schrifften nicht gern in Gefahr ſetzen wol-
len, als ſchlecht erfunden zu werden. Denen erſten kan
man leicht begegnen, wenn man ihnen nur zeigt, daß die
wahre Critick keine ſchulfuͤchſiſche Buchſtaͤblerey, kein
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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/15>, abgerufen am 21.11.2024.
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