Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.

Bild:
<< vorherige Seite

Von poetischen Sendschreiben.
Dingen Briefe andichten, wenn es zu gewissen Absichten
dienlich seyn könnte. Nun folgen etliche Exempel von mei-
ner Arbeit.

I. Schreiben
An Jhre Königl. Maj. in Pohlen und Churfl. Durchl.
zu Sachsen 1727. in fremdem Nahmen.
ZWey Jahre sind es Herr, als dein betrübtes Land
Sonst nichts so Schmertzens-voll als deinen Abscheid fand:
Als Sachsen, voller Neid, auf Pohlens großes Glücke,
Mit einem traurigen, doch eifervollen Blicke,
Dich, seine Gräntzen zwar, doch nicht zugleich sein Hertz
Zurücke lassen sah. O welch ein herber Schmertz
Erfüllte da die Brust bestürtzter Unterthanen!
Man sah dir thränend nach, es schien uns fast zu ahnen:
Der Abscheid unsers Haupts wird mehr als jährig seyn.
Und nichts traf leider! mehr, als dieser Kummer ein.
Sarmatien war froh, sobald sein Wunsch geschehen,
Was ließ dein Warschau nicht vor Freuden-Zeichen sehen?
Und wie empfieng dein Volck mit tausendfacher Lust,
Sein Königliches Haupt, dich, gnädigster August.
Wie zarte Kinder sonst, mit unverstellten Thränen,
Sich nach der Gegenwart entfernter Mütter sehnen,
Und wenn der Tag erscheint, der ihren Wunsch erfüllt,
Der all ihr Kümmerniß und all ihr Seufzen stillt,
Sich voller Zärtlichkeit nach ihren Armen dringen,
Und lächlend Brust und Hals mit Mund und Hand umschlingen:
So sehnte sich vorher dein weitgestrecktes Reich,
So fand sich, da du kamst, die alte Lust zugleich;
Der Adel und das Volck gieng dir mit Lust entgegen,
Die Fürsten jauchzeten bloß deiner Ankunft wegen.
Wer die Regierungs-Last nicht recht begreifen kan,
Der sehe dich allhier in deinem Pohlen an;
Wo der Geschäffte Zahl sich jeden Tag vermehrte,
Und wo das Regiment dir alle Ruhe störte.
Die Sorgfalt, die du stets vor deine Länder trägst,
So willig, so getreu ins Werck zu richten pflegst:
Daß niemand zweifeln darf, ob auch bey deiner Krone,
Mehr Arbeit oder Lust, mehr Last als Ruhe wohne?
Die Sorgfalt, sag ich, Herr, macht dich gedoppelt groß;
Wenn so viel Völcker sich, in deinen Gnaden-Schooß,
Was ihre Seelen kränckt, bemühen auszuschütten,
Und niemahls dich umsonst um Schutz und Hülfe bitten.
So
E e 5

Von poetiſchen Sendſchreiben.
Dingen Briefe andichten, wenn es zu gewiſſen Abſichten
dienlich ſeyn koͤnnte. Nun folgen etliche Exempel von mei-
ner Arbeit.

