cken sich vor unsre aufgeklärte Zeiten nicht mehr, weil sie fast niemand mehr glaubt: Also enthält sich ein Poet mit gutem Grunde solcher Vorstellungen, die nicht mehr wahrscheinlich sind, und nur in der ernsthafftesten Sache ein Gelächter er- wecken würden.
Einen bessern Zierrath geben die Veränderungen der Schaubühne ab, dadurch dieselbe allemahl denjenigen Ort vorstellig macht, wo das gantze Stück vorgegangen seyn soll. Dieser muß nun zwar die gantze Tragödie hindurch einerley bleiben: Allein in verschiedenen Trauerspielen muß sich bald eine Straße der Stadt, ein königlich Zimmer, ein Feldlager, ein Wald, ein Dorf, ein Garten, u. s. w. vorstellen. Doch dieses geht den Poeten nicht weiter an, als in soweit er sagt, wo der Schauplatz des Stückes gewesen, darnach sich der Theatern-Meister hernach richten muß.
Eben das ist von den Kleidungen zu sagen. Hier sollen von rechtswegen die Personen bald in Römischer, bald in Grie- chischer, bald in Persianischer, bald in Spanischer, bald in altdeutscher Tracht auf der Schaubühne erscheinen; und die- selbe so natürlich nachahmen als es möglich ist. Je näher man es darinn der Vollkommenheit bringet, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit, und destomehr wird das Auge der Zuschauer vergnüget. Daher ist es lächerlich, wenn wir die Römischen Bürger in Soldaten-Kleidern mit Degen an der Seite vorstellen: da sie doch lange weite Kleider von weißer Farbe, trugen. Noch seltsamer aber ist es, wenn man ihnen gar Staats-Perrücken und Hüte mit Federn auf- setzet, u. d. gl. Hier muß ein verständiger Aufseher der Schaubühne sich in den Alterthümern umgesehen haben; und die Trachten aller Nationen in Bildern ausstudiren, die er aufzuführen willens ist.
Endlich kommt der Vortrag selbst, das ist die Ausspra- che und die Geberden der spielenden Personen. Hierauf kommt in der Vorstellung eines Trauer-Spieles fast alles an. Das beste Stück wird lächerlich, wenn es schlecht und kaltsinnig hergesagt wird: hergegen das elendeste Zeug zu- weilen erträglich, wenn eine gute Aussprache ihm zu statten
kommt.
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Von Tragoͤdien oder Trauerſpielen.
cken ſich vor unſre aufgeklaͤrte Zeiten nicht mehr, weil ſie faſt niemand mehr glaubt: Alſo enthaͤlt ſich ein Poet mit gutem Grunde ſolcher Vorſtellungen, die nicht mehr wahrſcheinlich ſind, und nur in der ernſthaffteſten Sache ein Gelaͤchter er- wecken wuͤrden.
Einen beſſern Zierrath geben die Veraͤnderungen der Schaubuͤhne ab, dadurch dieſelbe allemahl denjenigen Ort vorſtellig macht, wo das gantze Stuͤck vorgegangen ſeyn ſoll. Dieſer muß nun zwar die gantze Tragoͤdie hindurch einerley bleiben: Allein in verſchiedenen Trauerſpielen muß ſich bald eine Straße der Stadt, ein koͤniglich Zimmer, ein Feldlager, ein Wald, ein Dorf, ein Garten, u. ſ. w. vorſtellen. Doch dieſes geht den Poeten nicht weiter an, als in ſoweit er ſagt, wo der Schauplatz des Stuͤckes geweſen, darnach ſich der Theatern-Meiſter hernach richten muß.
