brauchen. Es steckt so was grosses darinn, daß es billig nur regierenden Häuptern zukommen kan, die viel zu befeh- len haben. Die Anmerckung ist nöthig, da es allmählig einreissen will, einem jeden halbigten Patron, der offt kei- nen Diener zu beherrschen hat, ein so prächtiges Herr zu- zuruffen.
Am Schlusse der Briefe das Jahr und den Tag mit hineinzukünsteln, ist was kindisches, ohngeachtet es einige neuere aufbringen wollen. Seinen Nahmen in den Reim zu zwingen, ist noch abgeschmackter; denn das Muster da- zu hat Hans Sachs gegeben, der kein Gedicht anders, als damit zu beschliessen pflegt.
An eine besondre künstliche Disposition bindet sich ein Poet in seinen Briefen nicht, vielweniger wird er die Wei- sischen Handgriffe per Antecedens und Consequens nöthig haben. Die Vernunft weiß ihm schon ohne solche Gän- gelwägen, eine natürliche Ordnung der Gedancken an die Hand zu geben. Es muß ohne dem in Briefen was freyes und ungezwungenes seyn, und die Einfälle hängen gemei- niglich so am besten zusammen, wie sie hinter einander ent- standen sind.
Die Schreibart der Briefe ist nicht allemahl gleich. Jn lobenden kan sie prächtig, scharfsinnig und pathetisch, aber doch nicht schwülstig seyn. Jn lustigen ist sie natür- lich und gemein, doch nicht niederträchtig. Jn satirischen kan sie feurig und scharfsinnig, gröstentheils aber natür- lich seyn. Denn das ist zu mercken, daß selten nur einer- ley Schreibart in einem Gedichte allein herrschet. Die Veränderung der Sachen und Gedancken fordert allezeit einen andern Ausdruck, wie man in den Exempeln der be- sten Poeten überall finden wird.
Schlüßlich erinnere ich noch, daß man nicht nur in ei- genem, oder anderer lebendiger Leute Nahmen; sondern auch im Nahmen gewisser eingebildeter oder fabelhaffter Personen, Briefe an jemanden schreiben könne. So hat Neukirch die Aurora an den König in Preußen schreiben lassen. Ja man kan durch die Prosopopöie auch leblosen
Din-
Des II Theils V Capitel
brauchen. Es ſteckt ſo was groſſes darinn, daß es billig nur regierenden Haͤuptern zukommen kan, die viel zu befeh- len haben. Die Anmerckung iſt noͤthig, da es allmaͤhlig einreiſſen will, einem jeden halbigten Patron, der offt kei- nen Diener zu beherrſchen hat, ein ſo praͤchtiges Herr zu- zuruffen.
Am Schluſſe der Briefe das Jahr und den Tag mit hineinzukuͤnſteln, iſt was kindiſches, ohngeachtet es einige neuere aufbringen wollen. Seinen Nahmen in den Reim zu zwingen, iſt noch abgeſchmackter; denn das Muſter da- zu hat Hans Sachs gegeben, der kein Gedicht anders, als damit zu beſchlieſſen pflegt.
An eine beſondre kuͤnſtliche Diſpoſition bindet ſich ein Poet in ſeinen Briefen nicht, vielweniger wird er die Wei- ſiſchen Handgriffe per Antecedens und Conſequens noͤthig haben. Die Vernunft weiß ihm ſchon ohne ſolche Gaͤn- gelwaͤgen, eine natuͤrliche Ordnung der Gedancken an die Hand zu geben. Es muß ohne dem in Briefen was freyes und ungezwungenes ſeyn, und die Einfaͤlle haͤngen gemei- niglich ſo am beſten zuſammen, wie ſie hinter einander ent- ſtanden ſind.
Die Schreibart der Briefe iſt nicht allemahl gleich. Jn lobenden kan ſie praͤchtig, ſcharfſinnig und pathetiſch, aber doch nicht ſchwuͤlſtig ſeyn. Jn luſtigen iſt ſie natuͤr- lich und gemein, doch nicht niedertraͤchtig. Jn ſatiriſchen kan ſie feurig und ſcharfſinnig, groͤſtentheils aber natuͤr- lich ſeyn. Denn das iſt zu mercken, daß ſelten nur einer- ley Schreibart in einem Gedichte allein herrſchet. Die Veraͤnderung der Sachen und Gedancken fordert allezeit einen andern Ausdruck, wie man in den Exempeln der be- ſten Poeten uͤberall finden wird.
Schluͤßlich erinnere ich noch, daß man nicht nur in ei- genem, oder anderer lebendiger Leute Nahmen; ſondern auch im Nahmen gewiſſer eingebildeter oder fabelhaffter Perſonen, Briefe an jemanden ſchreiben koͤnne. So hat Neukirch die Aurora an den Koͤnig in Preußen ſchreiben laſſen. Ja man kan durch die Proſopopoͤie auch lebloſen
Din-
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Des II Theils V Capitel
brauchen. Es ſteckt ſo was groſſes darinn, daß es billig
nur regierenden Haͤuptern zukommen kan, die viel zu befeh-
len haben. Die Anmerckung iſt noͤthig, da es allmaͤhlig
einreiſſen will, einem jeden halbigten Patron, der offt kei-
nen Diener zu beherrſchen hat, ein ſo praͤchtiges Herr zu-
zuruffen.
Am Schluſſe der Briefe das Jahr und den Tag mit
hineinzukuͤnſteln, iſt was kindiſches, ohngeachtet es einige
neuere aufbringen wollen. Seinen Nahmen in den Reim
zu zwingen, iſt noch abgeſchmackter; denn das Muſter da-
zu hat Hans Sachs gegeben, der kein Gedicht anders, als
damit zu beſchlieſſen pflegt.
An eine beſondre kuͤnſtliche Diſpoſition bindet ſich ein
Poet in ſeinen Briefen nicht, vielweniger wird er die Wei-
ſiſchen Handgriffe per Antecedens und Conſequens noͤthig
haben. Die Vernunft weiß ihm ſchon ohne ſolche Gaͤn-
gelwaͤgen, eine natuͤrliche Ordnung der Gedancken an die
Hand zu geben. Es muß ohne dem in Briefen was freyes
und ungezwungenes ſeyn, und die Einfaͤlle haͤngen gemei-
niglich ſo am beſten zuſammen, wie ſie hinter einander ent-
ſtanden ſind.
Die Schreibart der Briefe iſt nicht allemahl gleich.
Jn lobenden kan ſie praͤchtig, ſcharfſinnig und pathetiſch,
aber doch nicht ſchwuͤlſtig ſeyn. Jn luſtigen iſt ſie natuͤr-
lich und gemein, doch nicht niedertraͤchtig. Jn ſatiriſchen
kan ſie feurig und ſcharfſinnig, groͤſtentheils aber natuͤr-
lich ſeyn. Denn das iſt zu mercken, daß ſelten nur einer-
ley Schreibart in einem Gedichte allein herrſchet. Die
Veraͤnderung der Sachen und Gedancken fordert allezeit
einen andern Ausdruck, wie man in den Exempeln der be-
ſten Poeten uͤberall finden wird.
Schluͤßlich erinnere ich noch, daß man nicht nur in ei-
genem, oder anderer lebendiger Leute Nahmen; ſondern
auch im Nahmen gewiſſer eingebildeter oder fabelhaffter
Perſonen, Briefe an jemanden ſchreiben koͤnne. So hat
Neukirch die Aurora an den Koͤnig in Preußen ſchreiben
laſſen. Ja man kan durch die Proſopopoͤie auch lebloſen
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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 440. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/468>, abgerufen am 22.11.2024.
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