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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.

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Das X. Capitel
läßt an die ordentliche Wortfügung zu dencken. Wir ha-
ben im vorigen Capitel schon davon geredet, wollen doch
aber noch ein Exempel geben:

Er, mein Leben, du, mein Leben,
Euer beyder Leben, ich.
Jch durch Euch, und ihr durch mich,
Wollen bis ans blaue schweben.

Hier versetzt Flemming das Wort Jch, in der andern Zeile
von seiner natürlichen Stelle: denn es hätte ordentlicher
Weise forn stehen sollen, Jch, euer beyder Leben; aber im
Affecte ist es ans Ende gekommen.

Die VIIte ist das Ubergehen (Praeteritio), worinn man
sich stellet, als wolte man etwas nicht anführen, welches
man eben dadurch erwehnet. Z. E. Flemming in seinen
Poet. W. 225.

Jch wollte Meldung thun, zu was für großen Dingen,
Jhr nur gebohren seyd, durch List und Neid zu dringen,
Die Zeiten zu verschmähn durch Urtheil und Verstand;
Hielt eure Gegenwart mir hier nicht Mund und Hand.

Die VIIIte ist die Wiederholung (Repetitio) gewisser
Wörter und Redensarten, wodurch die Rede einen sehr
grossen Nachdruck bekommt. Wenn nehmlich das Ge-
müth in einer hefftigen Bewegung ist, und gern will, daß
man seine Meynung wohl fassen solle: so ist es ihm nicht
genug, daß er die Sache einmahl sagt; sondern er sagts
zwey, dreymahl nach einander, damit man ja den Nach-
druck seiner Worte recht einsehen möge. Es geschieht aber
diese Wiederholung auf vielerley Art. Zuweilen wird im
Anfange ein und dasselbe Wort zweymahl gesetzet. Z. E.
Opitz im andern Buche von Wiederw. des Krieges schreibt
von der Freyheit:

Sie fordert Wiederstand,
Jhr Schutz, ihr Leben ist der Degen in der Hand.
Sie trinckt nicht Muttermilch: Blut! Blut muß sie ernehren;
Nicht Heulen, nicht Geschrey, nicht weiche Kinderzähren,
Die Faust gehört dazu.

Zu-

Das X. Capitel
laͤßt an die ordentliche Wortfuͤgung zu dencken. Wir ha-
ben im vorigen Capitel ſchon davon geredet, wollen doch
aber noch ein Exempel geben:

Er, mein Leben, du, mein Leben,
Euer beyder Leben, ich.
Jch durch Euch, und ihr durch mich,
Wollen bis ans blaue ſchweben.

Hier verſetzt Flemming das Wort Jch, in der andern Zeile
von ſeiner natuͤrlichen Stelle: denn es haͤtte ordentlicher
Weiſe forn ſtehen ſollen, Jch, euer beyder Leben; aber im
Affecte iſt es ans Ende gekommen.

Die VIIte iſt das Ubergehen (Præteritio), worinn man
ſich ſtellet, als wolte man etwas nicht anfuͤhren, welches
man eben dadurch erwehnet. Z. E. Flemming in ſeinen
Poet. W. 225.

Jch wollte Meldung thun, zu was fuͤr großen Dingen,
Jhr nur gebohren ſeyd, durch Liſt und Neid zu dringen,
Die Zeiten zu verſchmaͤhn durch Urtheil und Verſtand;
Hielt eure Gegenwart mir hier nicht Mund und Hand.

Die VIIIte iſt die Wiederholung (Repetitio) gewiſſer
Woͤrter und Redensarten, wodurch die Rede einen ſehr
groſſen Nachdruck bekommt. Wenn nehmlich das Ge-
muͤth in einer hefftigen Bewegung iſt, und gern will, daß
man ſeine Meynung wohl faſſen ſolle: ſo iſt es ihm nicht
genug, daß er die Sache einmahl ſagt; ſondern er ſagts
zwey, dreymahl nach einander, damit man ja den Nach-
druck ſeiner Worte recht einſehen moͤge. Es geſchieht aber
dieſe Wiederholung auf vielerley Art. Zuweilen wird im
Anfange ein und daſſelbe Wort zweymahl geſetzet. Z. E.
Opitz im andern Buche von Wiederw. des Krieges ſchreibt
von der Freyheit:

Sie fordert Wiederſtand,
Jhr Schutz, ihr Leben iſt der Degen in der Hand.
Sie trinckt nicht Muttermilch: Blut! Blut muß ſie ernehren;
Nicht Heulen, nicht Geſchrey, nicht weiche Kinderzaͤhren,
Die Fauſt gehoͤrt dazu.

Zu-
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[264/0292] Das X. Capitel laͤßt an die ordentliche Wortfuͤgung zu dencken. Wir ha- ben im vorigen Capitel ſchon davon geredet, wollen doch aber noch ein Exempel geben: Er, mein Leben, du, mein Leben, Euer beyder Leben, ich. Jch durch Euch, und ihr durch mich, Wollen bis ans blaue ſchweben. Hier verſetzt Flemming das Wort Jch, in der andern Zeile von ſeiner natuͤrlichen Stelle: denn es haͤtte ordentlicher Weiſe forn ſtehen ſollen, Jch, euer beyder Leben; aber im Affecte iſt es ans Ende gekommen. Die VIIte iſt das Ubergehen (Præteritio), worinn man ſich ſtellet, als wolte man etwas nicht anfuͤhren, welches man eben dadurch erwehnet. Z. E. Flemming in ſeinen Poet. W. 225. Jch wollte Meldung thun, zu was fuͤr großen Dingen, Jhr nur gebohren ſeyd, durch Liſt und Neid zu dringen, Die Zeiten zu verſchmaͤhn durch Urtheil und Verſtand; Hielt eure Gegenwart mir hier nicht Mund und Hand. Die VIIIte iſt die Wiederholung (Repetitio) gewiſſer Woͤrter und Redensarten, wodurch die Rede einen ſehr groſſen Nachdruck bekommt. Wenn nehmlich das Ge- muͤth in einer hefftigen Bewegung iſt, und gern will, daß man ſeine Meynung wohl faſſen ſolle: ſo iſt es ihm nicht genug, daß er die Sache einmahl ſagt; ſondern er ſagts zwey, dreymahl nach einander, damit man ja den Nach- druck ſeiner Worte recht einſehen moͤge. Es geſchieht aber dieſe Wiederholung auf vielerley Art. Zuweilen wird im Anfange ein und daſſelbe Wort zweymahl geſetzet. Z. E. Opitz im andern Buche von Wiederw. des Krieges ſchreibt von der Freyheit: Sie fordert Wiederſtand, Jhr Schutz, ihr Leben iſt der Degen in der Hand. Sie trinckt nicht Muttermilch: Blut! Blut muß ſie ernehren; Nicht Heulen, nicht Geſchrey, nicht weiche Kinderzaͤhren, Die Fauſt gehoͤrt dazu. Zu-

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Zitationshilfe: Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/292>, abgerufen am 25.11.2024.