I. Schreiben
An Jhre Koͤnigl. Maj. in Pohlen und Churfl. Durchl.
zu Sachſen 1727. in fremdem Nahmen.
ZWey Jahre ſind es Herr, als dein betruͤbtes Land
Sonſt nichts ſo Schmertzens-voll als deinen Abſcheid fand:
Als Sachſen, voller Neid, auf Pohlens großes Gluͤcke,
Mit einem traurigen, doch eifervollen Blicke,
Dich, ſeine Graͤntzen zwar, doch nicht zugleich ſein Hertz
Zuruͤcke laſſen ſah. O welch ein herber Schmertz
Erfuͤllte da die Bruſt beſtuͤrtzter Unterthanen!
Man ſah dir thraͤnend nach, es ſchien uns faſt zu ahnen:
Der Abſcheid unſers Haupts wird mehr als jaͤhrig ſeyn.
Und nichts traf leider! mehr, als dieſer Kummer ein.
Sarmatien war froh, ſobald ſein Wunſch geſchehen,
Was ließ dein Warſchau nicht vor Freuden-Zeichen ſehen?
Und wie empfieng dein Volck mit tauſendfacher Luſt,
Sein Koͤnigliches Haupt, dich, gnaͤdigſter Auguſt.
Wie zarte Kinder ſonſt, mit unverſtellten Thraͤnen,
Sich nach der Gegenwart entfernter Muͤtter ſehnen,
Und wenn der Tag erſcheint, der ihren Wunſch erfuͤllt,
Der all ihr Kuͤmmerniß und all ihr Seufzen ſtillt,
Sich voller Zaͤrtlichkeit nach ihren Armen dringen,
Und laͤchlend Bruſt und Hals mit Mund und Hand umſchlingen:
So ſehnte ſich vorher dein weitgeſtrecktes Reich,
So fand ſich, da du kamſt, die alte Luſt zugleich;
Der Adel und das Volck gieng dir mit Luſt entgegen,
Die Fuͤrſten jauchzeten bloß deiner Ankunft wegen.
Wer die Regierungs-Laſt nicht recht begreifen kan,
Der ſehe dich allhier in deinem Pohlen an;
Wo der Geſchaͤffte Zahl ſich jeden Tag vermehrte,
Und wo das Regiment dir alle Ruhe ſtoͤrte.
Die Sorgfalt, die du ſtets vor deine Laͤnder traͤgſt,
So willig, ſo getreu ins Werck zu richten pflegſt:
Daß niemand zweifeln darf, ob auch bey deiner Krone,
Mehr Arbeit oder Luſt, mehr Laſt als Ruhe wohne?
Die Sorgfalt, ſag ich, Herr, macht dich gedoppelt groß;
Wenn ſo viel Voͤlcker ſich, in deinen Gnaden-Schooß,
Was ihre Seelen kraͤnckt, bemuͤhen auszuſchuͤtten,
Und niemahls dich umſonſt um Schutz und Huͤlfe bitten.
So
E e 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0469" n="441"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Von poeti&#x017F;chen Send&#x017F;chreiben.</hi></fw><lb/>
Dingen Briefe andichten, wenn es zu gewi&#x017F;&#x017F;en Ab&#x017F;ichten<lb/>
dienlich &#x017F;eyn ko&#x0364;nnte. Nun folgen etliche Exempel von mei-<lb/>
ner Arbeit.</p><lb/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#aq">I.</hi> <hi rendition="#b">Schreiben<lb/>
An Jhre Ko&#x0364;nigl. Maj. in Pohlen und Churfl. Durchl.<lb/>
zu Sach&#x017F;en 1727. in fremdem Nahmen.</hi> </head><lb/>
            <lg type="poem">
              <lg n="1">
                <l><hi rendition="#in">Z</hi>Wey Jahre &#x017F;ind es Herr, als dein betru&#x0364;btes Land</l><lb/>
                <l>Son&#x017F;t nichts &#x017F;o Schmertzens-voll als deinen Ab&#x017F;cheid fand:</l><lb/>
                <l>Als Sach&#x017F;en, voller Neid, auf Pohlens großes Glu&#x0364;cke,</l><lb/>
                <l>Mit einem traurigen, doch eifervollen Blicke,</l><lb/>
                <l>Dich, &#x017F;eine Gra&#x0364;ntzen zwar, doch nicht zugleich &#x017F;ein Hertz</l><lb/>
                <l>Zuru&#x0364;cke la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ah. O welch ein herber Schmertz</l><lb/>
                <l>Erfu&#x0364;llte da die Bru&#x017F;t be&#x017F;tu&#x0364;rtzter Unterthanen!</l><lb/>
                <l>Man &#x017F;ah dir thra&#x0364;nend nach, es &#x017F;chien uns fa&#x017F;t zu ahnen:</l><lb/>
                <l>Der Ab&#x017F;cheid un&#x017F;ers Haupts wird mehr als ja&#x0364;hrig &#x017F;eyn.</l><lb/>
                <l>Und nichts traf leider! mehr, als die&#x017F;er Kummer ein.</l>
              </lg><lb/>
              <lg n="2">
                <l>Sarmatien war froh, &#x017F;obald &#x017F;ein Wun&#x017F;ch ge&#x017F;chehen,</l><lb/>
                <l>Was ließ dein War&#x017F;chau nicht vor Freuden-Zeichen &#x017F;ehen?</l><lb/>
                <l>Und wie empfieng dein Volck mit tau&#x017F;endfacher Lu&#x017F;t,</l><lb/>
                <l>Sein Ko&#x0364;nigliches Haupt, dich, gna&#x0364;dig&#x017F;ter Augu&#x017F;t.</l><lb/>
                <l>Wie zarte Kinder &#x017F;on&#x017F;t, mit unver&#x017F;tellten Thra&#x0364;nen,</l><lb/>
                <l>Sich nach der Gegenwart entfernter Mu&#x0364;tter &#x017F;ehnen,</l><lb/>
                <l>Und wenn der Tag er&#x017F;cheint, der ihren Wun&#x017F;ch erfu&#x0364;llt,</l><lb/>