Eben das iſt von den Kleidungen zu ſagen. Hier ſollen von rechtswegen die Perſonen bald in Roͤmiſcher, bald in Grie- chiſcher, bald in Perſianiſcher, bald in Spaniſcher, bald in altdeutſcher Tracht auf der Schaubuͤhne erſcheinen; und die- ſelbe ſo natuͤrlich nachahmen als es moͤglich iſt. Je naͤher man es darinn der Vollkommenheit bringet, deſto groͤßer wird die Wahrſcheinlichkeit, und deſtomehr wird das Auge der Zuſchauer vergnuͤget. Daher iſt es laͤcherlich, wenn wir die Roͤmiſchen Buͤrger in Soldaten-Kleidern mit Degen an der Seite vorſtellen: da ſie doch lange weite Kleider von weißer Farbe, trugen. Noch ſeltſamer aber iſt es, wenn man ihnen gar Staats-Perruͤcken und Huͤte mit Federn auf- ſetzet, u. d. gl. Hier muß ein verſtaͤndiger Aufſeher der Schaubuͤhne ſich in den Alterthuͤmern umgeſehen haben; und die Trachten aller Nationen in Bildern ausſtudiren, die er aufzufuͤhren willens iſt.
Endlich kommt der Vortrag ſelbſt, das iſt die Ausſpra- che und die Geberden der ſpielenden Perſonen. Hierauf kommt in der Vorſtellung eines Trauer-Spieles faſt alles an. Das beſte Stuͤck wird laͤcherlich, wenn es ſchlecht und kaltſinnig hergeſagt wird: hergegen das elendeſte Zeug zu- weilen ertraͤglich, wenn eine gute Ausſprache ihm zu ſtatten
kommt.
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[583/0611]
Von Tragoͤdien oder Trauerſpielen.
cken ſich vor unſre aufgeklaͤrte Zeiten nicht mehr, weil ſie faſt
niemand mehr glaubt: Alſo enthaͤlt ſich ein Poet mit gutem
Grunde ſolcher Vorſtellungen, die nicht mehr wahrſcheinlich
ſind, und nur in der ernſthaffteſten Sache ein Gelaͤchter er-
wecken wuͤrden.
Einen beſſern Zierrath geben die Veraͤnderungen der
Schaubuͤhne ab, dadurch dieſelbe allemahl denjenigen Ort
vorſtellig macht, wo das gantze Stuͤck vorgegangen ſeyn ſoll.
Dieſer muß nun zwar die gantze Tragoͤdie hindurch einerley
bleiben: Allein in verſchiedenen Trauerſpielen muß ſich bald
eine Straße der Stadt, ein koͤniglich Zimmer, ein Feldlager,
ein Wald, ein Dorf, ein Garten, u. ſ. w. vorſtellen. Doch
dieſes geht den Poeten nicht weiter an, als in ſoweit er ſagt,
wo der Schauplatz des Stuͤckes geweſen, darnach ſich der
Theatern-Meiſter hernach richten muß.
Eben das iſt von den Kleidungen zu ſagen. Hier ſollen
von rechtswegen die Perſonen bald in Roͤmiſcher, bald in Grie-
chiſcher, bald in Perſianiſcher, bald in Spaniſcher, bald in
altdeutſcher Tracht auf der Schaubuͤhne erſcheinen; und die-
ſelbe ſo natuͤrlich nachahmen als es moͤglich iſt. Je naͤher
man es darinn der Vollkommenheit bringet, deſto groͤßer
wird die Wahrſcheinlichkeit, und deſtomehr wird das Auge
der Zuſchauer vergnuͤget. Daher iſt es laͤcherlich, wenn wir
die Roͤmiſchen Buͤrger in Soldaten-Kleidern mit Degen an
der Seite vorſtellen: da ſie doch lange weite Kleider von
weißer Farbe, trugen. Noch ſeltſamer aber iſt es, wenn
man ihnen gar Staats-Perruͤcken und Huͤte mit Federn auf-
ſetzet, u. d. gl. Hier muß ein verſtaͤndiger Aufſeher der
Schaubuͤhne ſich in den Alterthuͤmern umgeſehen haben; und
die Trachten aller Nationen in Bildern ausſtudiren, die er
aufzufuͤhren willens iſt.
Endlich kommt der Vortrag ſelbſt, das iſt die Ausſpra-
che und die Geberden der ſpielenden Perſonen. Hierauf
kommt in der Vorſtellung eines Trauer-Spieles faſt alles
an. Das beſte Stuͤck wird laͤcherlich, wenn es ſchlecht und
kaltſinnig hergeſagt wird: hergegen das elendeſte Zeug zu-
weilen ertraͤglich, wenn eine gute Ausſprache ihm zu ſtatten
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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 583. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/611>, abgerufen am 24.11.2024.
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