Non vt si solvas: Postquam discordia tetra Belli ferratos postes portasque refregit; Invenies etiam disiecti membra Poetae.
Jch muß noch erwehnen, daß Horatz durch diese Anmerckung erweisen wollen, eine Satire verdiene nicht den Nahmen ei- nes Gedichtes. Denn kurtz vorher hatte er sich ausdrücklich aus der Zahl der Poeten ausgeschlossen, in so weit er ein Sa- tirenschreiber war:
Primum ego me illorum, dederim quibus esse Poetas, Excerpam numero, nec enim concludere versum, Dixeris esse satis: neque si quis scribat vti nos, Sermoni propiora, putes hunc esse poetam. Ingenium cui sit, cui mens diuinior, atque os Magna sonaturum, des nominis huius honorem.
Ein Poet muß also einen großen Witz, einen göttlichen Geist und einen erhabenen Ausdruck haben, wenn man ihn mit diesem Nahmen beehren soll.
Und freylich zeiget sich der Witz eines Poeten hauptsäch- lich in der glücklichen Erfindung verblümter Redensarten. Denn ist derselbe eine Krafft der Seelen, das Aehnliche leicht wahrzunehmen: so bemercket man, daß in jedem uneigent- lich verstandenen Worte ein Gleichniß steckt, oder sonst eine Aehnlichkeit verhanden ist, weswegen man eins vor das an- dre setzt. Das belustiget nun den Leser eines solchen Gedich- tes. Er sieht nicht nur das Bild, darunter ihm der Poet ei- ne Sache vorstellet, sondern auch die Absicht desselben, und die Aehnlichkeit zwischen beyden; und da sein Verstand auf eine so angenehme Art mit so vielen Begriffen auf einmahl beschäfftiget ist, so empfindet er nicht nur wegen der Vollkom- menheit des Poeten, dessen Schrifft er lieset, ein Vergnü- gen: sondern belustiget sich auch über seine eigene Scharf- sinnigkeit, die ihn fähig gemacht, alle die Schönheiten des verblümten Ausdruckes ohne Mühe zu entdecken. Z. E. Am- thor p. 125.
Jtzt schwindet allgemach, Der Schatten lange Nacht, und läßt der Thürme Zinnen, Ein frohes Morgen-Gold gewinnen. Der alte Nordwind giebt dem jungen Zephir nach,
Die
O 5
Von verbluͤmten Redens-Arten.
Non vt ſi ſolvas: Poſtquam diſcordia tetra Belli ferratos poſtes portasque refregit; Invenies etiam disiecti membra Poetae.
Jch muß noch erwehnen, daß Horatz durch dieſe Anmerckung erweiſen wollen, eine Satire verdiene nicht den Nahmen ei- nes Gedichtes. Denn kurtz vorher hatte er ſich ausdruͤcklich aus der Zahl der Poeten ausgeſchloſſen, in ſo weit er ein Sa- tirenſchreiber war:
Primum ego me illorum, dederim quibus eſſe Poetas, Excerpam numero, nec enim concludere verſum, Dixeris eſſe ſatis: neque ſi quis ſcribat vti nos, Sermoni propiora, putes hunc eſſe poetam. Ingenium cui ſit, cui mens diuinior, atque os Magna ſonaturum, des nominis huius honorem.
Ein Poet muß alſo einen großen Witz, einen goͤttlichen Geiſt und einen erhabenen Ausdruck haben, wenn man ihn mit dieſem Nahmen beehren ſoll.