                <l>Der all ihr Ku&#x0364;mmerniß und all ihr Seufzen &#x017F;tillt,</l><lb/>
                <l>Sich voller Za&#x0364;rtlichkeit nach ihren Armen dringen,</l><lb/>
                <l>Und la&#x0364;chlend Bru&#x017F;t und Hals mit Mund und Hand um&#x017F;chlingen:</l><lb/>
                <l>So &#x017F;ehnte &#x017F;ich vorher dein weitge&#x017F;trecktes Reich,</l><lb/>
                <l>So fand &#x017F;ich, da du kam&#x017F;t, die alte Lu&#x017F;t zugleich;</l><lb/>
                <l>Der Adel und das Volck gieng dir mit Lu&#x017F;t entgegen,</l><lb/>
                <l>Die Fu&#x0364;r&#x017F;ten jauchzeten bloß deiner Ankunft wegen.</l>
              </lg><lb/>
              <lg n="3">
                <l>Wer die Regierungs-La&#x017F;t nicht recht begreifen kan,</l><lb/>
                <l>Der &#x017F;ehe dich allhier in deinem Pohlen an;</l><lb/>
                <l>Wo der Ge&#x017F;cha&#x0364;ffte Zahl &#x017F;ich jeden Tag vermehrte,</l><lb/>
                <l>Und wo das Regiment dir alle Ruhe &#x017F;to&#x0364;rte.</l><lb/>
                <l>Die Sorgfalt, die du &#x017F;tets vor deine La&#x0364;nder tra&#x0364;g&#x017F;t,</l><lb/>
                <l>So willig, &#x017F;o getreu ins Werck zu richten pfleg&#x017F;t:</l><lb/>
                <l>Daß niemand zweifeln darf, ob auch bey deiner Krone,</l><lb/>
                <l>Mehr Arbeit oder Lu&#x017F;t, mehr La&#x017F;t als Ruhe wohne?</l><lb/>
                <l>Die Sorgfalt, &#x017F;ag ich, Herr, macht dich gedoppelt groß;</l><lb/>
                <l>Wenn &#x017F;o viel Vo&#x0364;lcker &#x017F;ich, in deinen Gnaden-Schooß,</l><lb/>
                <l>Was ihre Seelen kra&#x0364;nckt, bemu&#x0364;hen auszu&#x017F;chu&#x0364;tten,</l><lb/>
                <l>Und niemahls dich um&#x017F;on&#x017F;t um Schutz und Hu&#x0364;lfe bitten.<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">E e 5</fw><fw place="bottom" type="catch">So</fw><lb/></l>
              </lg>
            </lg>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[441/0469] Von poetiſchen Sendſchreiben. Dingen Briefe andichten, wenn es zu gewiſſen Abſichten dienlich ſeyn koͤnnte. Nun folgen etliche Exempel von mei- ner Arbeit. I. Schreiben An Jhre Koͤnigl. Maj. in Pohlen und Churfl. Durchl. zu Sachſen 1727. in fremdem Nahmen. ZWey Jahre ſind es Herr, als dein betruͤbtes Land Sonſt nichts ſo Schmertzens-voll als deinen Abſcheid fand: Als Sachſen, voller Neid, auf Pohlens großes Gluͤcke, Mit einem traurigen, doch eifervollen Blicke, Dich, ſeine Graͤntzen zwar, doch nicht zugleich ſein Hertz Zuruͤcke laſſen ſah. O welch ein herber Schmertz Erfuͤllte da die Bruſt beſtuͤrtzter Unterthanen! Man ſah dir thraͤnend nach, es ſchien uns faſt zu ahnen: Der Abſcheid unſers Haupts wird mehr als jaͤhrig ſeyn. Und nichts traf leider! mehr, als dieſer Kummer ein. Sarmatien war froh, ſobald ſein Wunſch geſchehen, Was ließ dein Warſchau nicht vor Freuden-Zeichen ſehen? Und wie empfieng dein Volck mit tauſendfacher Luſt, Sein Koͤnigliches Haupt, dich, gnaͤdigſter Auguſt. Wie zarte Kinder ſonſt, mit unverſtellten Thraͤnen, Sich nach der Gegenwart entfernter Muͤtter ſehnen, Und wenn der Tag erſcheint, der ihren Wunſch erfuͤllt, Der all ihr Kuͤmmerniß und all ihr Seufzen ſtillt, Sich voller Zaͤrtlichkeit nach ihren Armen dringen, Und laͤchlend Bruſt und Hals mit Mund und Hand umſchlingen: So ſehnte ſich vorher dein weitgeſtrecktes Reich, So fand ſich, da du kamſt, die alte Luſt zugleich; Der Adel und das Volck gieng dir mit Luſt entgegen, Die Fuͤrſten jauchzeten bloß deiner Ankunft wegen. Wer die Regierungs-Laſt nicht recht begreifen kan, Der ſehe dich allhier in deinem Pohlen an; Wo der Geſchaͤffte Zahl ſich jeden Tag vermehrte, Und wo das Regiment dir alle Ruhe ſtoͤrte. Die Sorgfalt, die du ſtets vor deine Laͤnder traͤgſt, So willig, ſo getreu ins Werck zu richten pflegſt: Daß niemand zweifeln darf, ob auch bey deiner Krone, Mehr Arbeit oder Luſt, mehr Laſt als Ruhe wohne? Die Sorgfalt, ſag ich, Herr, macht dich gedoppelt groß; Wenn ſo viel Voͤlcker ſich, in deinen Gnaden-Schooß, Was ihre Seelen kraͤnckt, bemuͤhen auszuſchuͤtten, Und niemahls dich umſonſt um Schutz und Huͤlfe bitten. So E e 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/469
Zitationshilfe: Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 441. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/469>, abgerufen am 22.11.2024.