Zum 3.) aber ist es vor den Poeten mehrentheils gar zu gefährlich, sonderlich wenn es vornehme Leute sind. Wie- wohl diesem Ubel vorzubeugen ist auch denn kein Mittel, wenn man gleich erdichtete Nahmen braucht. Die En- geländer bedienen sich der Art, den ersten und letzten Buch- staben, ja wohl gantze Sylben davon auszudrucken, und den Zwischenraum mit ein paar Strichen auszufüllen. Denn nach ihren Gesetzen sind sie nicht eher straffällig, als bis sie den ganzen Nahmen hingesetzet. Man mag es aber machen, wie man will; so ist der Unwillen der Getroffenen nicht zu vermeiden: und wer den nicht erdulden kan, der muß sich entweder mit keiner Satire ans Licht wagen; oder doch nur solche Laster beschreiben, die kein Mensch begeht. Das heist, eine vergebliche Arbeit thun.
Die Art von Verßen, so man zu Satiren brauchet, ist bey uns die lange jambische mit ungetrennten Reimen. Diese kömmt den Griechischen Jamben näher, als die La- teinischen Alexandrinischen Verße. Wir haben auch nur den einzigen Harpax von Canitzen, und irgend ein paar von Günthers Satiren, die in verschrenckten Reimen nach Art der Elegien gemacht sind. Die Satirische Schreib- art aber, welches die natürlichste und ungezwungenste von der Welt seyn muß, wie Horatz vielmahls erinnert hat, erfordert eine gewisse Freyheit, die sich vor jene Art am allerbesten, vor diese aber gar nicht schicket.
Jch kan nicht umhin, auch hier, wie schon etlichemahl geschehen, des Boileau Gedancken von der Satire anzu- führen: dem der Herr von Valincourt so wohl, in einer Rede, so er nach dessen Tode in der Französischen Acade- mie gehalten; als der Herr Maizeau in der Lebens-Beschrei- bung desselben das Zeugniß gegeben, daß ihn sein rechtschaf- fenes Tugend- und Ehr-liebendes Gemüth zum Satirico gemacht. Er beschreibt uns auch die Satire nicht anders:
L'ardeur de se montrer, & non pas de medire, Arma la Verite du Vers de la Satire. Lucile le premier osa la faire voir, Aux vices des Romains presenta le miroir,
Vengea
Des II Theils VI Capitel
Zum 3.) aber iſt es vor den Poeten mehrentheils gar zu gefaͤhrlich, ſonderlich wenn es vornehme Leute ſind. Wie- wohl dieſem Ubel vorzubeugen iſt auch denn kein Mittel, wenn man gleich erdichtete Nahmen braucht. Die En- gelaͤnder bedienen ſich der Art, den erſten und letzten Buch- ſtaben, ja wohl gantze Sylben davon auszudrucken, und den Zwiſchenraum mit ein paar Strichen auszufuͤllen. Denn nach ihren Geſetzen ſind ſie nicht eher ſtraffaͤllig, als bis ſie den ganzen Nahmen hingeſetzet. Man mag es aber machen, wie man will; ſo iſt der Unwillen der Getroffenen nicht zu vermeiden: und wer den nicht erdulden kan, der muß ſich entweder mit keiner Satire ans Licht wagen; oder doch nur ſolche Laſter beſchreiben, die kein Menſch begeht. Das heiſt, eine vergebliche Arbeit thun.
Die Art von Verßen, ſo man zu Satiren brauchet, iſt bey uns die lange jambiſche mit ungetrennten Reimen. Dieſe koͤmmt den Griechiſchen Jamben naͤher, als die La- teiniſchen Alexandriniſchen Verße. Wir haben auch nur den einzigen Harpax von Canitzen, und irgend ein paar von Guͤnthers Satiren, die in verſchrenckten Reimen nach Art der Elegien gemacht ſind. Die Satiriſche Schreib- art aber, welches die natuͤrlichſte und ungezwungenſte von der Welt ſeyn muß, wie Horatz vielmahls erinnert hat, erfordert eine gewiſſe Freyheit, die ſich vor jene Art am allerbeſten, vor dieſe aber gar nicht ſchicket.
Jch kan nicht umhin, auch hier, wie ſchon etlichemahl geſchehen, des Boileau Gedancken von der Satire anzu- fuͤhren: dem der Herr von Valincourt ſo wohl, in einer Rede, ſo er nach deſſen Tode in der Franzoͤſiſchen Acade- mie gehalten; als der Herr Maizeau in der Lebens-Beſchrei- bung deſſelben das Zeugniß gegeben, daß ihn ſein rechtſchaf- fenes Tugend- und Ehr-liebendes Gemuͤth zum Satirico gemacht. Er beſchreibt uns auch die Satire nicht anders:
L’ardeur de ſe montrer, & non pas de medire, Arma la Verité du Vers de la Satire. Lucile le premier oſa la faire voir, Aux vices des Romains preſenta le miroir,
Vengea
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Des II Theils VI Capitel
Zum 3.) aber iſt es vor den Poeten mehrentheils gar zu
gefaͤhrlich, ſonderlich wenn es vornehme Leute ſind. Wie-
wohl dieſem Ubel vorzubeugen iſt auch denn kein Mittel,
wenn man gleich erdichtete Nahmen braucht. Die En-
gelaͤnder bedienen ſich der Art, den erſten und letzten Buch-
ſtaben, ja wohl gantze Sylben davon auszudrucken, und
den Zwiſchenraum mit ein paar Strichen auszufuͤllen.
Denn nach ihren Geſetzen ſind ſie nicht eher ſtraffaͤllig, als
bis ſie den ganzen Nahmen hingeſetzet. Man mag es aber
machen, wie man will; ſo iſt der Unwillen der Getroffenen
nicht zu vermeiden: und wer den nicht erdulden kan, der
muß ſich entweder mit keiner Satire ans Licht wagen; oder
doch nur ſolche Laſter beſchreiben, die kein Menſch begeht.
Das heiſt, eine vergebliche Arbeit thun.
Die Art von Verßen, ſo man zu Satiren brauchet,
iſt bey uns die lange jambiſche mit ungetrennten Reimen.
Dieſe koͤmmt den Griechiſchen Jamben naͤher, als die La-
teiniſchen Alexandriniſchen Verße. Wir haben auch nur
den einzigen Harpax von Canitzen, und irgend ein paar
von Guͤnthers Satiren, die in verſchrenckten Reimen nach
Art der Elegien gemacht ſind. Die Satiriſche Schreib-
art aber, welches die natuͤrlichſte und ungezwungenſte von
der Welt ſeyn muß, wie Horatz vielmahls erinnert hat,
erfordert eine gewiſſe Freyheit, die ſich vor jene Art am
allerbeſten, vor dieſe aber gar nicht ſchicket.
Jch kan nicht umhin, auch hier, wie ſchon etlichemahl
geſchehen, des Boileau Gedancken von der Satire anzu-
fuͤhren: dem der Herr von Valincourt ſo wohl, in einer
Rede, ſo er nach deſſen Tode in der Franzoͤſiſchen Acade-
mie gehalten; als der Herr Maizeau in der Lebens-Beſchrei-
bung deſſelben das Zeugniß gegeben, daß ihn ſein rechtſchaf-
fenes Tugend- und Ehr-liebendes Gemuͤth zum Satirico
gemacht. Er beſchreibt uns auch die Satire nicht anders:
L’ardeur de ſe montrer, & non pas de medire,
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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 464. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/492>, abgerufen am 22.11.2024.
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