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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.

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Das XII. Capitel.
Von Wehr und Waffen ich und von dem Hauptmann sing,
Der Christi werthes Grab gar ritterlich erstritte,
Mit Hand und mit Verstand verrichtet er viel Ding,
Jn dem berühmten Sieg er mächtig viel erlitte.
Die Höll zu dämpfen ihn umsonst sich unterfieng,
Die Heydenschafft auf ihn umsonst zusammen ritte,
Dann seine Helden er, durchs Himmels Gunst und Macht,
Bey alle Creutz-Panier zusammen wieder bracht.

Die Franzosen pflegen ausser in Sonneten und Ringel-Ge-
dichten nicht leicht mehr als zwey Zeilen auf einander zu
reimen. Jn jenen nehmlich müssen die ersten acht Zeilen
nur zweyerley Reime haben, so daß vier männliche und vier
weibliche auf einander passen. Jm Rondeau aber müssen
anfänglich erst fünf, und hernach acht Zeilen, die aber durch
einander gemischt werden, einerley Reim haben. Unsre Pro-
sodisten haben in allen ihren Anleitungen gewiesen, daß es
auch bey uns angehe, dergleichen zu machen: Man sieht
aber nicht, daß sie Liebhaber bey unsern Poeten finden. Es
ist ein entsetzlicher Zwang dabey; denn man muß die Ge-
dancken gar zu sehr nach diesem kindischen Schellen-Klange
richten, und endlich kommt doch nur ein Spielwerck her-
aus, daran sich nur kleine Geister belustigen. Diese kön-
nen der Reime niemahls satt werden, und ich glaube, daß
man bloß ihnen zu gefallen die feltsame Art von Verßen er-
dacht, die sich vorn und hinten, ja wohl gar auch in der
Mitte reimen, davon man in Menantes gal. Poesie E-
xempel nachsehen kan. Ein verständiger Poet sieht mit
dem berühmten Ritter Temple,* dem Herrn Alay, als
Urheber der Severambischen Historie, und dem Grafen
Schafftesbury** die Reime als einen Uberrest der barbari-
schen Scythen, Gothen und Celten an; die wir lieber zu
vermindern als zu vermehren Ursache hätten. Er reimet
daher in seinen Poesien so wenig, als es sich thun läßt, und
gönnet den Pegnitz-Schäfern den Vorzug alle ihre Sylben

und
* Oeuvres melees, de la Poesie.
** Characteristicks of Men Manners and Times.
Das XII. Capitel.
Von Wehr und Waffen ich und von dem Hauptmann ſing,
Der Chriſti werthes Grab gar ritterlich erſtritte,
Mit Hand und mit Verſtand verrichtet er viel Ding,
Jn dem beruͤhmten Sieg er maͤchtig viel erlitte.
Die Hoͤll zu daͤmpfen ihn umſonſt ſich unterfieng,
Die Heydenſchafft auf ihn umſonſt zuſammen ritte,
Dann ſeine Helden er, durchs Himmels Gunſt und Macht,
Bey alle Creutz-Panier zuſammen wieder bracht.

