Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.

Bild:
<< vorherige Seite


Vorbericht.

JCh habe es vor dienlich erachtet, an statt
einer Einleitung zu meiner deutschen Poesie,
das treffliche Gedicht Horatii zu übersetzen,
welches dieser grosse Kenner und Meister
der Poesie mit dem Nahmen einer Dichtkunst
belegen wollen: ohngeachtet es eigentlich nur in Form
eines Schreibens an ein vornehmes Geschlecht der Piso-
nen abgefasset ist.

Die Menge schlimmer Poeten mochte zu Zeiten dieses
Dichters in Rom so groß seyn, als heute zu Tage in
Deutschland. Siehe L. II. Ep. I. v. 108. Ein jeder, der
nicht faul war, stümpelte was zusammen, so zwar ein ziem-
lich richtiges Sylbenmaaß hatte, aber weder durch seinen
sinnreichen und feurigen Jnhalt von dem Geiste, noch
durch die ordentliche Einrichtung von dem Urtheile, noch
endlich durch die regelmäßige Schreibart von der Kunst
seines Meisters ein Zeugniß ablegte. Gleichwohl wollten
alle diese Verßmacher Poeten heissen; ja einige davon
unterstunden sich gar, durch ihre Geschwindigkeit im
Dichten, und den Beyfall des Pöbels verleitet, den gros-
sen Geistern, so sich dazumahl am Römischen Hofe aufhiel-

ten,
a 2


Vorbericht.

JCh habe es vor dienlich erachtet, an ſtatt
einer Einleitung zu meiner deutſchen Poeſie,
das treffliche Gedicht Horatii zu uͤberſetzen,
welches dieſer groſſe Kenner und Meiſter
der Poeſie mit dem Nahmen einer Dichtkunſt
belegen wollen: ohngeachtet es eigentlich nur in Form
eines Schreibens an ein vornehmes Geſchlecht der Piſo-
nen abgefaſſet iſt.

Die Menge ſchlimmer Poeten mochte zu Zeiten dieſes
Dichters in Rom ſo groß ſeyn, als heute zu Tage in
Deutſchland. Siehe L. II. Ep. I. v. 108. Ein jeder, der
nicht faul war, ſtuͤmpelte was zuſammen, ſo zwar ein ziem-
lich richtiges Sylbenmaaß hatte, aber weder durch ſeinen
ſinnreichen und feurigen Jnhalt von dem Geiſte, noch
durch die ordentliche Einrichtung von dem Urtheile, noch
endlich durch die regelmaͤßige Schreibart von der Kunſt
ſeines Meiſters ein Zeugniß ablegte. Gleichwohl wollten
alle dieſe Verßmacher Poeten heiſſen; ja einige davon
unterſtunden ſich gar, durch ihre Geſchwindigkeit im
Dichten, und den Beyfall des Poͤbels verleitet, den groſ-
ſen Geiſtern, ſo ſich dazumahl am Roͤmiſchen Hofe aufhiel-

ten,
a 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0031" n="3"/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#g">Vorbericht.</hi> </hi> </head><lb/>
          <p><hi rendition="#in">J</hi>Ch habe es vor dienlich erachtet, an &#x017F;tatt<lb/>
einer Einleitung zu meiner deut&#x017F;chen Poe&#x017F;ie,<lb/>
das treffliche Gedicht Horatii zu u&#x0364;ber&#x017F;etzen,<lb/>
welches die&#x017F;er gro&#x017F;&#x017F;e Kenner und Mei&#x017F;ter<lb/>
der Poe&#x017F;ie mit dem Nahmen einer Dichtkun&#x017F;t<lb/>
belegen wollen: ohngeachtet es eigentlich nur in Form<lb/>
eines Schreibens an ein vornehmes Ge&#x017F;chlecht der Pi&#x017F;o-<lb/>
nen abgefa&#x017F;&#x017F;et i&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>Die Menge &#x017F;chlimmer Poeten mochte zu Zeiten die&#x017F;es<lb/>
Dichters in Rom &#x017F;o groß &#x017F;eyn, als heute zu Tage in<lb/>
Deut&#x017F;chland. Siehe <hi rendition="#aq">L. II. Ep. I. v.</hi> 108. Ein jeder, der<lb/>
nicht faul war, &#x017F;tu&#x0364;mpelte was zu&#x017F;ammen, &#x017F;o zwar ein ziem-<lb/>
lich richtiges Sylbenmaaß hatte, aber weder durch &#x017F;einen<lb/>
&#x017F;innreichen und feurigen Jnhalt von dem Gei&#x017F;te, noch<lb/>
durch die ordentliche Einrichtung von dem Urtheile, noch<lb/>
endlich durch die regelma&#x0364;ßige Schreibart von der Kun&#x017F;t<lb/>
&#x017F;eines Mei&#x017F;ters ein Zeugniß ablegte. Gleichwohl wollten<lb/>
alle die&#x017F;e Verßmacher Poeten hei&#x017F;&#x017F;en; ja einige davon<lb/>
unter&#x017F;tunden &#x017F;ich gar, durch ihre Ge&#x017F;chwindigkeit im<lb/>
Dichten, und den Beyfall des Po&#x0364;bels verleitet, den gro&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en Gei&#x017F;tern, &#x017F;o &#x017F;ich dazumahl am Ro&#x0364;mi&#x017F;chen Hofe aufhiel-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">a 2</fw><fw place="bottom" type="catch">ten,</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[3/0031] Vorbericht. JCh habe es vor dienlich erachtet, an ſtatt einer Einleitung zu meiner deutſchen Poeſie, das treffliche Gedicht Horatii zu uͤberſetzen, welches dieſer groſſe Kenner und Meiſter der Poeſie mit dem Nahmen einer Dichtkunſt belegen wollen: ohngeachtet es eigentlich nur in Form eines Schreibens an ein vornehmes Geſchlecht der Piſo- nen abgefaſſet iſt. Die Menge ſchlimmer Poeten mochte zu Zeiten dieſes Dichters in Rom ſo groß ſeyn, als heute zu Tage in Deutſchland. Siehe L. II. Ep. I. v. 108. Ein jeder, der nicht faul war, ſtuͤmpelte was zuſammen, ſo zwar ein ziem- lich richtiges Sylbenmaaß hatte, aber weder durch ſeinen ſinnreichen und feurigen Jnhalt von dem Geiſte, noch durch die ordentliche Einrichtung von dem Urtheile, noch endlich durch die regelmaͤßige Schreibart von der Kunſt ſeines Meiſters ein Zeugniß ablegte. Gleichwohl wollten alle dieſe Verßmacher Poeten heiſſen; ja einige davon unterſtunden ſich gar, durch ihre Geſchwindigkeit im Dichten, und den Beyfall des Poͤbels verleitet, den groſ- ſen Geiſtern, ſo ſich dazumahl am Roͤmiſchen Hofe aufhiel- ten, a 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/31
Zitationshilfe: Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/31>, abgerufen am 03.12.2024.