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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.

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Von dogmatischen Poesien.
Die Großmuth störte sie, und winckte mit der Hand,
Gantz recht! das war ihr Wort, dieß ist der Welt bekannt:
Allein wer kennt auch nicht sein Königlich Gemüthe,
Und die mit Huld und Ernst gemischte Vater-Güte?
Jm Felde schrecklich seyn, ist auch Tyrannen leicht:
Doch wenn der Frevler selbst die Waffen überreicht,
Und flehend Gnade sucht, alsdann die Schuld vergeben,
Jst mehr, als Feind, Gefahr und Unglück überstreben.
Und doch kan dieß August. Empörung, Hochverrath,
Und was die Boßheit sonst vor manche Frevelthat
Durch List und Macht verübt; wiewohl ihrs nie gelungen,
Das alles hat er offt durch Gütigkeit bezwungen.
Der Aufruhr schämt sich noch, wenn er verwirrt bedenckt,
Wie gnädig ihm der Held den starren Hals geschenckt,
Den er so frech verwirckt. Und dieser Großmuth Proben
Sind zweifelsfrey weit mehr, als Tapferkeit zu loben.
Sie schwieg und wich zurück: die Gnade trat hervor,
O Weisheit! gönne doch auch mir ein offnes Ohr,
So fieng ihr Vortrag an, und laß die hellen Sinnen
Durch meinen Vorzug bloß bewegen und gewinnen.
Das Recht erfodert es: des Helden Gütigkeit,
Darüber Volck und Laud und Bürger sich erfreut,
Die Freund und Fremder lobt, die auch sein Feind bekennet,
Verdient es, daß man sie die Fürsten-Tugend nennet.
Der Titus unsrer Zeit, der Unterthanen Lust,
Verbirgt ein Mutter-Hertz in seiner Vater-Brust.
Der Jammer, den er sieht, erwecket sein Erbarmen:
Drum wo er sich nur zeigt, da freuen sich die Armen.
Wo hat man je gehört, daß ihm die Noth gefiel?
Sein Land beglückt zu sehn, das ist sein Zweck und Ziel;
Sein Volck vergnügt zu sehn, da pflegt er nichts zu sparen,
Wie Sachsen danckbar zeugt, und Pohlen offt erfahren.
Gleich rief die Mildigkeit, dies Lob gehört vor mich,
Das Wohlthun ist bey ihm weit mehr als väterlich,
Er füllt die Kasten nicht, er füllt der Bürger Hände,
Als wenn er selbst die Last der Dürftigkeit empfände.
Der ist verhaßt bey ihm, der Geitz und Wucher übt,
Er zehlt nur was er nimmt, nicht was er schenckt und giebt,
Und wäre nie so froh, als wenn ihm GOtt vergönnte,
Daß er stets gnädig seyn, stets Wohlthat üben könnte.
Wo
Von dogmatiſchen Poeſien.
Die Großmuth ſtoͤrte ſie, und winckte mit der Hand,
Gantz recht! das war ihr Wort, dieß iſt der Welt bekannt:
Allein wer kennt auch nicht ſein Koͤniglich Gemuͤthe,
Und die mit Huld und Ernſt gemiſchte Vater-Guͤte?
Jm Felde ſchrecklich ſeyn, iſt auch Tyrannen leicht:
Doch wenn der Frevler ſelbſt die Waffen uͤberreicht,
Und flehend Gnade ſucht, alsdann die Schuld vergeben,
Jſt mehr, als Feind, Gefahr und Ungluͤck uͤberſtreben.
Und doch kan dieß Auguſt. Empoͤrung, Hochverrath,
Und was die Boßheit ſonſt vor manche Frevelthat
Durch Liſt und Macht veruͤbt; wiewohl ihrs nie gelungen,
Das alles hat er offt durch Guͤtigkeit bezwungen.
Der Aufruhr ſchaͤmt ſich noch, wenn er verwirrt bedenckt,
Wie gnaͤdig ihm der Held den ſtarren Hals geſchenckt,
Den er ſo frech verwirckt. Und dieſer Großmuth Proben
Sind zweifelsfrey weit mehr, als Tapferkeit zu loben.
Sie ſchwieg und wich zuruͤck: die Gnade trat hervor,
O Weisheit! goͤnne doch auch mir ein offnes Ohr,
So fieng ihr Vortrag an, und laß die hellen Sinnen
Durch meinen Vorzug bloß bewegen und gewinnen.
Das Recht erfodert es: des Helden Guͤtigkeit,
Daruͤber Volck und Laud und Buͤrger ſich erfreut,
Die Freund und Fremder lobt, die auch ſein Feind bekennet,
Verdient es, daß man ſie die Fuͤrſten-Tugend nennet.
