Er sagt ihr, daß er seinen Verstand auch zwar verlohren, aber daß er ihn nicht so weit werde zu suchen haben. Er schwebe auf ihren Augen und Lippen herum, und er bitte sich deswe- gen nur die Erlaubniß aus, denselben mit seinen Lippen wie- der zu haschen. Genug von Ariosts Fantasien, die gewiß eher den Träumen eines Krancken, wie Horatius spricht, als der vernünftigen Dichtung eines Poeten ähnlich sehen: weil weder Wahrscheinlichkeit noch Ordnung darinn anzu- treffen ist.
Was soll ich von dem Marino sagen, dessen Schrifften eben so voll unwahrscheinlicher Dinge sind, als seiner Lands- leute? Zur Probe darf ich nur das entsetzliche Conterfey neh- men, so er im Anfange seines Kindermordes von dem Satan gemacht. Er liegt im Abgrunde ohne Grund, an einer scheußlichen Kette, von hundert in einandergeschlungenen Schlangen. Sein Kleid und Thron ist ein unauslöschlich Feuer. Sein vormahls leuchtender Mantel ist nunmehr aus Flammen und Finsterniß gewebet. Sieben Hörner hat er auf dem Haupte, darum sich lauter Hydren und Ce- rasten gewickelt haben, die gleichsam die Edelsteine in seiner Krone machen. Jn seinen Augen flammt ein rothes und trübes Licht, und seine Blicke gleichen den Cometen und Bli- tzen. Stanck und Finsterniß dampfet aus seiner Nase, sein Hauch ist dem Wetterstrahl, und sein Seufzen dem Donner ähnlich. Dadurch sowohl als durch seine feurige Blicke zün- det er selbst den Holtzstoß an, (der doch vorher schon brannte) der unverbrennlich ist, und doch alles verzehret. Seine von Geifer und Rost angefressene Zähne klappern und machen ein groß Geräusche, durch ihr Knirschen, und sein Schwantz schlägt in der Glut auf die Schuppen seiner stählernern Gliedmaßen. Bey diesem höllischen Tyrannen stehn drey Furien, (damit ja das Heydenthum wieder ins Christen- thum gemischt werde) ihn auf ewig auf die Folterbanck zu spannen, und mit ihren Natterstreichen unaufhörlich zu geißeln. Jhre Haare sind magre Schlangen, sein Zepter ist von Stahl, und kurtz er ist so abscheulich, daß er vor sich selbst sowohl als vor seinem Reiche einen Abscheu hat. Nun
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Das VI. Capitel
Er ſagt ihr, daß er ſeinen Verſtand auch zwar verlohren, aber daß er ihn nicht ſo weit werde zu ſuchen haben. Er ſchwebe auf ihren Augen und Lippen herum, und er bitte ſich deswe- gen nur die Erlaubniß aus, denſelben mit ſeinen Lippen wie- der zu haſchen. Genug von Arioſts Fantaſien, die gewiß eher den Traͤumen eines Krancken, wie Horatius ſpricht, als der vernuͤnftigen Dichtung eines Poeten aͤhnlich ſehen: weil weder Wahrſcheinlichkeit noch Ordnung darinn anzu- treffen iſt.
