Jhr Geifer kan nicht hafften, Die Unschuld bleibt in ihren Eigenschafften, Sie sollen mich in solcher Blüte sehn, Daß ihnen noch die Augen wässern sollen. Und das soll bald geschehn. Denn wenn mich erst die Läster-Zungen stechen, So fang ich erstlich an mich recht herfürzubrechen.
Hier sehen wir, daß gar eine Zeile ungereimt geblieben; und das steht überall frey; muß auch bey den ungeraden Zeilen nothwendig geschehen, wo man nicht drey auf ein- ander reimen will: welches aber auch unverboten ist. So leicht aber ein solch Madrigal zu seyn scheint: so sehr muß man sich sonst bemühen, den Jnhalt desto nachdrücklicher und artiger zu machen. Bey der Gelegenheit kan ich nicht umhin, ein lustiges Exempel einzurücken, so jemand nach Art des in Leipzig und Sachsen sehr bekannten Ranisii, dessen in Philanders Unterredung von der Poesie gedacht wird, verfertiget hat, und mir dieser Tage auf einem alten Pa- piere in die Hände gefallen. Es heißt:
Schluß-Reim-Confect.
Affaires a Vous Sagesse, Apollo ist nicht böß Ars liegt nicht an der Größ Schweig Lud'r, erwirbest Stöß. Don Ami deine Würd wohlgelingen, Kirch-Saul Schul son bon davon bringen, Prob-Silber, Kopf-Riß, Hauf-Getümmel? Tobies Trost sans facon behüt euch Himmel!
[Spaltenumbruch]
Leipzig aldar den 4 Februar. Hornungs-Monat. [Spaltenumbruch]
Mithin gewünscht zu haben A. B. C. X. Y. Z. P. L.
Jch komme auf das Sonnet, welches unter den Sinn- gedichten keinen geringen Platz verdienet, weil es so schwer zu machen ist. Es ist in der That gerade das Wiederspiel des Madrigals. Alles was dort frey war, ist hier gebun- den; die Zahl und Länge der Zeilen, die Anzahl und Verwechselung der Reime, die Stellen, wo sich der Ver- stand allemahl schliessen muß, u. s. w. Es muß gerade aus
vier-
H h 4
Von Sinn- und Schertzgedichten.
Jhr Geifer kan nicht hafften, Die Unſchuld bleibt in ihren Eigenſchafften, Sie ſollen mich in ſolcher Bluͤte ſehn, Daß ihnen noch die Augen waͤſſern ſollen. Und das ſoll bald geſchehn. Denn wenn mich erſt die Laͤſter-Zungen ſtechen, So fang ich erſtlich an mich recht herfuͤrzubrechen.
Hier ſehen wir, daß gar eine Zeile ungereimt geblieben; und das ſteht uͤberall frey; muß auch bey den ungeraden Zeilen nothwendig geſchehen, wo man nicht drey auf ein- ander reimen will: welches aber auch unverboten iſt. So leicht aber ein ſolch Madrigal zu ſeyn ſcheint: ſo ſehr muß man ſich ſonſt bemuͤhen, den Jnhalt deſto nachdruͤcklicher und artiger zu machen. Bey der Gelegenheit kan ich nicht umhin, ein luſtiges Exempel einzuruͤcken, ſo jemand nach Art des in Leipzig und Sachſen ſehr bekannten Raniſii, deſſen in Philanders Unterredung von der Poeſie gedacht wird, verfertiget hat, und mir dieſer Tage auf einem alten Pa- piere in die Haͤnde gefallen. Es heißt:
Schluß-Reim-Confect.
Affaires a Vous Sageſſe, Apollo iſt nicht boͤß Ars liegt nicht an der Groͤß Schweig Lud’r, erwirbeſt Stoͤß. Don Ami deine Wuͤrd wohlgelingen, Kirch-Saul Schul ſon bon davon bringen, Prob-Silber, Kopf-Riß, Hauf-Getuͤmmel? Tobies Troſt ſans façon behuͤt euch Himmel!
[Spaltenumbruch]
Leipzig aldar den 4 Februar. Hornungs-Monat. [Spaltenumbruch]
Mithin gewuͤnſcht zu haben A. B. C. X. Y. Z. P. L.
Jch komme auf das Sonnet, welches unter den Sinn- gedichten keinen geringen Platz verdienet, weil es ſo ſchwer zu machen iſt. Es iſt in der That gerade das Wiederſpiel des Madrigals. Alles was dort frey war, iſt hier gebun- den; die Zahl und Laͤnge der Zeilen, die Anzahl und Verwechſelung der Reime, die Stellen, wo ſich der Ver- ſtand allemahl ſchlieſſen muß, u. ſ. w. Es muß gerade aus
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Von Sinn- und Schertzgedichten.
Jhr Geifer kan nicht hafften,
Die Unſchuld bleibt in ihren Eigenſchafften,
Sie ſollen mich in ſolcher Bluͤte ſehn,
Daß ihnen noch die Augen waͤſſern ſollen.
Und das ſoll bald geſchehn.
Denn wenn mich erſt die Laͤſter-Zungen ſtechen,
So fang ich erſtlich an mich recht herfuͤrzubrechen.
Hier ſehen wir, daß gar eine Zeile ungereimt geblieben;
und das ſteht uͤberall frey; muß auch bey den ungeraden
Zeilen nothwendig geſchehen, wo man nicht drey auf ein-
ander reimen will: welches aber auch unverboten iſt. So
leicht aber ein ſolch Madrigal zu ſeyn ſcheint: ſo ſehr muß
man ſich ſonſt bemuͤhen, den Jnhalt deſto nachdruͤcklicher
und artiger zu machen. Bey der Gelegenheit kan ich nicht
umhin, ein luſtiges Exempel einzuruͤcken, ſo jemand nach Art
des in Leipzig und Sachſen ſehr bekannten Raniſii, deſſen
in Philanders Unterredung von der Poeſie gedacht wird,
verfertiget hat, und mir dieſer Tage auf einem alten Pa-
piere in die Haͤnde gefallen. Es heißt:
Schluß-Reim-Confect.
Affaires a Vous Sageſſe,
Apollo iſt nicht boͤß
Ars liegt nicht an der Groͤß
Schweig Lud’r, erwirbeſt Stoͤß.
Don Ami deine Wuͤrd wohlgelingen,
Kirch-Saul Schul ſon bon davon bringen,
Prob-Silber, Kopf-Riß, Hauf-Getuͤmmel?
Tobies Troſt ſans façon behuͤt euch Himmel!
Leipzig aldar den 4 Februar.
Hornungs-Monat.
Mithin gewuͤnſcht zu haben
A. B. C. X. Y. Z.
P. L.
Jch komme auf das Sonnet, welches unter den Sinn-
gedichten keinen geringen Platz verdienet, weil es ſo ſchwer
zu machen iſt. Es iſt in der That gerade das Wiederſpiel
des Madrigals. Alles was dort frey war, iſt hier gebun-
den; die Zahl und Laͤnge der Zeilen, die Anzahl und
Verwechſelung der Reime, die Stellen, wo ſich der Ver-
ſtand allemahl ſchlieſſen muß, u. ſ. w. Es muß gerade aus
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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 487. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/515>, abgerufen am 22.11.2024.
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