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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.

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Das X. Capitel

Eben dergleichen ist jener Einwurf, den sich Canitz in seiner
Satire vom Hofleben macht; wenn er dem jungen Dan-
ckelmann räth, sich durch die Heyrath einer schlechten Per-
son in die Gunst eines Grossen zu setzen.

Verachte mit Vernunft den Wahn der eiteln Welt,
Wird doch der Uberfluß im Horne vorgestellt.
Ja, sprichst du, ihr Geschlecht! Ach laß den Jrrthum fahren,
Sieh unsern Nachbar an etc.

Es folgt zum XXVII. das Einräumen (Epitrophe), wenn
man jemanden mehr zugesteht, als er fordern kan, ja mehr
als man selbst glaubt; nur um desto schärfer wieder ihn zu
streiten. Ein Exempel nehme ich aus Canitzens Ubersetzung
der Satire vom Adel.

Sein tapferes Geschlecht mag durch berühmte Sachen,
Die ältsten Chronicken zu dicken Büchern machen;
Gesetzt, daß jenen Schild, der sein Geschlechte ziert,
Vorlängst schon ein Capet mit Lilien ausgeziert.
Wozu will er uns doch den leeren Vorrath weisen?
Wenn er von seinem Stamm, den die Gedichte preisen,
Der Welt nichts zeigen kan, als ein verlegnes Blat,
Daran das Pergament der Wurm geschonet hat.

Den Beschluß macht Lami zum XXVIII. mit der Um-
schreibung
(Periphrasis), wodurch man unanständige Sa-
chen, oder Dinge, die man nicht so gleich heraus sagen will,
zu lindern oder höflicher zu sagen pflegt. Ein Exempel giebt
uns Opitz, wenn er sagen will, wohin die Poesien der Stüm-
perkommen.

Nicht zwar wie jene thun, die heute etwas schreiben,
Das morgen kommt dahin, wo es zu kommen werth,
Da, wo man an die Wand den blossen Rücken kehrt.

Ob wohl nun der offtgedachte Scribent, es bey diesen Fi-
guren bewenden läßt; so erinnert er doch, daß es freylich
noch verschiedene andre gebe, so diesen an Schönheit und
Nachdruck nichts nachgeben. Die Wahrheit dessen zu er-
weisen, will ich noch ein paar hersetzen, um das halbe Schock
vollends voll zu machen. Man mercke also zum XIX. das
Aufsteigen
(Gradatio), wenn man gleichsam stuffenweise
von einer geringern Sache zu etwas höherm fortschreitet, und

also
Das X. Capitel

Eben dergleichen iſt jener Einwurf, den ſich Canitz in ſeiner
Satire vom Hofleben macht; wenn er dem jungen Dan-
ckelmann raͤth, ſich durch die Heyrath einer ſchlechten Per-
ſon in die Gunſt eines Groſſen zu ſetzen.

Verachte mit Vernunft den Wahn der eiteln Welt,
Wird doch der Uberfluß im Horne vorgeſtellt.
Ja, ſprichſt du, ihr Geſchlecht! Ach laß den Jrrthum fahren,
Sieh unſern Nachbar an ꝛc.

Es folgt zum XXVII. das Einraͤumen (Epitrophe), wenn
man jemanden mehr zugeſteht, als er fordern kan, ja mehr
als man ſelbſt glaubt; nur um deſto ſchaͤrfer wieder ihn zu
ſtreiten. Ein Exempel nehme ich aus Canitzens Uberſetzung
der Satire vom Adel.

Sein tapferes Geſchlecht mag durch beruͤhmte Sachen,
Die aͤltſten Chronicken zu dicken Buͤchern machen;
Geſetzt, daß jenen Schild, der ſein Geſchlechte ziert,
Vorlaͤngſt ſchon ein Capet mit Lilien ausgeziert.
Wozu will er uns doch den leeren Vorrath weiſen?
Wenn er von ſeinem Stamm, den die Gedichte preiſen,
Der Welt nichts zeigen kan, als ein verlegnes Blat,
Daran das Pergament der Wurm geſchonet hat.

