Laufe ein solches Geräusche mache; weil sie nehmlich Goldkörner bey sich führe und über so viele Corallen- Stauden und Edelgesteine wegrieseln müsse. Ein Lieb- haber der Vernunft findet hier, was Horatz verworfen hat.
Versus inopes rerum nugasque canoras.
Noch ist zum dritten die pathetische, oder affectuöse, hitzige und hefftige Schreibart übrig, deren Nahmen satt- sam ihre Art anzeigen. Sie entsteht aus allen Gemüths- Bewegungen, und ist gleichsam die Sprache derselben. Sie ändert sich nach Beschaffenheit derselben, und ist bald kurtz und abgebrochen, bald etwas weitläuftig; allezeit aber vol- ler Figuren, und verwegenen Ausdrückungen. Sie hält nichts von sinnreichen Einfällen, Gleichnissen oder andern Künsten. Sie folgt einer hitzigen Unbedachtsamkeit, die in allen Affecten herrscht, und keinem Zeit läßt auszustu- diren, was er sagen will. Sie scheint auch mehr zu don- nern und zu blitzen, als zu reden; weil alles unvermuthet herausfährt, und man zuweilen nicht begreifen kan, wo alles mit einander hergekommen. Sie meidet alle Ver- bindungs-Wörter, und ist zufrieden, wenn die Sachen ei- nigermassen zusammen hangen. Und in dieser Schreibart hat mehrentheils das sogenannte Hohe seinen Sitz, davon Longinus uns ein gantz Buch geschrieben, und davon uns Herr Bodmer noch neulich ein neues Werck versprochen.
Der Sitz dieser pathetischen Schreibart, ist anfänglich in Oden, wo der Poet selbst im Affecte steht, und sich voller Feuer ausdrückt. Ein Exempel giebt Günthers Ode auf Eugenium, die fast durchgehends diesen Character beob- achtet hat. Sein Affect ist daselbst die Freude, und heff- tige Begierde seines Helden grosse Thaten zu loben. Er sieht ihn gleichsam vor seinen Augen verschwinden, und feurt seine Musen an ihm nachzueilen:
Eugen ist fort! Jhr Musen, nach! Er eilt und schlägt und siegt schon wieder.
Diese abgebrochene kurtze Art des Ausdruckes ist in der That eine glückliche Nachahmung des stärckesten Affects.
Die
Von der poetiſchen Schreibart.
Laufe ein ſolches Geraͤuſche mache; weil ſie nehmlich Goldkoͤrner bey ſich fuͤhre und uͤber ſo viele Corallen- Stauden und Edelgeſteine wegrieſeln muͤſſe. Ein Lieb- haber der Vernunft findet hier, was Horatz verworfen hat.
Verſus inopes rerum nugasque canoras.
Noch iſt zum dritten die pathetiſche, oder affectuoͤſe, hitzige und hefftige Schreibart uͤbrig, deren Nahmen ſatt- ſam ihre Art anzeigen. Sie entſteht aus allen Gemuͤths- Bewegungen, und iſt gleichſam die Sprache derſelben. Sie aͤndert ſich nach Beſchaffenheit derſelben, und iſt bald kurtz und abgebrochen, bald etwas weitlaͤuftig; allezeit aber vol- ler Figuren, und verwegenen Ausdruͤckungen. Sie haͤlt nichts von ſinnreichen Einfaͤllen, Gleichniſſen oder andern Kuͤnſten. Sie folgt einer hitzigen Unbedachtſamkeit, die in allen Affecten herrſcht, und keinem Zeit laͤßt auszuſtu- diren, was er ſagen will. Sie ſcheint auch mehr zu don- nern und zu blitzen, als zu reden; weil alles unvermuthet herausfaͤhrt, und man zuweilen nicht begreifen kan, wo alles mit einander hergekommen. Sie meidet alle Ver- bindungs-Woͤrter, und iſt zufrieden, wenn die Sachen ei- nigermaſſen zuſammen hangen. Und in dieſer Schreibart hat mehrentheils das ſogenannte Hohe ſeinen Sitz, davon Longinus uns ein gantz Buch geſchrieben, und davon uns Herr Bodmer noch neulich ein neues Werck verſprochen.
Der Sitz dieſer pathetiſchen Schreibart, iſt anfaͤnglich in Oden, wo der Poet ſelbſt im Affecte ſteht, und ſich voller Feuer ausdruͤckt. Ein Exempel giebt Guͤnthers Ode auf Eugenium, die faſt durchgehends dieſen Character beob- achtet hat. Sein Affect iſt daſelbſt die Freude, und heff- tige Begierde ſeines Helden groſſe Thaten zu loben. Er ſieht ihn gleichſam vor ſeinen Augen verſchwinden, und feurt ſeine Muſen an ihm nachzueilen:
Eugen iſt fort! Jhr Muſen, nach! Er eilt und ſchlaͤgt und ſiegt ſchon wieder.
Dieſe abgebrochene kurtze Art des Ausdruckes iſt in der That eine gluͤckliche Nachahmung des ſtaͤrckeſten Affects.
