sieht, das ist zu verwerfen. Jn Ermangelung einer bessern, will ich mich nicht bemühen, diese Regel umzustoßen: welches vielleicht nicht so gar unmöglich wäre. Das ist endlich noch anzumercken, daß man zum Gelächter und irgend eines lu- stigen Einfälls wegen, wohl zuweilen ein Wort in anderm Verstande nehmen, und zum Schertze brauchen kan, ohne den guten Geschmack dadurch zu verletzen. Boileau selber erlaubt dieses in folgender Stelle:
Ce n'est pas quelque fois, qu'une Muse un peu fine, Sur un mot en passant ne joue & ne badine, Et d'un sens detourne n'abuse avec succes: Mais fuyez sur ce point un ridicule exces, Et n'allez pas toujours d'une pointe frivole, Aiguiser par la queue une Epigramme folle.
Wie viel gezwungene Spitzfindigkeiten müsten wir nicht aus unsern meisten Poeten ausmustern; wenn wir des Boileau Fürschrifft in diesem Stücke folgen wollten?
Das achte Capitel. Von verblümten Redens-Arten.
DEr gröste Zierrath poetischer Ausdrückungen, besteht endlich in den tropischen, uneigentlichen und verblüm- ten Worten und Redensarten. Man setzt dieselben dem eigentlichen Ausdrucke entgegen, der alle Wörter in ih- rer natürlichsten und einfältigsten Bedeutung braucht. Dieses ist die allergemeinste Art zu reden und zu schreiben, die auch den allerschlechtesten Köpfen nicht schwer ankömmt. So leicht und verständlich sie ist, wenn sie nur nach den Re- geln der Sprachkunst richtig bleibt: so trocken, so mager und wässerigt ist sie auch. Sie hat kein Feuer, keinen Geist, kein Leben in sich, und ist sehr geschickt, einen der sie höret oder lie- set, einzuschläfern. Diejenigen Poeten unsers Vaterlan- des, so sich mehr auf ein fließendes Sylbenmaaß als auf gute
Ge-
Das VIII. Capitel
ſieht, das iſt zu verwerfen. Jn Ermangelung einer beſſern, will ich mich nicht bemuͤhen, dieſe Regel umzuſtoßen: welches vielleicht nicht ſo gar unmoͤglich waͤre. Das iſt endlich noch anzumercken, daß man zum Gelaͤchter und irgend eines lu- ſtigen Einfaͤlls wegen, wohl zuweilen ein Wort in anderm Verſtande nehmen, und zum Schertze brauchen kan, ohne den guten Geſchmack dadurch zu verletzen. Boileau ſelber erlaubt dieſes in folgender Stelle:
Ce n’eſt pas quelque fois, qu’une Muſe un peu fine, Sur un mot en paſſant ne joue & ne badine, Et d’un ſens detourné n’abuſe avec ſuccés: Mais fuyez ſur ce point un ridicule exces, Et n’allez pas toujours d’une pointe frivole, Aiguiſer par la queuë une Epigramme folle.
Wie viel gezwungene Spitzfindigkeiten muͤſten wir nicht aus unſern meiſten Poeten ausmuſtern; wenn wir des Boileau Fuͤrſchrifft in dieſem Stuͤcke folgen wollten?
Das achte Capitel. Von verbluͤmten Redens-Arten.
DEr groͤſte Zierrath poetiſcher Ausdruͤckungen, beſteht endlich in den tropiſchen, uneigentlichen und verbluͤm- ten Worten und Redensarten. Man ſetzt dieſelben dem eigentlichen Ausdrucke entgegen, der alle Woͤrter in ih- rer natuͤrlichſten und einfaͤltigſten Bedeutung braucht. Dieſes iſt die allergemeinſte Art zu reden und zu ſchreiben, die auch den allerſchlechteſten Koͤpfen nicht ſchwer ankoͤmmt. So leicht und verſtaͤndlich ſie iſt, wenn ſie nur nach den Re- geln der Sprachkunſt richtig bleibt: ſo trocken, ſo mager und waͤſſerigt iſt ſie auch. Sie hat kein Feuer, keinen Geiſt, kein Leben in ſich, und iſt ſehr geſchickt, einen der ſie hoͤret oder lie- ſet, einzuſchlaͤfern. Diejenigen Poeten unſers Vaterlan- des, ſo ſich mehr auf ein fließendes Sylbenmaaß als auf gute
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Das VIII. Capitel
ſieht, das iſt zu verwerfen. Jn Ermangelung einer beſſern,
will ich mich nicht bemuͤhen, dieſe Regel umzuſtoßen: welches
vielleicht nicht ſo gar unmoͤglich waͤre. Das iſt endlich noch
anzumercken, daß man zum Gelaͤchter und irgend eines lu-
ſtigen Einfaͤlls wegen, wohl zuweilen ein Wort in anderm
Verſtande nehmen, und zum Schertze brauchen kan, ohne
den guten Geſchmack dadurch zu verletzen. Boileau ſelber
erlaubt dieſes in folgender Stelle:
Ce n’eſt pas quelque fois, qu’une Muſe un peu fine,
Sur un mot en paſſant ne joue & ne badine,
Et d’un ſens detourné n’abuſe avec ſuccés:
Mais fuyez ſur ce point un ridicule exces,
Et n’allez pas toujours d’une pointe frivole,
Aiguiſer par la queuë une Epigramme folle.
Wie viel gezwungene Spitzfindigkeiten muͤſten wir nicht aus
unſern meiſten Poeten ausmuſtern; wenn wir des Boileau
Fuͤrſchrifft in dieſem Stuͤcke folgen wollten?
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DEr groͤſte Zierrath poetiſcher Ausdruͤckungen, beſteht
endlich in den tropiſchen, uneigentlichen und verbluͤm-
ten Worten und Redensarten. Man ſetzt dieſelben
dem eigentlichen Ausdrucke entgegen, der alle Woͤrter in ih-
rer natuͤrlichſten und einfaͤltigſten Bedeutung braucht.
Dieſes iſt die allergemeinſte Art zu reden und zu ſchreiben, die
auch den allerſchlechteſten Koͤpfen nicht ſchwer ankoͤmmt.
So leicht und verſtaͤndlich ſie iſt, wenn ſie nur nach den Re-
geln der Sprachkunſt richtig bleibt: ſo trocken, ſo mager und
waͤſſerigt iſt ſie auch. Sie hat kein Feuer, keinen Geiſt, kein
Leben in ſich, und iſt ſehr geſchickt, einen der ſie hoͤret oder lie-
ſet, einzuſchlaͤfern. Diejenigen Poeten unſers Vaterlan-
des, ſo ſich mehr auf ein fließendes Sylbenmaaß als auf gute
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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/240>, abgerufen am 24.11.2024.
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