Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.

Bild:
<< vorherige Seite
Von den Figuren in der Poesie.

Zuweilen wiederholt man dasselbe Wort im Anfange etli-
cher Theile desselben Satzes, z. E. Flemming in einem Hir-
ten-Liede:

Her Palämon! her Florelle!
Her Amint! her Sylvius!
Melibeus her! zur Stelle,
Singt mir eins auf Tityrus.

Noch ein Exempel aus Rachelio kan nicht schaden:

Er meidet das Latein,
Ein jeglich ander Wort muß nur Französisch seyn,
Französisch Mund und Bart, Französisch alle Sitten,
Französisch Tuch und Wams, Französisch zugeschnitten.
Was immer zu Paris die edle Schneiderzunft
Hat neulich aufgebracht, auch wieder die Vernunft,
Das nimmt ein Deutscher an.

Zuweilen wiederholt man den Anfang eines Satzes in ver-
schiedenen folgenden Sätzen, z. E. Günther p. 33. I. Th.

Da setzet sich mein Geist im Umsehn keine Schrancken,
Da sinnt er hin und her, da spielt er mit Gedancken,
Da seh ich in mir selbst die Händel dieser Welt,
Den bösen Lauf der Zeit im Spiegel vorgestellt,
Da sind ich nichts als List, und weder Treu noch Glauben,
Da seh ich Narren blühn und kluge Leute schrauben etc.

Oder man wiederholt zuweilen ein Wort, so am Ende ei-
nes Satzes gestanden, im Anfange des darauf folgenden.
Z. E. Flemming p. 131.

Und mitten in dem Wesen,
Da es am ärgsten war, seyd Vater, ihr genesen.
Genesen seyd ihr nun und denckt nicht einmahl dran,
Was euch der arge Feind vor Dampf hat angethan.

Oder umgekehrt, das was am Anfange eines Satzes ge-
standen, kommt am Ende desselben zu stehen. Z. E. Opitz
p. 61. im Buch der Poet. W.

Werthes Paar vermengt die Brunst,
Liebt und gebet, gebt und liebet
Was euch heist des Himmels Gunst.
Der euch selbst zusammen giebet:

Noch ein besser Exempel davon steht p. 62. der Poet. W.
II. B.

Das
R 5
Von den Figuren in der Poeſie.

Zuweilen wiederholt man daſſelbe Wort im Anfange etli-
cher Theile deſſelben Satzes, z. E. Flemming in einem Hir-
ten-Liede:

Her Palaͤmon! her Florelle!
Her Amint! her Sylvius!
Melibeus her! zur Stelle,
Singt mir eins auf Tityrus.

Noch ein Exempel aus Rachelio kan nicht ſchaden:

Er meidet das Latein,
Ein jeglich ander Wort muß nur Franzoͤſiſch ſeyn,
Franzoͤſiſch Mund und Bart, Franzoͤſiſch alle Sitten,
Franzoͤſiſch Tuch und Wams, Franzoͤſiſch zugeſchnitten.
Was immer zu Paris die edle Schneiderzunft
Hat neulich aufgebracht, auch wieder die Vernunft,
Das nimmt ein Deutſcher an.

Zuweilen wiederholt man den Anfang eines Satzes in ver-
ſchiedenen folgenden Saͤtzen, z. E. Guͤnther p. 33. I. Th.

Da ſetzet ſich mein Geiſt im Umſehn keine Schrancken,
Da ſinnt er hin und her, da ſpielt er mit Gedancken,
Da ſeh ich in mir ſelbſt die Haͤndel dieſer Welt,
Den boͤſen Lauf der Zeit im Spiegel vorgeſtellt,
Da ſind ich nichts als Liſt, und weder Treu noch Glauben,
Da ſeh ich Narren bluͤhn und kluge Leute ſchrauben ꝛc.

Oder man wiederholt zuweilen ein Wort, ſo am Ende ei-
nes Satzes geſtanden, im Anfange des darauf folgenden.
Z. E. Flemming p. 131.

Und mitten in dem Weſen,
Da es am aͤrgſten war, ſeyd Vater, ihr geneſen.
Geneſen ſeyd ihr nun und denckt nicht einmahl dran,
Was euch der arge Feind vor Dampf hat angethan.

Oder umgekehrt, das was am Anfange eines Satzes ge-
ſtanden, kommt am Ende deſſelben zu ſtehen. Z. E. Opitz
p. 61. im Buch der Poet. W.

Werthes Paar vermengt die Brunſt,
Liebt und gebet, gebt und liebet
Was euch heiſt des Himmels Gunſt.
Der euch ſelbſt zuſammen giebet:

Noch ein beſſer Exempel davon ſteht p. 62. der Poet. W.
II. B.

