Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.Von den Figuren in der Poesie. Die IVte ist das Verbeissen (Ellipsis) oder Abbrechen einer Und sprach: Macht euch der Glantz der Ahnen so verwegen, Dürft ihr mir unbewust die kühnen Flügel regen, Daß Erd und Himmel fast sich durcheinander mischt. Und der erhitzte Schaum bis an die Wolcken zischt. Euch soll! - - doch laßt uns nur der Wellen Macht beschrencken. Ein schön Exempel giebt auch Besser in seiner Ruhestatt der Du bist des Stranges werth, Die Vte könnte zur vorigen gerechnet werden, und heißt Was mich nun dergestalt in Unschuld kan ergetzen, Wozu mich die Natur - - halt ein! verführter Sinn, Drum eben straf ich dich, weil ich besorget bin Es möchte, was itzund noch leicht ist zu verwehren, Sich endlich unvermerckt in die Natur verkehren. Die VIte ist die Versetzung (Hyperbaton) eines Worts läßt R 4
Von den Figuren in der Poeſie. Die IVte iſt das Verbeiſſen (Ellipſis) oder Abbrechen einer Und ſprach: Macht euch der Glantz der Ahnen ſo verwegen, Duͤrft ihr mir unbewuſt die kuͤhnen Fluͤgel regen, Daß Erd und Himmel faſt ſich durcheinander miſcht. Und der erhitzte Schaum bis an die Wolcken ziſcht. Euch ſoll! ‒ ‒ doch laßt uns nur der Wellen Macht beſchrencken. Ein ſchoͤn Exempel giebt auch Beſſer in ſeiner Ruheſtatt der Du biſt des Stranges werth, Die Vte koͤnnte zur vorigen gerechnet werden, und heißt Was mich nun dergeſtalt in Unſchuld kan ergetzen, Wozu mich die Natur ‒ ‒ halt ein! verfuͤhrter Sinn, Drum eben ſtraf ich dich, weil ich beſorget bin Es moͤchte, was itzund noch leicht iſt zu verwehren, Sich endlich unvermerckt in die Natur verkehren. Die VIte iſt die Verſetzung (Hyperbaton) eines Worts laͤßt R 4
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0291" n="263"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Von den Figuren in der Poeſie.</hi> </fw><lb/> <p>Die <hi rendition="#aq">IV</hi>te iſt das <hi rendition="#fr">Verbeiſſen</hi> <hi rendition="#aq">(Ellipſis)</hi> oder Abbrechen einer<lb/> Redensart, die man nur anhebt, aber nicht voͤllig endiget.<lb/> Sie entſteht, wenn der Affect ſo hefftig iſt, daß der Mund<lb/> und die Zunge den geſchwinden Gedancken der Seele nicht<lb/> folgen kan, und alſo mitten in einem Satze abbrechen und<lb/> dem neuen Gedancken des Geiſtes ploͤtzlich folgen muß.<lb/> Amthor hat aus dem Virgil das bekannte <hi rendition="#aq">Quos ego!</hi> des Ne-<lb/> ptuni uͤberſetzt, womit er die Winde bedroht, aber mitten<lb/> in dem Draͤuworte inne haͤlt.</p><lb/> <lg type="poem"> <l>Und ſprach: Macht euch der Glantz der Ahnen ſo verwegen,</l><lb/> <l>Duͤrft ihr mir unbewuſt die kuͤhnen Fluͤgel regen,</l><lb/> <l>Daß Erd und Himmel faſt ſich durcheinander miſcht.</l><lb/> <l>Und der erhitzte Schaum bis an die Wolcken ziſcht.</l><lb/> <l>Euch ſoll! ‒ ‒ doch laßt uns nur der Wellen Macht beſchrencken.</l> </lg><lb/> <p>Ein ſchoͤn Exempel giebt auch Beſſer in ſeiner Ruheſtatt der<lb/> Liebe, wo er die erwachte Cloris ſo reden laͤſt:</p><lb/> <cit> <quote><hi rendition="#et">Du biſt des Stranges werth,</hi><lb/> Hilf Himmel, was iſt das! haſt du den Witz verlohren?<lb/> Jſt dieß die ſtete Treu, die du mir zugeſchworen?<lb/> Haſt du der Cloris Zorn ſo wenig denn geſcheut,<lb/> Daß du ſo freventlich ihr Heiligthum entweyht?<lb/><hi rendition="#fr">Daß du ‒ ‒ welch eine That!</hi> Sie konnte nicht mehr ſprechen,<lb/> Und wollte ſich an ihm mit ihren Thraͤnen raͤchen.