Der Titus unſrer Zeit, der Unterthanen Luſt,
Verbirgt ein Mutter-Hertz in ſeiner Vater-Bruſt.
Der Jammer, den er ſieht, erwecket ſein Erbarmen:
Drum wo er ſich nur zeigt, da freuen ſich die Armen.
Wo hat man je gehoͤrt, daß ihm die Noth gefiel?
Sein Land begluͤckt zu ſehn, das iſt ſein Zweck und Ziel;
Sein Volck vergnuͤgt zu ſehn, da pflegt er nichts zu ſparen,
Wie Sachſen danckbar zeugt, und Pohlen offt erfahren.
Gleich rief die Mildigkeit, dies Lob gehoͤrt vor mich,
Das Wohlthun iſt bey ihm weit mehr als vaͤterlich,
Er fuͤllt die Kaſten nicht, er fuͤllt der Buͤrger Haͤnde,
Als wenn er ſelbſt die Laſt der Duͤrftigkeit empfaͤnde.
Der iſt verhaßt bey ihm, der Geitz und Wucher uͤbt,
Er zehlt nur was er nimmt, nicht was er ſchenckt und giebt,
Und waͤre nie ſo froh, als wenn ihm GOtt vergoͤnnte,
Daß er ſtets gnaͤdig ſeyn, ſtets Wohlthat uͤben koͤnnte.
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[525/0553] Von dogmatiſchen Poeſien. Die Großmuth ſtoͤrte ſie, und winckte mit der Hand, Gantz recht! das war ihr Wort, dieß iſt der Welt bekannt: Allein wer kennt auch nicht ſein Koͤniglich Gemuͤthe, Und die mit Huld und Ernſt gemiſchte Vater-Guͤte? Jm Felde ſchrecklich ſeyn, iſt auch Tyrannen leicht: Doch wenn der Frevler ſelbſt die Waffen uͤberreicht, Und flehend Gnade ſucht, alsdann die Schuld vergeben, Jſt mehr, als Feind, Gefahr und Ungluͤck uͤberſtreben. Und doch kan dieß Auguſt. Empoͤrung, Hochverrath, Und was die Boßheit ſonſt vor manche Frevelthat Durch Liſt und Macht veruͤbt; wiewohl ihrs nie gelungen, Das alles hat er offt durch Guͤtigkeit bezwungen. Der Aufruhr ſchaͤmt ſich noch, wenn er verwirrt bedenckt, Wie gnaͤdig ihm der Held den ſtarren Hals geſchenckt, Den er ſo frech verwirckt. Und dieſer Großmuth Proben Sind zweifelsfrey weit mehr, als Tapferkeit zu loben. Sie ſchwieg und wich zuruͤck: die Gnade trat hervor, O Weisheit! goͤnne doch auch mir ein offnes Ohr, So fieng ihr Vortrag an, und laß die hellen Sinnen Durch meinen Vorzug bloß bewegen und gewinnen. Das Recht erfodert es: des Helden Guͤtigkeit, Daruͤber Volck und Laud und Buͤrger ſich erfreut, Die Freund und Fremder lobt, die auch ſein Feind bekennet, Verdient es, daß man ſie die Fuͤrſten-Tugend nennet. Der Titus unſrer Zeit, der Unterthanen Luſt, Verbirgt ein Mutter-Hertz in ſeiner Vater-Bruſt. Der Jammer, den er ſieht, erwecket ſein Erbarmen: Drum wo er ſich nur zeigt, da freuen ſich die Armen. Wo hat man je gehoͤrt, daß ihm die Noth gefiel? Sein Land begluͤckt zu ſehn, das iſt ſein Zweck und Ziel; Sein Volck vergnuͤgt zu ſehn, da pflegt er nichts zu ſparen, Wie Sachſen danckbar zeugt, und Pohlen offt erfahren. Gleich rief die Mildigkeit, dies Lob gehoͤrt vor mich, Das Wohlthun iſt bey ihm weit mehr als vaͤterlich, Er fuͤllt die Kaſten nicht, er fuͤllt der Buͤrger Haͤnde, Als wenn er ſelbſt die Laſt der Duͤrftigkeit empfaͤnde. Der iſt verhaßt bey ihm, der Geitz und Wucher uͤbt, Er zehlt nur was er nimmt, nicht was er ſchenckt und giebt, Und waͤre nie ſo froh, als wenn ihm GOtt vergoͤnnte, Daß er ſtets gnaͤdig ſeyn, ſtets Wohlthat uͤben koͤnnte. Wo

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Zitationshilfe: Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 525. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/553>, abgerufen am 22.11.2024.