Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.Des II Theils VIII Capitel Wiewohl mir keine See beladne Schiffe bringt, Wenn Fluth und Ebbe gleich nicht in die Pleiße dringt, Obgleich kein tiefer Strom das Meißner-Land bewässert; Hat diesen Mangel doch der Bürger Fleiß verbessert. Die Europäer-Welt versammlet sich bey mir, Und Leipzig wird dadurch der Handels-Städte Zier. So dünckt mich, rühmte sie die drey berufnen Messen, Doch was es alles war, ist allbereit vergessen. Die Weisheit regte schon den Anmuths-vollen Mund; Die Muse störte sie, die mir zur Seiten stund. Jch preise, hub sie an, den Schutz der Wissenschafften. Die nirgends glücklicher als hier in Sachsen hafften, Jst Philurene nicht Germaniens Athen? Wo darf sich eine Stadt in Deutschland unterstehn, Mit ihr an Geist und Witz, Gelehrsamkeit und Schrifften, Den Wettstreit einzugehn und sich ein Lob zu stifften? Vergebens! Leipzig ist der Künste Vaterland, Und Deutschland hat es längst so wohl als ich erkannt: Augustus aber läßt die Musen an den Linden, Durch Gnade, Huld und Schutz, erwünschtes Wachsthum finden. Es eilt, wer Weisheit liebt, in feiner Mauren Schooß, O Göttin! rede selbst, dein eignes Glück ist groß: Wenn du den König lobst, so kan ich dir nicht gleichen, Trägst du den Preis davon, so will ich freudig weichen. Nein! schallte der Entschluß, mit einem Silber-Thon, Nein! fiel das holde Wort von dem erhabnen Thron. So viel ich selber Theil an diesem Helden habe, So hertzlich ich mich längst an seiner Weisheit labe; So schwer wird hier der Schluß in eurem Streite seyn: Jhr alle habt gesiegt, der Preis ist allgemein, Besitzt ihn denn zugleich. Jch selber will nicht säumen, Jhm diesen Fürsten-Sitz mit Freuden einzuräumen. Sie wich; man öffnete den Pracht-erfüllten Saal, August erschien daselbst mit seiner Räthe Zahl. Kan doch der volle Mond in seinen blauen Zimmern, Mit Sternen gantz umringt, unmöglich heller schimmern, Als hier sein Aufzug schien. Die Weisheit trat hinzu, Und sprach: Der Kampf ist aus; Held, unser Preiß bist du. Besteige diesen Thron, mein Scepter sey dir eigen, Wir alle werden uns vor diesen Staffeln beugen. Du
Des II Theils VIII Capitel Wiewohl mir keine See beladne Schiffe bringt, Wenn Fluth und Ebbe gleich nicht in die Pleiße dringt, Obgleich kein tiefer Strom das Meißner-Land bewaͤſſert; Hat dieſen Mangel doch der Buͤrger Fleiß verbeſſert. Die Europaͤer-Welt verſammlet ſich bey mir, Und Leipzig wird dadurch der Handels-Staͤdte Zier. So duͤnckt mich, ruͤhmte ſie die drey berufnen Meſſen, Doch was es alles war, iſt allbereit vergeſſen. Die Weisheit regte ſchon den Anmuths-vollen Mund; Die Muſe ſtoͤrte ſie, die mir zur Seiten ſtund. Jch preiſe, hub ſie an, den Schutz der Wiſſenſchafften. Die nirgends gluͤcklicher als hier in Sachſen hafften, Jſt Philurene nicht Germaniens Athen? Wo darf ſich eine Stadt in Deutſchland unterſtehn, Mit ihr an Geiſt und Witz, Gelehrſamkeit und Schrifften, Den Wettſtreit einzugehn und ſich ein Lob zu ſtifften? Vergebens! Leipzig iſt der Kuͤnſte Vaterland, Und Deutſchland hat es laͤngſt ſo wohl als ich erkannt: Auguſtus aber laͤßt die Muſen an den Linden, Durch Gnade, Huld und Schutz, erwuͤnſchtes Wachsthum finden. Es eilt, wer Weisheit