Die Franzoſen pflegen auſſer in Sonneten und Ringel-Ge-
dichten nicht leicht mehr als zwey Zeilen auf einander zu
reimen. Jn jenen nehmlich muͤſſen die erſten acht Zeilen
nur zweyerley Reime haben, ſo daß vier maͤnnliche und vier
weibliche auf einander paſſen. Jm Rondeau aber muͤſſen
anfaͤnglich erſt fuͤnf, und hernach acht Zeilen, die aber durch
einander gemiſcht werden, einerley Reim haben. Unſre Pro-
ſodiſten haben in allen ihren Anleitungen gewieſen, daß es
auch bey uns angehe, dergleichen zu machen: Man ſieht
aber nicht, daß ſie Liebhaber bey unſern Poeten finden. Es
iſt ein entſetzlicher Zwang dabey; denn man muß die Ge-
dancken gar zu ſehr nach dieſem kindiſchen Schellen-Klange
richten, und endlich kommt doch nur ein Spielwerck her-
aus, daran ſich nur kleine Geiſter beluſtigen. Dieſe koͤn-
nen der Reime niemahls ſatt werden, und ich glaube, daß
man bloß ihnen zu gefallen die feltſame Art von Verßen er-
dacht, die ſich vorn und hinten, ja wohl gar auch in der
Mitte reimen, davon man in Menantes gal. Poeſie E-
xempel nachſehen kan. Ein verſtaͤndiger Poet ſieht mit
dem beruͤhmten Ritter Temple,* dem Herrn Alay, als
Urheber der Severambiſchen Hiſtorie, und dem Grafen
Schafftesbury** die Reime als einen Uberreſt der barbari-
ſchen Scythen, Gothen und Celten an; die wir lieber zu
vermindern als zu vermehren Urſache haͤtten. Er reimet
daher in ſeinen Poeſien ſo wenig, als es ſich thun laͤßt, und
goͤnnet den Pegnitz-Schaͤfern den Vorzug alle ihre Sylben

und
* Oeuvres melées, de la Poeſie.
** Characteriſticks of Men Manners and Times.
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[318/0346] Das XII. Capitel. Von Wehr und Waffen ich und von dem Hauptmann ſing, Der Chriſti werthes Grab gar ritterlich erſtritte, Mit Hand und mit Verſtand verrichtet er viel Ding, Jn dem beruͤhmten Sieg er maͤchtig viel erlitte. Die Hoͤll zu daͤmpfen ihn umſonſt ſich unterfieng, Die Heydenſchafft auf ihn umſonſt zuſammen ritte, Dann ſeine Helden er, durchs Himmels Gunſt und Macht, Bey alle Creutz-Panier zuſammen wieder bracht. Die Franzoſen pflegen auſſer in Sonneten und Ringel-Ge- dichten nicht leicht mehr als zwey Zeilen auf einander zu reimen. Jn jenen nehmlich muͤſſen die erſten acht Zeilen nur zweyerley Reime haben, ſo daß vier maͤnnliche und vier weibliche auf einander paſſen. Jm Rondeau aber muͤſſen anfaͤnglich erſt fuͤnf, und hernach acht Zeilen, die aber durch einander gemiſcht werden, einerley Reim haben. Unſre Pro- ſodiſten haben in allen ihren Anleitungen gewieſen, daß es auch bey uns angehe, dergleichen zu machen: Man ſieht aber nicht, daß ſie Liebhaber bey unſern Poeten finden. Es iſt ein entſetzlicher Zwang dabey; denn man muß die Ge- dancken gar zu ſehr nach dieſem kindiſchen Schellen-Klange richten, und endlich kommt doch nur ein Spielwerck her- aus, daran ſich nur kleine Geiſter beluſtigen. Dieſe koͤn- nen der Reime niemahls ſatt werden, und ich glaube, daß man bloß ihnen zu gefallen die feltſame Art von Verßen er- dacht, die ſich vorn und hinten, ja wohl gar auch in der Mitte reimen, davon man in Menantes gal. Poeſie E- xempel nachſehen kan. Ein verſtaͤndiger Poet ſieht mit dem beruͤhmten Ritter Temple, * dem Herrn Alay, als Urheber der Severambiſchen Hiſtorie, und dem Grafen Schafftesbury ** die Reime als einen Uberreſt der barbari- ſchen Scythen, Gothen und Celten an; die wir lieber zu vermindern als zu vermehren Urſache haͤtten. Er reimet daher in ſeinen Poeſien ſo wenig, als es ſich thun laͤßt, und goͤnnet den Pegnitz-Schaͤfern den Vorzug alle ihre Sylben und * Oeuvres melées, de la Poeſie. ** Characteriſticks of Men Manners and Times.

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Zitationshilfe: Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 318. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/346>, abgerufen am 29.05.2024.