Das
R 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0293" n="265"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Von den Figuren in der Poe&#x017F;ie.</hi> </fw><lb/>
          <p>Zuweilen wiederholt man da&#x017F;&#x017F;elbe Wort im Anfange etli-<lb/>
cher Theile de&#x017F;&#x017F;elben Satzes, z. E. Flemming in einem Hir-<lb/>
ten-Liede:</p><lb/>
          <cit>
            <quote>Her Pala&#x0364;mon! her Florelle!<lb/>
Her Amint! her Sylvius!<lb/>
Melibeus her! zur Stelle,<lb/>
Singt mir eins auf Tityrus.</quote>
          </cit><lb/>
          <p>Noch ein Exempel aus Rachelio kan nicht &#x017F;chaden:</p><lb/>
          <cit>
            <quote><hi rendition="#et">Er meidet das Latein,</hi><lb/>
Ein jeglich ander Wort muß nur Franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;ch &#x017F;eyn,<lb/>
Franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;ch Mund und Bart, Franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;ch alle Sitten,<lb/>
Franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;ch Tuch und Wams, Franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;ch zuge&#x017F;chnitten.<lb/>
Was immer zu Paris die edle Schneiderzunft<lb/>
Hat neulich aufgebracht, auch wieder die Vernunft,<lb/>
Das nimmt ein Deut&#x017F;cher an.</quote>
          </cit><lb/>
          <p>Zuweilen wiederholt man den Anfang eines Satzes in ver-<lb/>
&#x017F;chiedenen folgenden Sa&#x0364;tzen, z. E. Gu&#x0364;nther <hi rendition="#aq">p. 33. I.</hi> Th.</p><lb/>
          <cit>
            <quote>Da &#x017F;etzet &#x017F;ich mein Gei&#x017F;t im Um&#x017F;ehn keine Schrancken,<lb/>
Da &#x017F;innt er hin und her, da &#x017F;pielt er mit Gedancken,<lb/>
Da &#x017F;eh ich in mir &#x017F;elb&#x017F;t die Ha&#x0364;ndel die&#x017F;er Welt,<lb/>
Den bo&#x0364;&#x017F;en Lauf der Zeit im Spiegel vorge&#x017F;tellt,<lb/>
Da &#x017F;ind ich nichts als Li&#x017F;t, und weder Treu noch Glauben,<lb/>
Da &#x017F;eh ich Narren blu&#x0364;hn und kluge Leute &#x017F;chrauben &#xA75B;c.</quote>
          </cit><lb/>
          <p>Oder man wiederholt zuweilen ein Wort, &#x017F;o am Ende ei-<lb/>
nes Satzes ge&#x017F;tanden, im Anfange des darauf folgenden.<lb/>
Z. E. Flemming <hi rendition="#aq">p.</hi> 131.</p><lb/>
          <cit>
            <quote><hi rendition="#et">Und mitten in dem We&#x017F;en,</hi><lb/>
Da es am a&#x0364;rg&#x017F;ten war, &#x017F;eyd Vater, ihr gene&#x017F;en.<lb/>
Gene&#x017F;en &#x017F;eyd ihr nun und denckt nicht einmahl dran,<lb/>
Was euch der arge Feind vor Dampf hat angethan.</quote>
          </cit><lb/>
          <p>Oder umgekehrt, das was am Anfange eines Satzes ge-<lb/>
&#x017F;tanden, kommt am Ende de&#x017F;&#x017F;elben zu &#x017F;tehen. Z. E. Opitz<lb/><hi rendition="#aq">p.</hi> 61. im Buch der Poet. W.</p><lb/>
          <cit>
            <quote>Werthes Paar vermengt die Brun&#x017F;t,<lb/><hi rendition="#fr">Liebt</hi> und gebet, gebt und <hi rendition="#fr">liebet</hi><lb/>
Was euch hei&#x017F;t des Himmels Gun&#x017F;t.<lb/>
Der euch &#x017F;elb&#x017F;t zu&#x017F;ammen giebet:</quote>
          </cit><lb/>
          <p>Noch ein be&#x017F;&#x017F;er Exempel davon &#x017F;teht <hi rendition="#aq">p.</hi> 62. der Poet. W.<lb/><hi rendition="#aq">II.</hi> B.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig">R 5</fw>
          <fw place="bottom" type="catch">Das</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[265/0293] Von den Figuren in der Poeſie. Zuweilen wiederholt man daſſelbe Wort im Anfange etli- cher Theile deſſelben Satzes, z. E. Flemming in einem Hir- ten-Liede: Her Palaͤmon! her Florelle! Her Amint! her Sylvius! Melibeus her! zur Stelle, Singt mir eins auf Tityrus. Noch ein Exempel aus Rachelio kan nicht ſchaden: Er meidet das Latein, Ein jeglich ander Wort muß nur Franzoͤſiſch ſeyn, Franzoͤſiſch Mund und Bart, Franzoͤſiſch alle Sitten, Franzoͤſiſch Tuch und Wams, Franzoͤſiſch zugeſchnitten. Was immer zu Paris die edle Schneiderzunft Hat neulich aufgebracht, auch wieder die Vernunft, Das nimmt ein Deutſcher an. Zuweilen wiederholt man den Anfang eines Satzes in ver- ſchiedenen folgenden Saͤtzen, z. E. Guͤnther p. 33. I. Th. Da ſetzet ſich mein Geiſt im Umſehn keine Schrancken, Da ſinnt er hin und her, da ſpielt er mit Gedancken, Da ſeh ich in mir ſelbſt die Haͤndel dieſer Welt, Den boͤſen Lauf der Zeit im Spiegel vorgeſtellt, Da ſind ich nichts als Liſt, und weder Treu noch Glauben, Da ſeh ich Narren bluͤhn und kluge Leute ſchrauben ꝛc. Oder man wiederholt zuweilen ein Wort, ſo am Ende ei- nes Satzes geſtanden, im Anfange des darauf folgenden. Z. E. Flemming p. 131. Und mitten in dem Weſen, Da es am aͤrgſten war, ſeyd Vater, ihr geneſen. Geneſen ſeyd ihr nun und denckt nicht einmahl dran, Was euch der arge Feind vor Dampf hat angethan. Oder umgekehrt, das was am Anfange eines Satzes ge- ſtanden, kommt am Ende deſſelben zu ſtehen. Z. E. Opitz p. 61. im Buch der Poet. W. Werthes Paar vermengt die Brunſt, Liebt und gebet, gebt und liebet Was euch heiſt des Himmels Gunſt. Der euch ſelbſt zuſammen giebet: Noch ein beſſer Exempel davon ſteht p. 62. der Poet. W. II. B. Das R 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/293
Zitationshilfe: Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/293>, abgerufen am 25.11.2024.