liebt, in feiner Mauren Schooß, O Goͤttin! rede ſelbſt, dein eignes Gluͤck iſt groß: Wenn du den Koͤnig lobſt, ſo kan ich dir nicht gleichen, Traͤgſt du den Preis davon, ſo will ich freudig weichen. Nein! ſchallte der Entſchluß, mit einem Silber-Thon, Nein! fiel das holde Wort von dem erhabnen Thron. So viel ich ſelber Theil an dieſem Helden habe, So hertzlich ich mich laͤngſt an ſeiner Weisheit labe; So ſchwer wird hier der Schluß in eurem Streite ſeyn: Jhr alle habt geſiegt, der Preis iſt allgemein, Beſitzt ihn denn zugleich. Jch ſelber will nicht ſaͤumen, Jhm dieſen Fuͤrſten-Sitz mit Freuden einzuraͤumen. Sie wich; man oͤffnete den Pracht-erfuͤllten Saal, Auguſt erſchien daſelbſt mit ſeiner Raͤthe Zahl. Kan doch der volle Mond in ſeinen blauen Zimmern, Mit Sternen gantz umringt, unmoͤglich heller ſchimmern, Als hier ſein Aufzug ſchien. Die Weisheit trat hinzu, Und ſprach: Der Kampf iſt aus; Held, unſer Preiß biſt du. Beſteige dieſen Thron, mein Scepter ſey dir eigen, Wir alle werden uns vor dieſen Staffeln beugen. Du
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Wiewohl mir keine See beladne Schiffe bringt,
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Obgleich kein tiefer Strom das Meißner-Land bewaͤſſert;
Hat dieſen Mangel doch der Buͤrger Fleiß verbeſſert.
Die Europaͤer-Welt verſammlet ſich bey mir,
Und Leipzig wird dadurch der Handels-Staͤdte Zier.
So duͤnckt mich, ruͤhmte ſie die drey berufnen Meſſen,
Doch was es alles war, iſt allbereit vergeſſen.
Die Weisheit regte ſchon den Anmuths-vollen Mund;
Die Muſe ſtoͤrte ſie, die mir zur Seiten ſtund.
Jch preiſe, hub ſie an, den Schutz der Wiſſenſchafften.
Die nirgends gluͤcklicher als hier in Sachſen hafften,
Jſt Philurene nicht Germaniens Athen?
Wo darf ſich eine Stadt in Deutſchland unterſtehn,
Mit ihr an Geiſt und Witz, Gelehrſamkeit und Schrifften,
Den Wettſtreit einzugehn und ſich ein Lob zu ſtifften?
Vergebens! Leipzig iſt der Kuͤnſte Vaterland,
Und Deutſchland hat es laͤngſt ſo wohl als ich erkannt:
Auguſtus aber laͤßt die Muſen an den Linden,
Durch Gnade, Huld und Schutz, erwuͤnſchtes Wachsthum finden.
Es eilt, wer Weisheit liebt, in feiner Mauren Schooß,
O Goͤttin! rede ſelbſt, dein eignes Gluͤck iſt groß:
Wenn du den Koͤnig lobſt, ſo kan ich dir nicht gleichen,
Traͤgſt du den Preis davon, ſo will ich freudig weichen.
Nein! ſchallte der Entſchluß, mit einem Silber-Thon,
Nein! fiel das holde Wort von dem erhabnen Thron.
So viel ich ſelber Theil an dieſem Helden habe,
So hertzlich ich mich laͤngſt an ſeiner Weisheit labe;
So ſchwer wird hier der Schluß in eurem Streite ſeyn:
Jhr alle habt geſiegt, der Preis iſt allgemein,
Beſitzt ihn denn zugleich. Jch ſelber will nicht ſaͤumen,
Jhm dieſen Fuͤrſten-Sitz mit Freuden einzuraͤumen.
Sie wich; man oͤffnete den Pracht-erfuͤllten Saal,
Auguſt erſchien daſelbſt mit ſeiner Raͤthe Zahl.
Kan doch der volle Mond in ſeinen blauen Zimmern,
Mit Sternen gantz umringt, unmoͤglich heller ſchimmern,
Als hier ſein Aufzug ſchien. Die Weisheit trat hinzu,
Und ſprach: Der Kampf iſt aus; Held, unſer Preiß biſt du.
Beſteige dieſen Thron, mein Scepter ſey dir eigen,
Wir alle werden uns vor dieſen Staffeln beugen.
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