Und freylich zeiget ſich der Witz eines Poeten hauptſaͤch- lich in der gluͤcklichen Erfindung verbluͤmter Redensarten. Denn iſt derſelbe eine Krafft der Seelen, das Aehnliche leicht wahrzunehmen: ſo bemercket man, daß in jedem uneigent- lich verſtandenen Worte ein Gleichniß ſteckt, oder ſonſt eine Aehnlichkeit verhanden iſt, weswegen man eins vor das an- dre ſetzt. Das beluſtiget nun den Leſer eines ſolchen Gedich- tes. Er ſieht nicht nur das Bild, darunter ihm der Poet ei- ne Sache vorſtellet, ſondern auch die Abſicht deſſelben, und die Aehnlichkeit zwiſchen beyden; und da ſein Verſtand auf eine ſo angenehme Art mit ſo vielen Begriffen auf einmahl beſchaͤfftiget iſt, ſo empfindet er nicht nur wegen der Vollkom- menheit des Poeten, deſſen Schrifft er lieſet, ein Vergnuͤ- gen: ſondern beluſtiget ſich auch uͤber ſeine eigene Scharf- ſinnigkeit, die ihn faͤhig gemacht, alle die Schoͤnheiten des verbluͤmten Ausdruckes ohne Muͤhe zu entdecken. Z. E. Am- thor p. 125.
Jtzt ſchwindet allgemach, Der Schatten lange Nacht, und laͤßt der Thuͤrme Zinnen, Ein frohes Morgen-Gold gewinnen. Der alte Nordwind giebt dem jungen Zephir nach,
Die
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Von verbluͤmten Redens-Arten.
Non vt ſi ſolvas: Poſtquam diſcordia tetra
Belli ferratos poſtes portasque refregit;
Invenies etiam disiecti membra Poetae.
Jch muß noch erwehnen, daß Horatz durch dieſe Anmerckung
erweiſen wollen, eine Satire verdiene nicht den Nahmen ei-
nes Gedichtes. Denn kurtz vorher hatte er ſich ausdruͤcklich
aus der Zahl der Poeten ausgeſchloſſen, in ſo weit er ein Sa-
tirenſchreiber war:
Primum ego me illorum, dederim quibus eſſe Poetas,
Excerpam numero, nec enim concludere verſum,
Dixeris eſſe ſatis: neque ſi quis ſcribat vti nos,
Sermoni propiora, putes hunc eſſe poetam.
Ingenium cui ſit, cui mens diuinior, atque os
Magna ſonaturum, des nominis huius honorem.
Ein Poet muß alſo einen großen Witz, einen goͤttlichen Geiſt
und einen erhabenen Ausdruck haben, wenn man ihn mit
dieſem Nahmen beehren ſoll.
Und freylich zeiget ſich der Witz eines Poeten hauptſaͤch-
lich in der gluͤcklichen Erfindung verbluͤmter Redensarten.
Denn iſt derſelbe eine Krafft der Seelen, das Aehnliche leicht
wahrzunehmen: ſo bemercket man, daß in jedem uneigent-
lich verſtandenen Worte ein Gleichniß ſteckt, oder ſonſt eine
Aehnlichkeit verhanden iſt, weswegen man eins vor das an-
dre ſetzt. Das beluſtiget nun den Leſer eines ſolchen Gedich-
tes. Er ſieht nicht nur das Bild, darunter ihm der Poet ei-
ne Sache vorſtellet, ſondern auch die Abſicht deſſelben, und
die Aehnlichkeit zwiſchen beyden; und da ſein Verſtand auf
eine ſo angenehme Art mit ſo vielen Begriffen auf einmahl
beſchaͤfftiget iſt, ſo empfindet er nicht nur wegen der Vollkom-
menheit des Poeten, deſſen Schrifft er lieſet, ein Vergnuͤ-
gen: ſondern beluſtiget ſich auch uͤber ſeine eigene Scharf-
ſinnigkeit, die ihn faͤhig gemacht, alle die Schoͤnheiten des
verbluͤmten Ausdruckes ohne Muͤhe zu entdecken. Z. E. Am-
thor p. 125.
Jtzt ſchwindet allgemach,
Der Schatten lange Nacht, und laͤßt der Thuͤrme Zinnen,
Ein frohes Morgen-Gold gewinnen.
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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/245>, abgerufen am 21.11.2024.
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