</quote> </cit><lb/> <p>Die <hi rendition="#aq">V</hi>te koͤnnte zur vorigen gerechnet werden, und heißt<lb/><hi rendition="#fr">das Hemmen</hi> <hi rendition="#aq">(Apoſiopeſis)</hi>, wenn eine ſchleunige Veraͤn-<lb/> derung des Schluſſes der angefangenen Rede Einhalt thut.<lb/> Canitz in ſeinem Gedichte von der Poeſie laͤßt erſt ſeinen<lb/> poetiſchen Trieb zu Vertheidigung derſelben reden, hernach<lb/> aber faͤllt er demſelben ins Wort:</p><lb/> <lg type="poem"> <l>Was mich nun dergeſtalt in Unſchuld kan ergetzen,</l><lb/> <l>Wozu mich die Natur ‒ ‒ halt ein! verfuͤhrter Sinn,</l><lb/> <l>Drum eben ſtraf ich dich, weil ich beſorget bin</l><lb/> <l>Es moͤchte, was itzund noch leicht iſt zu verwehren,</l><lb/> <l>Sich endlich unvermerckt in die Natur verkehren.</l> </lg><lb/> <p>Die <hi rendition="#aq">VI</hi>te iſt die <hi rendition="#fr">Verſetzung</hi> <hi rendition="#aq">(Hyperbaton)</hi> eines Worts<lb/> oder Gedanckens von ſeiner natuͤrlichen Stelle, die aber<lb/> nicht aus der Unfaͤhigkeit des Poeten, ſondern aus der Heff-<lb/> tigkeit des Affects herruͤhret, der dem Gemuͤthe nicht Zeit<lb/> <fw place="bottom" type="sig">R 4</fw><fw place="bottom" type="catch">laͤßt</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [263/0291]
Von den Figuren in der Poeſie.
Die IVte iſt das Verbeiſſen (Ellipſis) oder Abbrechen einer
Redensart, die man nur anhebt, aber nicht voͤllig endiget.
Sie entſteht, wenn der Affect ſo hefftig iſt, daß der Mund
und die Zunge den geſchwinden Gedancken der Seele nicht
folgen kan, und alſo mitten in einem Satze abbrechen und
dem neuen Gedancken des Geiſtes ploͤtzlich folgen muß.
Amthor hat aus dem Virgil das bekannte Quos ego! des Ne-
ptuni uͤberſetzt, womit er die Winde bedroht, aber mitten
in dem Draͤuworte inne haͤlt.
Und ſprach: Macht euch der Glantz der Ahnen ſo verwegen,
Duͤrft ihr mir unbewuſt die kuͤhnen Fluͤgel regen,
Daß Erd und Himmel faſt ſich durcheinander miſcht.
Und der erhitzte Schaum bis an die Wolcken ziſcht.
Euch ſoll! ‒ ‒ doch laßt uns nur der Wellen Macht beſchrencken.
Ein ſchoͤn Exempel giebt auch Beſſer in ſeiner Ruheſtatt der
Liebe, wo er die erwachte Cloris ſo reden laͤſt:
Du biſt des Stranges werth,
Hilf Himmel, was iſt das! haſt du den Witz verlohren?
Jſt dieß die ſtete Treu, die du mir zugeſchworen?
Haſt du der Cloris Zorn ſo wenig denn geſcheut,
Daß du ſo freventlich ihr Heiligthum entweyht?
Daß du ‒ ‒ welch eine That! Sie konnte nicht mehr ſprechen,
Und wollte ſich an ihm mit ihren Thraͤnen raͤchen.
Die Vte koͤnnte zur vorigen gerechnet werden, und heißt
das Hemmen (Apoſiopeſis), wenn eine ſchleunige Veraͤn-
derung des Schluſſes der angefangenen Rede Einhalt thut.
Canitz in ſeinem Gedichte von der Poeſie laͤßt erſt ſeinen
poetiſchen Trieb zu Vertheidigung derſelben reden, hernach
aber faͤllt er demſelben ins Wort:
Was mich nun dergeſtalt in Unſchuld kan ergetzen,
Wozu mich die Natur ‒ ‒ halt ein! verfuͤhrter Sinn,
Drum eben ſtraf ich dich, weil ich beſorget bin
Es moͤchte, was itzund noch leicht iſt zu verwehren,
Sich endlich unvermerckt in die Natur verkehren.
Die VIte iſt die Verſetzung (Hyperbaton) eines Worts
oder Gedanckens von ſeiner natuͤrlichen Stelle, die aber
nicht aus der Unfaͤhigkeit des Poeten, ſondern aus der Heff-
tigkeit des Affects herruͤhret, der dem Gemuͤthe nicht Zeit
laͤßt
R 4
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |