Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.Des II Theils X Capitel kommt. Bey den Alten hat es eigene Lehr-Meister gegeben,die jungen Comödianten Anleitung dazu gaben, wie sie eine Rolle gut spielen sollten. Jn Rom hat Roscius und Eso- pus sich zu Ciceronis Zeiten eine allgemeine Bewunderung erworben; denn diese hatten es in ihrer Kunst so weit ge- bracht, daß Cicero selbst in ihren Schau-Platz gieng, um ih- nen im guten Vortrage was abzulernen: hingegen kamen diese wiederum in die öffentlichen Reden Ciceronis, in glei- cher Absicht. Weil auch in der That ein Redner und Co- mödiant in diesem Stücke einerley Pflicht haben, so können sich diese auch aus dem Tractate des le Faucher, de l' action de l' Orateur, so unter Conrarts Nahmen heraus gekommen, auch ins deutsche übersetzt worden, manche gute Regel neh- men. Horatius hat auch dieses Stücke vor so wichtig ge- halten, daß er in seiner Dicht-Kunst eine besondre Regel da- von gemacht: Male si mandata loqueris Hierinn steckt hauptsächlich die Regel, ein guter Comödiante lich-
Des II Theils X Capitel kommt. Bey den Alten hat es eigene Lehr-Meiſter gegeben,die jungen Comoͤdianten Anleitung dazu gaben, wie ſie eine Rolle gut ſpielen ſollten. Jn Rom hat Roſcius und Eſo- pus ſich zu Ciceronis Zeiten eine allgemeine Bewunderung erworben; denn dieſe hatten es in ihrer Kunſt ſo weit ge- bracht, daß Cicero ſelbſt in ihren Schau-Platz gieng, um ih- nen im guten Vortrage was abzulernen: hingegen kamen dieſe wiederum in die oͤffentlichen Reden Ciceronis, in glei- cher Abſicht. Weil auch in der That ein Redner und Co- moͤdiant in dieſem Stuͤcke einerley Pflicht haben, ſo koͤnnen ſich dieſe auch aus dem Tractate des le Faucher, de l’ action de l’ Orateur, ſo unter Conrarts Nahmen heraus gekommen, auch ins deutſche uͤberſetzt worden, manche gute Regel neh- men. Horatius hat auch dieſes Stuͤcke vor ſo wichtig ge- halten, daß er in ſeiner Dicht-Kunſt eine beſondre Regel da- von gemacht: Male ſi mandata loqueris Hierinn ſteckt hauptſaͤchlich die Regel, ein guter Comoͤdiante lich-
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Des II Theils X Capitel
kommt. Bey den Alten hat es eigene Lehr-Meiſter gegeben,
die jungen Comoͤdianten Anleitung dazu gaben, wie ſie eine
Rolle gut ſpielen ſollten. Jn Rom hat Roſcius und Eſo-
pus ſich zu Ciceronis Zeiten eine allgemeine Bewunderung
erworben; denn dieſe hatten es in ihrer Kunſt ſo weit ge-
bracht, daß Cicero ſelbſt in ihren Schau-Platz gieng, um ih-
nen im guten Vortrage was abzulernen: hingegen kamen
dieſe wiederum in die oͤffentlichen Reden Ciceronis, in glei-
cher Abſicht. Weil auch in der That ein Redner und Co-
moͤdiant in dieſem Stuͤcke einerley Pflicht haben, ſo koͤnnen
ſich dieſe auch aus dem Tractate des le Faucher, de l’ action
de l’ Orateur, ſo unter Conrarts Nahmen heraus gekommen,
auch ins deutſche uͤberſetzt worden, manche gute Regel neh-
men. Horatius hat auch dieſes Stuͤcke vor ſo wichtig ge-
halten, daß er in ſeiner Dicht-Kunſt eine beſondre Regel da-
von gemacht:
Male ſi mandata loqueris
Aut dormitabo, aut ridebo. Triſtia moeſtum
Vultum verba decent; iratum plena minarum.
Ludentem laſciua, ſeuerum ſeria dictu.
Format enim natura prius nos intus ad omnem
Fortunarum habitum: iuuat & impellit ad iram,
Aut ad humum moerore graui deducit & angit.
Poſt effert animi motus interprete lingua.
Hierinn ſteckt hauptſaͤchlich die Regel, ein guter Comoͤdiante
muͤſſe dasjenige erſt bey ſich zu empfinden bemuͤht ſeyn, was
er vorzutragen willens iſt: welches in der That das beſte Mit-
tel iſt, eine lebhaffte Ausſprache und Stellung zu erlangen.
Da ſich Cicero nicht geſcheuet, mit ſo groſſem Ruhme von
dem Roͤmiſchen Comoͤdianten Roſcius, theils in der Rede, die
er vor ihn gehalten, theils in der vor den Archias, zu ſprechen;
welche letztere ich bey meiner Rede-Kunſt deutſch uͤberſetzt ha-
be: So kan ich auch nicht unterlaſſen, etliche geſchickte Leute
unſerer Zeiten hier nahmentlich zu loben. Sie ſind theils un-
ter den Koͤnigl. und Churſaͤchſiſchen Hof-Commoͤdianten:
theils bey der Braunſchweig-Luͤneburgiſchen Schau-Buͤhne
anzutreffen. Hier hat ſich Hr. Hofmann, Hr. Angott und
Madame Muͤllerin allezeit durch eine uͤberaus groſſe Geſchick-
lich-
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