Was ſoll ich von dem Marino ſagen, deſſen Schrifften eben ſo voll unwahrſcheinlicher Dinge ſind, als ſeiner Lands- leute? Zur Probe darf ich nur das entſetzliche Conterfey neh- men, ſo er im Anfange ſeines Kindermordes von dem Satan gemacht. Er liegt im Abgrunde ohne Grund, an einer ſcheußlichen Kette, von hundert in einandergeſchlungenen Schlangen. Sein Kleid und Thron iſt ein unausloͤſchlich Feuer. Sein vormahls leuchtender Mantel iſt nunmehr aus Flammen und Finſterniß gewebet. Sieben Hoͤrner hat er auf dem Haupte, darum ſich lauter Hydren und Ce- raſten gewickelt haben, die gleichſam die Edelſteine in ſeiner Krone machen. Jn ſeinen Augen flammt ein rothes und truͤbes Licht, und ſeine Blicke gleichen den Cometen und Bli- tzen. Stanck und Finſterniß dampfet aus ſeiner Naſe, ſein Hauch iſt dem Wetterſtrahl, und ſein Seufzen dem Donner aͤhnlich. Dadurch ſowohl als durch ſeine feurige Blicke zuͤn- det er ſelbſt den Holtzſtoß an, (der doch vorher ſchon brannte) der unverbrennlich iſt, und doch alles verzehret. Seine von Geifer und Roſt angefreſſene Zaͤhne klappern und machen ein groß Geraͤuſche, durch ihr Knirſchen, und ſein Schwantz ſchlaͤgt in der Glut auf die Schuppen ſeiner ſtaͤhlernern Gliedmaßen. Bey dieſem hoͤlliſchen Tyrannen ſtehn drey Furien, (damit ja das Heydenthum wieder ins Chriſten- thum gemiſcht werde) ihn auf ewig auf die Folterbanck zu ſpannen, und mit ihren Natterſtreichen unaufhoͤrlich zu geißeln. Jhre Haare ſind magre Schlangen, ſein Zepter iſt von Stahl, und kurtz er iſt ſo abſcheulich, daß er vor ſich ſelbſt ſowohl als vor ſeinem Reiche einen Abſcheu hat. Nun
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[176/0204]
Das VI. Capitel
Er ſagt ihr, daß er ſeinen Verſtand auch zwar verlohren, aber
daß er ihn nicht ſo weit werde zu ſuchen haben. Er ſchwebe
auf ihren Augen und Lippen herum, und er bitte ſich deswe-
gen nur die Erlaubniß aus, denſelben mit ſeinen Lippen wie-
der zu haſchen. Genug von Arioſts Fantaſien, die gewiß
eher den Traͤumen eines Krancken, wie Horatius ſpricht,
als der vernuͤnftigen Dichtung eines Poeten aͤhnlich ſehen:
weil weder Wahrſcheinlichkeit noch Ordnung darinn anzu-
treffen iſt.
Was ſoll ich von dem Marino ſagen, deſſen Schrifften
eben ſo voll unwahrſcheinlicher Dinge ſind, als ſeiner Lands-
leute? Zur Probe darf ich nur das entſetzliche Conterfey neh-
men, ſo er im Anfange ſeines Kindermordes von dem Satan
gemacht. Er liegt im Abgrunde ohne Grund, an einer
ſcheußlichen Kette, von hundert in einandergeſchlungenen
Schlangen. Sein Kleid und Thron iſt ein unausloͤſchlich
Feuer. Sein vormahls leuchtender Mantel iſt nunmehr
aus Flammen und Finſterniß gewebet. Sieben Hoͤrner
hat er auf dem Haupte, darum ſich lauter Hydren und Ce-
raſten gewickelt haben, die gleichſam die Edelſteine in ſeiner
Krone machen. Jn ſeinen Augen flammt ein rothes und
truͤbes Licht, und ſeine Blicke gleichen den Cometen und Bli-
tzen. Stanck und Finſterniß dampfet aus ſeiner Naſe, ſein
Hauch iſt dem Wetterſtrahl, und ſein Seufzen dem Donner
aͤhnlich. Dadurch ſowohl als durch ſeine feurige Blicke zuͤn-
det er ſelbſt den Holtzſtoß an, (der doch vorher ſchon brannte)
der unverbrennlich iſt, und doch alles verzehret. Seine von
Geifer und Roſt angefreſſene Zaͤhne klappern und machen
ein groß Geraͤuſche, durch ihr Knirſchen, und ſein Schwantz
ſchlaͤgt in der Glut auf die Schuppen ſeiner ſtaͤhlernern
Gliedmaßen. Bey dieſem hoͤlliſchen Tyrannen ſtehn drey
Furien, (damit ja das Heydenthum wieder ins Chriſten-
thum gemiſcht werde) ihn auf ewig auf die Folterbanck
zu ſpannen, und mit ihren Natterſtreichen unaufhoͤrlich zu
geißeln. Jhre Haare ſind magre Schlangen, ſein Zepter
iſt von Stahl, und kurtz er iſt ſo abſcheulich, daß er vor ſich
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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/204>, abgerufen am 21.11.2024.
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