Den Beſchluß macht Lami zum XXVIII. mit der Um-
ſchreibung
(Periphraſis), wodurch man unanſtaͤndige Sa-
chen, oder Dinge, die man nicht ſo gleich heraus ſagen will,
zu lindern oder hoͤflicher zu ſagen pflegt. Ein Exempel giebt
uns Opitz, wenn er ſagen will, wohin die Poeſien der Stuͤm-
perkommen.

Nicht zwar wie jene thun, die heute etwas ſchreiben,
Das morgen kommt dahin, wo es zu kommen werth,
Da, wo man an die Wand den bloſſen Ruͤcken kehrt.

Ob wohl nun der offtgedachte Scribent, es bey dieſen Fi-
guren bewenden laͤßt; ſo erinnert er doch, daß es freylich
noch verſchiedene andre gebe, ſo dieſen an Schoͤnheit und
Nachdruck nichts nachgeben. Die Wahrheit deſſen zu er-
weiſen, will ich noch ein paar herſetzen, um das halbe Schock
vollends voll zu machen. Man mercke alſo zum XIX. das
Aufſteigen
(Gradatio), wenn man gleichſam ſtuffenweiſe
von einer geringern Sache zu etwas hoͤherm fortſchreitet, und

alſo
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[280/0308] Das X. Capitel Eben dergleichen iſt jener Einwurf, den ſich Canitz in ſeiner Satire vom Hofleben macht; wenn er dem jungen Dan- ckelmann raͤth, ſich durch die Heyrath einer ſchlechten Per- ſon in die Gunſt eines Groſſen zu ſetzen. Verachte mit Vernunft den Wahn der eiteln Welt, Wird doch der Uberfluß im Horne vorgeſtellt. Ja, ſprichſt du, ihr Geſchlecht! Ach laß den Jrrthum fahren, Sieh unſern Nachbar an ꝛc. Es folgt zum XXVII. das Einraͤumen (Epitrophe), wenn man jemanden mehr zugeſteht, als er fordern kan, ja mehr als man ſelbſt glaubt; nur um deſto ſchaͤrfer wieder ihn zu ſtreiten. Ein Exempel nehme ich aus Canitzens Uberſetzung der Satire vom Adel. Sein tapferes Geſchlecht mag durch beruͤhmte Sachen, Die aͤltſten Chronicken zu dicken Buͤchern machen; Geſetzt, daß jenen Schild, der ſein Geſchlechte ziert, Vorlaͤngſt ſchon ein Capet mit Lilien ausgeziert. Wozu will er uns doch den leeren Vorrath weiſen? Wenn er von ſeinem Stamm, den die Gedichte preiſen, Der Welt nichts zeigen kan, als ein verlegnes Blat, Daran das Pergament der Wurm geſchonet hat. Den Beſchluß macht Lami zum XXVIII. mit der Um- ſchreibung (Periphraſis), wodurch man unanſtaͤndige Sa- chen, oder Dinge, die man nicht ſo gleich heraus ſagen will, zu lindern oder hoͤflicher zu ſagen pflegt. Ein Exempel giebt uns Opitz, wenn er ſagen will, wohin die Poeſien der Stuͤm- perkommen. Nicht zwar wie jene thun, die heute etwas ſchreiben, Das morgen kommt dahin, wo es zu kommen werth, Da, wo man an die Wand den bloſſen Ruͤcken kehrt. Ob wohl nun der offtgedachte Scribent, es bey dieſen Fi- guren bewenden laͤßt; ſo erinnert er doch, daß es freylich noch verſchiedene andre gebe, ſo dieſen an Schoͤnheit und Nachdruck nichts nachgeben. Die Wahrheit deſſen zu er- weiſen, will ich noch ein paar herſetzen, um das halbe Schock vollends voll zu machen. Man mercke alſo zum XIX. das Aufſteigen (Gradatio), wenn man gleichſam ſtuffenweiſe von einer geringern Sache zu etwas hoͤherm fortſchreitet, und alſo

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Zitationshilfe: Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/308>, abgerufen am 24.11.2024.