Die
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0327"n="299"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Von der poetiſchen Schreibart.</hi></fw><lb/><hirendition="#fr">Laufe ein ſolches Geraͤuſche mache; weil ſie nehmlich<lb/>
Goldkoͤrner bey ſich fuͤhre und uͤber ſo viele Corallen-<lb/>
Stauden und Edelgeſteine wegrieſeln muͤſſe.</hi> Ein Lieb-<lb/>
haber der Vernunft findet hier, was Horatz verworfen hat.</p><lb/><cit><quote><hirendition="#aq">Verſus inopes rerum nugasque canoras.</hi></quote></cit><lb/><p>Noch iſt zum dritten die pathetiſche, oder affectuoͤſe,<lb/>
hitzige und hefftige Schreibart uͤbrig, deren Nahmen ſatt-<lb/>ſam ihre Art anzeigen. Sie entſteht aus allen Gemuͤths-<lb/>
Bewegungen, und iſt gleichſam die Sprache derſelben. Sie<lb/>
aͤndert ſich nach Beſchaffenheit derſelben, und iſt bald kurtz<lb/>
und abgebrochen, bald etwas weitlaͤuftig; allezeit aber vol-<lb/>
ler Figuren, und verwegenen Ausdruͤckungen. Sie haͤlt<lb/>
nichts von ſinnreichen Einfaͤllen, Gleichniſſen oder andern<lb/>
Kuͤnſten. Sie folgt einer hitzigen Unbedachtſamkeit, die<lb/>
in allen Affecten herrſcht, und keinem Zeit laͤßt auszuſtu-<lb/>
diren, was er ſagen will. Sie ſcheint auch mehr zu don-<lb/>
nern und zu blitzen, als zu reden; weil alles unvermuthet<lb/>
herausfaͤhrt, und man zuweilen nicht begreifen kan, wo<lb/>
alles mit einander hergekommen. Sie meidet alle Ver-<lb/>
bindungs-Woͤrter, und iſt zufrieden, wenn die Sachen ei-<lb/>
nigermaſſen zuſammen hangen. Und in dieſer Schreibart<lb/>
hat mehrentheils das ſogenannte Hohe ſeinen Sitz, davon<lb/>
Longinus uns ein gantz Buch geſchrieben, und davon uns<lb/>
Herr Bodmer noch neulich ein neues Werck verſprochen.</p><lb/><p>Der Sitz dieſer pathetiſchen Schreibart, iſt anfaͤnglich<lb/>
in Oden, wo der Poet ſelbſt im Affecte ſteht, und ſich voller<lb/>
Feuer ausdruͤckt. Ein Exempel giebt Guͤnthers Ode auf<lb/>
Eugenium, die faſt durchgehends dieſen Character beob-<lb/>
achtet hat. Sein Affect iſt daſelbſt die Freude, und heff-<lb/>
tige Begierde ſeines Helden groſſe Thaten zu loben. Er<lb/>ſieht ihn gleichſam vor ſeinen Augen verſchwinden, und feurt<lb/>ſeine Muſen an ihm nachzueilen:</p><lb/><lgtype="poem"><l>Eugen iſt fort! Jhr Muſen, nach!</l><lb/><l>Er eilt und ſchlaͤgt und ſiegt ſchon wieder.</l></lg><lb/><p>Dieſe abgebrochene kurtze Art des Ausdruckes iſt in der<lb/>
That eine gluͤckliche Nachahmung des ſtaͤrckeſten Affects.<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Die</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[299/0327]
Von der poetiſchen Schreibart.
Laufe ein ſolches Geraͤuſche mache; weil ſie nehmlich
Goldkoͤrner bey ſich fuͤhre und uͤber ſo viele Corallen-
Stauden und Edelgeſteine wegrieſeln muͤſſe. Ein Lieb-
haber der Vernunft findet hier, was Horatz verworfen hat.
Verſus inopes rerum nugasque canoras.
Noch iſt zum dritten die pathetiſche, oder affectuoͤſe,
hitzige und hefftige Schreibart uͤbrig, deren Nahmen ſatt-
ſam ihre Art anzeigen. Sie entſteht aus allen Gemuͤths-
Bewegungen, und iſt gleichſam die Sprache derſelben. Sie
aͤndert ſich nach Beſchaffenheit derſelben, und iſt bald kurtz
und abgebrochen, bald etwas weitlaͤuftig; allezeit aber vol-
ler Figuren, und verwegenen Ausdruͤckungen. Sie haͤlt
nichts von ſinnreichen Einfaͤllen, Gleichniſſen oder andern
Kuͤnſten. Sie folgt einer hitzigen Unbedachtſamkeit, die
in allen Affecten herrſcht, und keinem Zeit laͤßt auszuſtu-
diren, was er ſagen will. Sie ſcheint auch mehr zu don-
nern und zu blitzen, als zu reden; weil alles unvermuthet
herausfaͤhrt, und man zuweilen nicht begreifen kan, wo
alles mit einander hergekommen. Sie meidet alle Ver-
bindungs-Woͤrter, und iſt zufrieden, wenn die Sachen ei-
nigermaſſen zuſammen hangen. Und in dieſer Schreibart
hat mehrentheils das ſogenannte Hohe ſeinen Sitz, davon
Longinus uns ein gantz Buch geſchrieben, und davon uns
Herr Bodmer noch neulich ein neues Werck verſprochen.
Der Sitz dieſer pathetiſchen Schreibart, iſt anfaͤnglich
in Oden, wo der Poet ſelbſt im Affecte ſteht, und ſich voller
Feuer ausdruͤckt. Ein Exempel giebt Guͤnthers Ode auf
Eugenium, die faſt durchgehends dieſen Character beob-
achtet hat. Sein Affect iſt daſelbſt die Freude, und heff-
tige Begierde ſeines Helden groſſe Thaten zu loben. Er
ſieht ihn gleichſam vor ſeinen Augen verſchwinden, und feurt
ſeine Muſen an ihm nachzueilen:
Eugen iſt fort! Jhr Muſen, nach!
Er eilt und ſchlaͤgt und ſiegt ſchon wieder.
Dieſe abgebrochene kurtze Art des Ausdruckes iſt in der
That eine gluͤckliche Nachahmung des ſtaͤrckeſten Affects.
Die
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/327>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.